Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz. Christiane Benedikte Naubert
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Wir fanden die Burgthore verschlossen, und die Zugbrücke aufgezogen, kein Zeichen, das wir geben konnten, vermochte uns Eingang zu verschaffen. Alles schien im Schloß wie ausgestorben zu seyn. Kein Schimmer von Licht ließ sich in den hochgewölbten Fenstern erblicken, und wir waren genöthigt, in einem kleinen verlassenen Gebäude diesseit des Grabens, zu übernachten.
Ueberzeugt, daß nur die Furcht vor feindlichen Ueberfall unsere Zurückgelassenen zu dieser hartnackigen Vorsichtigkeit hatte bewegen können, sahen wir dem Morgen ängstlich harrend entgegen. Wer wußte, ob der Feind hinter uns nicht den Sieg davon getragen hatte? wer wußte, ob er nicht, denselben vollkommen zu machen, die Flüchtigen hieher verfolgen, und sich zum Meister dieses Schlosses machen würde? – Ich hatte die Gräfinn von Rappersweil in schlechtem Schutz gelassen. Die Begierde meinen Oheim und meinen Geliebten zu retten, hatte gemacht, daß außer unsern Frauen niemand im Schloß zurück geblieben war, als der alte Hausverwalter, der Thurmwächter und wenige Bedienten.
Der erste war es, der uns bey Anbruch des Tages den Zugang zum Ort der Sicherheit eröffnete, wir hielten unsern traurigen Einzug, und wurden von dem schwachen Greise mit allen Merkmalen des Entsetzens empfangen. Unsre einsame Zurückkunft, und sein entstelltes Ansehen war der Gegenstand unserer ersten gegenseitigen Fragen, die von beyden Theilen unbeantwortet blieben. Ich eilte über den Burghof, um mich in die Arme meiner Freundinn zu werfen, und mit ihr die Maßregeln zu unserer künftigen Sicherheit zu nehmen, aber das erste, was sich meinen Augen am Eingange darbot, war ein Haufen blutender Leichname. Ich fuhr mit Entsetzen zurück, um zu fragen, was für schreckliche Dinge hier vorgegangen wären, aber das Entsetzen hemmte meine Worte, auch wurde ich durch die um Hülfe rufende Stimme meiner Begleiterinn unterbrochen, unter deren Händen der Schloßvogt, welcher vermuthlich bey Eröffnung der Pforten seine letzten Kräfte zugesetzt hatte, ohnmächtig geworden war.
Doch warum beschreibe ich bey dem Ueberfluß von traurigen Scenen, die meiner Feder bevorstehen, die erste so umständlich? Nichts also von dem, wie wir nach und nach hinter das fürchterliche Geheimniß kamen, sondern lieber sogleich den ganzen Vorgang.
Das einzige Gut, welches ich nach dem, Verlust meines Geliebten und meines Oheims noch besaß, meine Freundinn, meine Hedwig, auch sie war mir während meiner Abwesenheit entrissen worden. Unbekannte Feinde waren bald nach unserm Abzuge hereingedrungen, hatte die wenigen männlichen Bewohner des Schlosses theils getödet, theils tödlich verwundet, unsere Frauen, gebunden, die Gräfinn von Rappersweil mit ihren Kindern davon geführt, die Schloßpforten hinter sich verschlossen, die Zugbrücke aufgezogen, und die grauliche Einsamkeit zurückgelassen, welche ich hier fand. Der Thurmwächter und der Schloßvogt waren die einigen von den Männern, deren Wunden nicht den Tod nach sich gezogen hatten, und indessen der erste nach langsamer Erholung hinaufgegangen war, nach dem Zustand in den Gemächern zu sehen, hatte der andere der Hülfe von aussen den Zugang eröffnet.
Die entfesselten Weiber stürzten mir jetzt voll Verzweiflung entgegen und forderten von mir die Gräfinn, die ich hier, ach so unvorsichtig, so schlecht beschützt, zurückgelassen hatte! Unsere Furcht vor einiger weitern Gefahr wurde durch die Empfindung unsers Verlusts verschlungen, und wir wären eine leicht eroberte Beute unsres Feindes gewesen, wenn er sich des gegenwärtigen Augenblicks zu bedienen gewußt hätte.
Gegen den Mittag kamen einige Leute aus der benachbarten Gegend, und brachten die junge Elisabeth zurück, welche sie verirrt und weinend im Gebürge gefunden hatten. Ach! schrie sie, indem sie sich in meine Arme warf, ach gutes Fräulein! was ist aus meiner Mutter geworden! Ich konnte ihr nur mit meinen Thränen antworten, und auch sie war so außer sich, daß ich erst spät so viel erfuhr, wie man sie anfangs mit ihrer Mutter davon geführt, dann sie wegen ihres unablässigen Schreyens und Weinens lästig gefunden, und in dem Gebürge zurückgelassen hätte. Man stelle sich die Empfindung der Mutter bey der Trennung von der Tochter vor! Nichts als die Drohung, ihr auch ihren kleinen Sohn vom Busen zu reissen, hatte sie endlich Ergebung in den Willen ihrer Entführer lehren können!
Es war erst spät gegen den Abend, als ich Besonnenheit genug hatte, einige Anstalten zu unserer Sicherheit zu machen, und einige Nachfragen zu thun, welche mir nöthig dünkten. Die Burg ward gesperrt, die Toden, weil unsere Arme zu schwach zu ordentlicher Beerdigung waren, in den verfallnen Brunnen eines abgelegenen Hinterhofs geworfen, und alle Muthmassungen gesammelt, wer der Urheber unsres Unglücks seyn möchte. Der Hausverwalter, vor dessen Bette die Berathschlagung gehalten wurde, behauptete mit unumstößlichen Gründen, der Abt von Sankt Gallen, auf dessen Rechnung wir alles Unheil zu schreiben bereit waren, sey hier unschuldig, und er gab nicht undeutlich zu verstehen, daß er andere Muthmassungen habe. Die kleine Elisabeth, welche nie von meiner Seite ging, und die wir diesmal gar nicht bemerkt hatten, erhob ihre zarte Stimme, um zu versichern, sie habe unter den Entführern ihrer Mutter ein Gesicht erblickt, das Graf Waltern nicht ungleich gesehen habe, auch habe sie sich erkühnt, bittend seinen Namen zu nennen, aber ein unfreundlicher Stoß, und bald darauf die Zurücklassung im Gebürge sey der Lohn ihres Vorwitzes gewesen. –
Du irrest, mein Kind, sagte ich, denn alles andere abgerechnet, welches es unmöglich macht, daß unser Freund unser Verfolger seyn könne, so ist auch der Graf von Vatz ja der Theilnehmer der unglücklichen Gefangenschaft meines Oheims: hast du vergessen, was der Unglücksbote gestern bey seiner Ankunft aussagte?
Ja, wollte Gott, rief der kranke Greis, wir hätten diesen Unglücksboten genauer befragt oder scharfer bewacht. Doch wer konnte Mißtrauen in ihn setzen oder ihn bey der Todenschwäche, in welcher er zu seyn schien, der Flucht fähig halten?
Der Flucht? rief ich, der Bote ist geflohen, und wenn und warum geschahe dieses? –
Mittlerweile wir Anstalt machten ihm die Wunden zu verbinden, die unser keiner gesehen hat, und ihn auf einige Augenblicke verlassen hatten, entkam er. Die Zurüstung zum Aufbruch machte, daß wir ihn aus der Acht liessen, er hätte in der Zeit, da wir ihn verlassen hatten, sterben können, wär er so schwach gewesen, als er schien; wir suchten ihn, aber er war nirgend zu finden und wir meynten, unzeitige Tapferkeit und Treue könne ihn wohl veranlaßt haben, den Rettern seines Herrn zu folgen, und einen Weg zu unternehmen, dessen Ende für ihn der Tod seyn mußte.
Und wäre dies nicht möglich? rief ich, Werner war immer ein treuer Diener seines Grafen.
Der Hausvogt versicherte, daß ihm bey dem bald darauf folgenden Ueberfall Dinge vorgekommen wären, welche seiner Flucht eine andere Auslegung gäben, und wollte sich eben deutlicher hierüber erklären, als der Schall der Trompeten von aussen, uns alle aufschreckte, und einen jeden an den Posten trieb, welchen Pflicht und Neigung ihn anweisen. Der Thurmwächter stieg auf die Warte, meine Frauen versteckten sich, und ich mit der kleinen Elisabeth eilte auf die untere Zinne, um mich von der Beschaffenheit der Gefahr zu unterrichten.
Gott! schrie ich, beym ersten Anblick der Reisigen14, welche das Feld vor der Burg bedeckten, Graf Walters Leute! – Meines Oheims Fahnen! – Wache oder träume ich? Graf Venosta ritt jetzt hervor, um dem Thurmwächter, der von seiner Höhe herab die gewöhnlichen Fragen that, selbst zu antworten, aber mir fehlte die Geduld dieses abzuwarten. Die Burgpforten öffneten sich, die Zugbrücke flog nieder und ich lag in den Armen meines theuern geretteten Oheims, ehe ich noch den Gedanken von seiner Befreyung mit Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit zusammen räumen konnte.
Ja, ich bin frey, meine Tochter! rief Graf Zirio, als ich aus dem ersten Taumel des Entzückens zu mir selbst kam, und weißt du, wem du und ich Glück und Leben zu danken haben? Hier diesem Helden, den ich insgeheim so lang verkannte und ihm die Belohnung, die er längst verdiente, mißtrauisch vorenthielt.
Graf Walter? schrie ich, er, der selbst