Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz. Christiane Benedikte Naubert

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Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz - Christiane Benedikte Naubert

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Erde, unsern Kerker, oder genseit20 des Grabes?

      Unsere Zweifel wurden bald gehoben. Wir fühlten nur gar zu schnell, daß wir gerettet, aber nicht frey waren. Die rauchenden Aschenhaufen, in der Ferne sagten uns, daß wir uns noch im Bezirk unsers Kerkers befänden, und die genaue Aufmerksamkeit, mit welcher man uns bewachte, ließ uns wahrnehmen, daß der einige Vortheil, den wir von unserm veränderten Zustande hatten, das Vergnügen war, uns zu sehen und zu umarmen. Aber wie sehr ward uns dieses Vergnügen verbittert! Hedwig weinte um ihren Sohn, und warf sich vor, ihn in der Verzweiflung von sich gelassen zu haben, da er doch so wohl als sie hätte gerettet werden können, und ich fühlte den Verlust dieses geliebten Kindes fast so stark als sie.

      Man hörte wenig auf unsere Klagen, unsere Wächter beschäftigten sich mit nichts, als mit den Vorgängen vergangner Nacht, und wir erfuhren aus ihren Gesprächen so viel, daß das Feuer von der gefangenen Dame in der östlichen Seite des Schlosses angelegt worden sey, daß sie wahrscheinlich ihre Rettung dadurch habe bewürken wollen, aber von einem gefährlichen Sprunge aus dem Fenster und dem nachstürzenden Gesims so viel gelitten habe, daß sie schwerlich den Abend erleben werde. Auch der Aufseher des Gefängnisses, der sich bey der Rettung jener Gefangenen, auf welche hier mehr anzukommen schien, als auf uns, zu kühn gewagt hatte, lag in den letzten Zügen, wir verlangten zu ihm gebracht zu werden, er bat uns mit stammelnder Zunge um Verzeihung wegen des Unrechts, das er uns gezwungen habe zufügen müssen, blieb aber auch sterbend dabey, daß er, durch fürchterliche Eyde gebunden, nicht anders habe handeln können; auch dachte er nicht daran, unsern nunmehrigen Hütern Milde und Schonung anzubefehlen, die, vermuthlich beeydigt wie er, es für Pflicht hielten, uns so streng zu halten, als zuvor. Nichts konnten wir von ihnen zu Milderung unsers Kummers erhalten, als das Glück, nicht von einander getrennt zu werden, und die Erlaubniß, jene Dame zu sehen, von welcher wir heute zum erstenmale deutlich sprechen hörten, die sich zu ihrer Befreyung eines so schrecklichen Mittels bedient hatte, und nun, wie man uns sagte, im Begriff war, unter den Folgen ihrer verzweifelten That den Geist aufzugeben.

      Neugier, Hoffnung oder Furcht eine Bekannte zu finden, Wunsch, einer sterbenden Leidensgefärthinn Trost oder Linderung bringen zu können, Gott weis, welches von allem es war, das uns zu diesem traurigen Besuch antrieb. Man versicherte uns, er würde uns wenig Milderung unsers Kummers bringen, und wie man gesagt hatte, so geschah es.

      Man führte uns zu einer Person, die wir nicht kannten, und, deren Anblick jedes Gefühl des Mitleids, jenes peinlichen21 Mitleids, das keine Hülfe weis, in uns rege machte. Sie wandte ihre halb erstorbenen Augen nach uns, und bot uns mit einem schmerzhaften Lächeln die Hand. Wir beschäftigten uns um sie, ihr mit den armseligen Mitteln, die in unserer Gewalt waren, einige Linderung zu verschaffen, und unsere Thränen zeugten von den Gefühlen unsers Herzen. Verzeihet, sagte sie, als sie sich nach einigen Stunden ein wenig erholte, ich wollte mich retten, und hätte euch bald in ähnliches Unglück, wie mich, gestürzt, aber langes Leiden ist die Mutter der Verzweiflung! – Bald darauf rechnete sie in halber Phantasie die Jahre her, in welchen sie nun hier in diesem abscheulichen Kerker von ihren Tyrannen gefangen gehalten würde, und sprach viel von ihrem Sohne, auf dessen rettende Hand sie so lang vergeblich gewartet hätte.

      Gegen die Nacht rühmte sie, wie sie jetzt von allen Schmerzen frey sey, und wandte sich mit einem Anschein von Heiterkeit zu uns, nach unsern Namen zu fragen. Die Gräfinn nannte sich, und erhielt einen liebreichen mitleidenden Blick zum Lohn. Hedwig von Rappersweil? sagte die Kranke. O ich kenne euch aus dem Gerücht, auch ihr habt gelitten, zwar nicht so viel als ich, doch wißt ihr wohl was Verfolgung ist. – Und ihr, fuhr sie fort, indem sie sich zu mir wandte. Noria von Vatz! erwiederte ich.

      Noria von Vatz? wiederholte sie, indem sie mit fürchterlicher Geberde die Hände zusammenschlug. Noria? Walters zweyte Gemahlinn? O Schicksal! das fehlte noch mich ganz elend zu machen! Hinweg von mir Verworfene! Urheberinn meines Elends! Hinweg! laß mich allein sterben! Aber Rache sey dir geschworen! Rache nach meinem Tode! du sollst nicht ungestraft über mich triumphiren!

      Ich stand fast meiner Sinnen beraubt an dem Bette der Leidenden, und nur die Vorstellung, sie spreche in der Hitze der Phantasie, konnte mich aufrecht erhalten. Besinnet euch, edle Frau! rief ich, indem ich mich bemühte, eine ihrer Hände zu fassen. Ich kannte, ich beleidigte euch ja nie, ich bin die unglückliche Noria Venosta, die von einem grausamen Gemahl verstossen, unschuldig mit Schande gebrandmarkt, hier zu ewigen Fesseln verdammt ward, welche die Flammen voriger Nacht vergebens zu brechen suchten.

      So? sprach sie mit milderer Stimme, bist du Walters verstoßnes Weib? Nun so komm in meine Arme! wir sind Schwestern!

      Schon beugte ich mich zu ihrer Umarmung herab, aber Hedwig riß mich zurück, denn das Gesicht der Unglücklichen verwandelte sich von neuem, und ließ meine Freundinn Gefahr für mich in ihren Liebkosungen besorgen. Auch war der Verstand der beklagenswürdigen Unbekannten, von diesem Augenblick an, ganz hin. Ihre Augen voll Wuth waren beständig auf mich gerichtet, sie schäumte und drohte, und ich war genöthigt mich zu entfernen, um ihr Ruhe zu schaffen.

      Mir waren diese Dinge ein schreckliches Räthsel, ich beklagte die Unglückliche, indem zugleich ein heimliches Entsetzen vor ihr Besitz von meiner Seele nahm. Ich weinte und ängstigte mich, ich wußte nicht warum, ich machte mir selbst Vorwürfe und konnte mich nicht besinnen, was ich verbrochen hatte. In diesem traurigen Zustande brachte ich den Morgen heran, da die Gräfinn von Rappersweil kam, mir die Nachricht von dem Tode der Unbekannten zu bringen. Sie war ganz erschöpft von den schrecklichen Auftritten dieser Nacht, ich fragte sie, ob sie keine Entdeckungen gemacht habe, die unsere Zweifel über diese seltsamen Dinge auflösen könnten, aber sie konnte oder wollte mir keine Auskunft geben. Wir wohnten in trauriger Stille der Beerdigung unserer elenden Mitgefangenen bey, sie ward in einen von den Höfen unsers Gefängnisses eingescharrt, und man führte uns von ihrem Grabe nach einer engen Wohnung in den vom Feuer verschonten Theil des Schlosses, welche derjenigen, aus welcher uns die Flammen getrieben hatten, fast ähnlich war; die wenige Freyheit, welche wir des vorigen Tages genossen hatten, war schon zu viel für die Härte unserer Hüter gewesen.

      Wir sanken einander in die Arme und weinten, trösteten uns, einander wieder zu haben, und weinten wieder, suchten uns von der traurigen Gegenwart durch Andenken an die Vergangenheit oder Hoffnungen für die Zukunft loszureissen, und fanden auch da wenig Beruhigung. Unser schrecklichster Gedanke war das Schicksal unsers kleinen Lieblings. Gott, was mochte aus ihm geworden seyn, wenn er auch dem Feuer entgangen war, das bald nach seiner Trennung von seiner Mutter hier so unaufhaltsam zu wüthen begunnte! Wir hatten des vorigen Tages die Stelle besehen, wo Hedwig ihn hinab ließ; die kleine Oeffnung war nicht hoch von der Erde, aber dicht von dem Platze, auf welchen er hernieder kam, senkte sich eine fürchterlich steile Klippe in die Tiefe hinab, und uns schauerte die Haut, wenn wir weiter dachten!

      Ich kann die Zeit nicht benennen, die wir in dem kläglichsten Zustande, durch nichts als gegenseitige Freundschaft getröstet, hier zubrachten, aber wie ich schon zuvor gesagt habe, Linderung und Hülfe war uns nahe.

      Unsere Hüter brachten uns eines Tages die Nachricht, der Graf von Vatz habe einen neuen Aufseher über dieses halb in Asche verwandelte Schloß herüber geschickt, und wir möchten nun zusehen, ob wir unter seinem Regiment nicht unser bisheriges Schicksal, den Gegenstand unserer unabläßigen Klagen zurückwünschen würden. Wir zitterten bey dieser prophetischen Warnung. Verdruß und Unwille über den neuen Diener von Graf Walters Rache lag sichtbar in den Zügen unserer bisherigen Kerkermeister, und doch getraueten sie sich kaum laut wider ihn zu murren; was für Aussichten für uns! Was mußte das für ein Mann seyn, welcher selbst jenen Unmenschen Furcht und Schrecken einjagen konnte!

      Er erschien wenig Stunden nach dieser Ankündigung, von unsern alten Hütern begleitet, in unserm Kerker, und wir wußten nicht, was wir aus ihm machen sollten. Walter Fürst, so hieß der künftige Gebieter über unser Schicksal, hatte ein Gesicht, welches Ehrfurcht und Zutrauen einzuflösen vermögend war, aber ein finsterer Zug entstellte es. Er würdigte uns kaum eines Anblicks, sondern sagte

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