Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz. Christiane Benedikte Naubert
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz - Christiane Benedikte Naubert страница 15
Doch gelang es dem Haupt unserer bisherigen Wächter, der sich, wie es schien, sein trauriges Amt ungern rauben ließ, zu uns zurück zu kehren, und unsere ohnedem genug beängstigte Herzen mit schrecklichen Erwartungen anzufüllen. Ich rathe euch, sagte er, euch diesem eingedrungenen Aufseher auf das möglichste zu widersetzen. Nichts als Verschlimmerung eures Schicksals kann eurer warten, wir wollen alle auf eure Seite treten, und euch hier zu behalten suchen. Was für Macht hat Fürst über uns oder über euch? Weigert er sich nicht so gar uns den Befehl des Grafen von Vatz zu dem, was er sich unterfängt, vorzuzeigen? – Und wer sind seine Begleiter? eine Handvoll schlecht bewaffnete Leute, die wir wenigstens durch unsere Menge überwiegen können!
Der Mann, welcher uns vordem nur selten gewürdiget hatte, Worte mit uns zu wechseln, sprach noch lang in diesem Ton, und wir wußten nicht, was wir denken, oder welche Entschliessung wir fassen sollten, doch behielt endlich, als wir allein darüber zu rathe gingen, die Vorstellung die Oberhand, daß in einer Lage, wie die unsrige, jede Veränderung Verbesserung sey. Neue Gegenstände, andre Aussichten, vielleicht Gelegenheit zur Flucht, was ließ sich nicht alles von diesen Dingen erwarten! Wir waren einig unserm Schicksal nicht zu widerstehen, und Walter Fürst fand uns, als er um Mitternacht in unser Gefängniß trat uns abzuholen, bereit ihm zu folgen.
Unser Widerstand hatte vielleicht das Signal für die Feinde des neuen Aufsehers seyn sollen, gegen ihn loszubrechen; wir fanden unser Vorgemach von ihnen erfüllt, alle waren bewaffnet, und ihre drohenden Blicke zeigten, was sie vorhatten, aber als sie uns gutwillig folgen sahen, so schien ihr Muth zu sinken, einige zuckten zwar die Schwerder, sich zu widersetzen, aber Fürsts Leute hatten auch gelernt, die Waffen zu gebrauchen, und unser Zug ward bald ungehindert fortgesetzt.
Zittert, schrie unser Führer beym Abzug, zittert ihr Rebellen vor meiner Wiederkunft; ich werde den Willen meines Herrn bey euch geltend zu machen, euch zu zeigen wissen, daß ich das Amt, das Graf Walter mir anvertraute, behaupten kann.
Man brachte uns, sobald der steile Bergweg zurück gelegt war, auf einen bequemen Wagen, und ich entdeckte meiner Freundinn, daß ich nicht wisse, was von dem ganzen Abendtheuer zu halten sey, weil mich gar eigen22 dünke, unter Fürsts Begleitern Henrichen von Melchthal erkannt zu haben. Hedwig kannte diesen Mann, den ich schon im Vorhergehenden genannt habe, gar wohl. Er war einer der redlichsten und muthigsten Männer im ganzen Zehngerichtenkreiß23, einer der treusten Unterthanen des Grafen Venosta, dem er noch jetzt, da diese Gegend in den Händen des Grafen von Vatz war, sowohl als mir mit vollem Herzen anhing. Henrich von Melchthal? rief die Gräfinn, o ist dieser in unserer Nähe, so sind wir mehr als halb gerettet; nur Gelegenheit, uns ihm kenntlich zu machen, die uns nicht fehlen kann, und er wird nicht ermangeln, unsere Fesseln zu brechen! Ich wollte ihr eben zu Stärkung ihrer süssen Hoffnungen sagen, wie dieser Mann der einige gewesen sey, der bey meiner Abführung nach Uspunnen es gewagt habe, laut zu murren, und wie ich festiglich glaube, er befinde sich nicht von ohngefehr unter unsern Begleitern, als Walter Fürst, mit einem ganz andern Wesen, als er zu Uspunnen annahm, an den Wagen kam, und uns mit ehrerbietigem Ton anredete. Edle Frauen, sagte er, ihr seyd gerettet, und hier ist derjenige, dem ihr eure Rettung zu verdanken habt. Es war dunkel, wir fühlten mehr als wir sahen, daß uns bey diesen Worten, nach welchen sich der Sprechende sogleich, ohne Antwort zu erwarten, entfernte, noch eine dritte Person auf unsern Wagen geliefert ward, aber wie konnten wir zweifelhaft seyn, wer es sey, als Hedwig ihren Nacken von ein paar zarten Armen umschlungen fühlte, und den Namen Mutter in ihre Ohren schallen hörte.
Der Name des verlornen Kindes, das nun so unvermuthet wieder in unsern Armen lag, tönte zugleich aus unserm Munde. Die Gräfinn verlor vor Entzücken auf einige Augenblicke Sprache und Besonnenheit, und ich dachte bey der Freude, das verlorne Kind gerettet wieder zu sehen, und so nachdrückliche Winke von unsrer eigenen Rettung zu haben, kaum daran, meiner Freundinn zu Hülfe zu kommen. Als wir uns beyde erholten, ließen wir die Namen Walter Fürsts und Henrichs von Melchthal laut erschallen, weil uns eine nähere Erklärung dieser räthselhaften Dinge sehr am Herzen lag, aber man hörte uns nicht, Erklärungen und müssige Danksagungen waren hier unzeitig, unsere Flucht ging schnell wie ein Sturmwind durch das weite Thal. Jenseit jenes Gebürgs, oder auf der Fahrt über den Thunersee24, konnten wir erst völlige Erläuterung hoffen, und mußten uns vor der Hand nur an der einfältigen unzusammenhängenden Erzählung des kleinen Rudolfs genügen lassen, den Walter Fürst nicht ohne Grund unsern Retter nannte.
Ach ja, die Vorsicht25 hatte Hedwigs verzweifelten Entschluß ihren Liebling aus ihren Armen zu lassen, zu unsern Besten gebraucht. Welche unbedeutende Kleinigkeit kann nicht in der Hand des weisen Regierers aller Dinge das Mittel unseres Glücks werden? Selbst unsere Unvorsichtigkeiten, selbst unsere Fehler sind in dem großen Gewebe der Zufälle nicht unbrauchbar, und haben oft, von höherer Hand gelenkt, ganz andre Folgen als sie wahrscheinlich haben konnten und sollten.
Rudolfs guter Engel hatte ihn in jener Nacht einen gefährlichen Weg zwischen Klippen und Abgründen hinabgeleitet. Ein Landmann aus dem Frutigerthale26 fand ihn weinend und von dem sauren Wege bis auf den Tod ermattet am Fuße des Bergs, und führte ihm, auf seine Erzählung, daß er dort aus jenem brennenden Schlosse entflohen sey, und nicht wieder dahin verlange, zu Walter Fürsten, einem der vornehmsten Einwohner dieser Gegend, bey welchem er jene Aufnahme fand, welche dieser edle Helvetier jedem Verlassenen wiederfahren ließ, und die er einem Kinde wie Rudolf, welches mit der Anmuth eines Engels noch die äußerste Hülflosigkeit, diese mächtige Herzensfeßlerinn, verband, mit doppelter Freude gewährte.
Es dauerte lange, ehe Walter Fürst Rudolfs unordentliche Erzählungen ganz begreifen konnte, aber als er den Namen seiner Mutter und seiner Pathe erwehnte, welche, wie er meynte, in jenen Flammen umgekommen waren, als er sich selbst einen Grafen von Rappersweil nannte, da ward der edle Mann aufmerksam, und genauere Nachforschungen brachten ihn bald hinter die Wahrheit.
Die friedlichen Einwohner des stillen Thals kümmerten sich wenig um das, was in den Felsenschlössern vorging. Diese Residenzen des Adels wurden von ihnen als Behausungen des Unrechts und des Frevels angesehen und gefürchtet. Sie waren zu schwach, sich all dem Bösen, was hier verübt wurde, und das zuweilen durch die Sage zu ihnen kam, zu widersetzen, und mußten froh seyn, wenn die Ungerechtigkeiten der Besitzer jener Raubnester sich nicht den Weg bis zu ihnen eröffneten.
Aber Walter Fürst, ein Mann, der in jeder Betrachtung über seine Zeitverwandten weit hervorragte, durfte nun genauere Kenntniß von dem Zustand zweyer Nothleidenden haben, deren Rettung aus den Flammen er zuversichtlich hoffte, er durfte nur bey näherer Erkundigung in den Gebieten des Grafen von Vatz die Bestättigung dessen finden, was das Kind, das er in Schutz genommen hatte, aussagte, so war sein Entschluß gefaßt; und schnelle und vorsichtige Ausführung folgte hintennach.
Henrich von Melchthal, ein alter Bekannter Walters Fürst, war derjenige, an welchen sich der letzte um genauere Nachricht von Hedwigs und meiner Geschichte wandte, und dieser treue Unterthan des Grafen Venosta, er, der so lang im Stillen über das unbekannte Schicksal seiner ehemalichen Gebieterinn getrauert hatte, machte sich selbst auf, mit seinem Freunde, über unsere Rettung zu rathschlagen, indessen er, um nichts zu versäumen, seinen Sohn eilig nach meinem Oheim abfertigte um ihm von allem Nachricht zu geben.
Der Entschluß, den die beyden biedern Helvetier, Walter und Heinrich zu unserm Besten faßten, ist leicht aus vorgemeldetem zu errathen; der letzte hatte eine kleine Anzahl treuer Leute aus unsere Gegenden mit sich gebracht, welche Fürst mit den tapfersten aus dem Frutigerthal, verstärkte. Sie waren kühn genug, sich als Abgeschickte des Grafen von Vatz zu Uspunnen einzudrängen, und der dasigen zahlreichen Dienerschaft, durch den entschlossenen Ton, in welchem sie sprachen, Schrecken einzujagen. Ueberzeugt, daß die wohlausgesonnene List nicht lange Stand halten könne, gingen sie schnell zu Werke, und es liegt am Tage, wie wohl es ihnen geglückt war.