Kopflos in Dresden. Victoria Krebs
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»Gib den Ordner bitte Herrn Dr. Martin.«
Als Nihat wieder verschwunden war, schob Maria kurzerhand Aktenordner, Papierstapel und die Tastatur auf ihrem Schreibtisch zur Seite und breitete dort die Polizeifotos von Kopf und Körper der Leiche und den zwei unterschiedlichen Fundorten aus.
»Das ist unser Opfer. Zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahre alt. Hier der Kopf in der Vase am Palaisteich im Großen Garten und da«, Maria tippte mit dem Zeigefinger auf das Bild, »der Körper, so wie wir ihn gefunden haben, im Baum, einige Hundert Meter vom Fundort des Kopfes entfernt.«
Dr. Martin inspizierte die Fotos und bewegte dabei unmerklich die Lippen. Maria ließ ihm Zeit und beobachtete den Mann, der sie heute mehr denn je an einen Gnom erinnerte. Mit gekrümmtem Rücken hatte er sich über den Schreibtisch gebeugt und sah sich hoch konzentriert ein Bild nach dem anderen an.
Endlich hob er den Kopf. Maria und Gerd sahen ihn gespannt an.
»Spread your wings and fly. Hm, kann er aber nicht, dieser Vogel. Flugunfähig, weil Flügel gefesselt und kein Kopf.«
Gerd und Maria sahen sich kurz an und dachten beide dasselbe. Hatte dieser Psychologe vielleicht doch einen an der Waffel, wie so mancher Vertreter seiner Zunft?
»Rache. Die Frau hat ihren Mann verlassen, wollte wegfliegen. Frei sein, wie ein Vogel. Da hat er ihr dann den Kopf abgeschnitten und sie in den Baum gesetzt.« Seine kindlich hohe Fistelstimme stand in krassem Gegensatz zu seiner nüchternen Erläuterung.
Na großartig, dachte Maria, so weit waren wir auch schon.
»Mit dieser Inszenierung will er seine Macht und Überlegenheit demonstrieren«, ergänzte Dr. Martin. »Und außerdem …« Jetzt zögerte er.
»Ja, und außerdem?«, fragte sie.
Im selben Moment läutete das Telefon. Genervt entschuldigte sich die Kommissarin, die die Nummer der Rechtsmedizin auf dem Display erkannt hatte und den Hörer abnahm. Mit ungläubiger Miene lauschte sie ihrem Gesprächspartner und schaute von Gerd zu Dr. Martin, nachdem sie das Gespräch beendet hatte.
»Das war noch einmal die Rechtsmedizin. Dr. Petermann hatte vorhin ein Detail vergessen.«
»Welches?«, fragte ihr Kollege ungeduldig.
»Die Tote war im Intimbereich rasiert. An sich ja nichts Außergewöhnliches. Trotzdem befanden sich dort Haare, allerdings keine menschlichen.«
»Keine menschlichen?«, echote Gerd entgeistert.
»Nein. Es handelt sich um ein Stück Kaninchenfell, das aufgeklebt wurde.«
»Interessant …«, lispelte Dr. Martin.
Maria schwieg für einen kurzen Moment und runzelte dann die Augenbrauen.
»Dr. Martin. Sie wollten doch noch etwas sagen, bevor wir unterbrochen wurden.«
»Ja, richtig. Er hat diese Frau zu einem Tier gemacht und ihr damit das Wesen eines Menschen genommen, sie ihrer menschlichen Würde beraubt. Verstehen Sie, was ich meine? Nicht wenige Mörder schließen den Getöteten die Augen oder decken sie zu. Was nichts anderes bedeutet, als dass man ihnen, obwohl man sie umgebracht hat, ihre Würde belässt. Ein finaler Gnadenakt sozusagen, wenn auch vielleicht unbewusst. Im vorliegenden Fall wurde das genaue Gegenteil angestrebt. Die Frau wird zu einem bloßen Objekt degradiert, zu einem Vogel, der weder fliegen noch sehen oder hören kann. Ein Nichts.«
»Ich verstehe. Eine komplette Vernichtung?«
»Nicht ganz. Dieser Akt der Degradierung und Entmenschlichung offenbart eine fürchterliche, rasende Wut. Gleichzeitig bedeutet er für den Täter eine Art Erleichterung. Die Frau, die ihn verlassen hat oder ihn verlassen wollte, ist kein Mensch mehr. Es schmerzt nicht mehr so stark, denn sie ist ja nur ein verstümmeltes Tier.«
»Also haben wir es hier mit einem Psychopathen zu tun, wenn ich Sie richtig verstanden habe.«
Dr. Martin schwieg für einen Moment, sagte dann aber:
»Viele Menschen – mehr als Sie sich vorstellen können – haben zum Teil völlig unterschiedliche Ego-Anteile in sich. Es kommt immer darauf an, wie diese Anteile miteinander kooperieren beziehungsweise sich im schlimmsten Fall kontrollieren lassen. Aber wenn Sie darauf bestehen, ja, es handelt sich um einen Psychopathen, also einen Menschen mit einer extrem schweren Persönlichkeitsstörung, die dafür sorgt, dass ihm Empathie und soziales Gewissen fast vollständig fehlen.«
»Wird er es wieder tun? Werden weitere Frauen auf so bestialische Weise hingerichtet werden?«, bohrte Maria nach und fixierte den Psychologen. »Oder ist sein Rachedurst mit der Hinrichtung dieser Frau gelöscht?«
Dr. Martin zögerte einen Moment, bevor er antwortete:
»Wahrscheinlich. Aber ausschließen kann man nichts. Es macht mich schon ein wenig stutzig, dass er sich dieser überladenen Symbolik bedient hat. Diese gewaltige Demonstration von Macht hat etwas nahezu Orgiastisches.« Er schürzte die Lippen. »Wenn wir Pech haben, macht er weiter. Möglicherweise findet er Gefallen an dem Entsetzen, das er auslöst, und berauscht sich an dieser Macht. Für die Presse ist das ja ein gefundenes Fressen, nicht wahr?«
»Ja«, stimmte Maria zu und atmete tief ein. »Doch sie kann auch nützlich sein. Wenn nicht bald eine Vermisstenanzeige erstattet wird, müssen wir ein Foto des Opfers in der Zeitung veröffentlichen. Aber kommen wir noch mal auf das Kaninchenfell zurück, das der Täter ihr auf die Scham geklebt hat. Was hat das denn zu bedeuteten?«
»Das weiß ich im Moment auch noch nicht. Das Einzige, das mir spontan dazu einfällt, ist, dass er diese intime Stelle bedecken wollte. Ihre schamlose Nacktheit bedecken. Ein möglicher Hinweis auf die sexuelle Begierde der Frau.«
»Aber wieso denn ein Kaninchenfell?«
»Na, sein eigenes Haar konnte er wohl schlecht nehmen. Spuren wollte er ja nicht hinterlassen, oder?« Langsam drehte er seinen wie angeschraubt wirkenden Kopf von Maria zu Gerd und wieder zurück. »Er hätte natürlich auch irgendeinen Stoff-Fetzen nehmen können. Daher gehe ich davon aus, dass das Kaninchenfell eine Bedeutung für ihn hat.«
Sein starrer Blick aus dem Fenster signalisierte der Kommissarin, dass der Psychologe gerade intensiv über etwas nachdachte oder schlichtweg einfach nur auf eine Eingebung wartete. Sie kam, die Eingebung.
»Die Vagina, eine Kaninchenhöhle? War die Frau schwanger?«
»Das wissen wir noch nicht«, gab Maria Auskunft und sah plötzlich das Bild von kleinen nackten Kaninchenbabys im Bauch der Frau vor sich – fünf, sechs Stück, nackt und blind. Sie schüttelte sich.
»Aber wie gesagt, das ist reine Spekulation. Das muss ich mir noch mal ausgiebig durch den Kopf gehen lassen.«
Maria nickte und sah ihren Kollegen an.
»Gerd, hast du noch Fragen an Dr. Martin? Ansonsten …« Der Angesprochene schüttelte den Kopf. Maria stand auf, um den Mann im roten Pullover zu verabschieden.
»Vielen Dank, das war’s fürs Erste. Sie haben uns sehr weitergeholfen. Wenn Sie sich dann bitte noch die Auszüge aus