Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz. Christiane Benedikte Naubert
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Ich saß einst weit nach Mitternacht, die Rückkunft meines Gemahls von einem Zechgelag zu erwarten, und mich auf die in solchen Fällen gewöhnlichen Auftritte zu bereiten, als Mechthild mit ängstlicher Geberde eintrat, und mir meldete, wie sie im Garten einige dunkle Gestalten wahrgenommen habe, die durch den blendenden neugefallnen Schnee ein noch fürchterlicheres Ansehen gewönnen, und wie sie, um die Wahrheit zu erkunden, hinab geeilt sey, und diejenigen mit sich gebracht habe, die sie in vergebliches Schrecken gesetzt hätten. Arme hilfsbedürftige Geister! setzte sie hinzu, die euch um Rettung anflehen. Ich kannte die Art der muthigen Mechthild, unangenehmen Dingen durch den Ton ihrer Erzählung das Schreckliche zu benehmen und erwartete den Eintritt der Fremden nicht ohne Herzklopfen. Aber wie ward mir, als ich den redlichen Abt Konrad, den ehrwürdigen Lüttger und noch einige andere Mönche eintreten sah; deren entstelltes Ansehen noch mehr als ihre Worte meinen Beystand forderte. O gute Gräfinn! schrie Konrad, alles ist für uns verloren. Das gefürchtete Unglück ist endlich ausbrochen, und wir sind alle Opfer des Todes, wenn ihr uns nicht zu schützen vermöget. Heute vor dem Altar nahm man mich und diese Männer im Namen unsers Grundherrn, Graf Walters, gefangen. Ein scheußliches Loch ward unser Gefängniß. Unsere Appellation an den Bischof von Chur ward verlacht, und einige Worte unserer Kerkermeister gaben uns zu verstehen, daß unser Schicksal auf immer entschieden seyn würde, ehe unsere Appellation an eine höhere Macht gelangen könne. Uns ist bekannt, was in Klöstern möglich ist. Todesahndung umschwebte uns. Das Geräusch der Schwelgerey, welches diesen ganzen Tag hindurch über uns ertönte, vermehrte unsere Besorgnisse. Welche Unthaten sind bereits von trunkenen Mönchen verübt worden! Einer meiner heimlichen Freunde fand Mittel, sich zu uns in den Kerker zu stehlen, und uns die Wahrheit unserer Besorgnisse vor Augen zu legen. Die Feinde der Ordnung und Tugend werden von dem Grafen von Vatz geschützt; er selbst ist gegenwärtig im Kloster, und wir würden wahrscheinlich schon nicht mehr seyn, wenn uns unser Kundschafter nicht heimlich davon geholfen hätte und mit uns geflohen wär. Unser Leben steht nun in eurer Hand, rettet uns durch Vorbitte oder Verbergung, ihr seyd die einige Zuflucht, die uns nahe genug war, vor der Ankunft unserer Feinde erreicht zu werden.
Vorbitte? rief ich, indem ich eine Thür meines Kabinets aufschloß, welche zu meinen Bädern hinab führte, Vorbitte bey Graf Waltern? Augenblickliche Flucht ist das einige Rettungsmittel! Folgt mir ohne Verweilen! Ich ging voran, die Männer folgten mir nach, und wir gingen einen weiten unterirdischen Weg, der mir allein bekannt war, und der einen Ausgang ins Gebürg hatte, wo ich meine Geretteten verließ, überzeugt, daß sie durch Lüttgers Hülfe, welcher in diesen Gegenden, die er mit mir beym Kräutersuchen so oft durchstrichen hatte, wohl bekannt war, sich leicht würden zurecht finden können.
Die Hälfte der Nacht war über dieser Begleitung verflossen. Ich fand den wüthenden Walter in meinem Zimmer, und ein fürchterliches Ungewitter brach über mich los. Ueberzeugt, daß meine Freunde nun geborgen seyn müßten, leugnete ich ihm nichts, ich beantwortete seine Schmähungen mit Vorwürfen wegen des Worts, das er mir ehemals gab, den bedrängten Konrad immer bey seinen Rechten zu schützen, und das er nun so schändlich gebrochen hatte. Meine Worte hatten Wahrheit und Nachdruck für sich, aber ich war die schwächere. Niemand war, der mich hören und zwischen mir und Graf Waltern richten konnte, mir wiederfuhr die unwürdigste Begegnung, und mein Zimmer ward mein Gefängniß.
Das Volk, das mich liebte, schrie über Gewaltthat, als Mechtild Mittel fand, das was ich erlitt, auszubringen, aber der Graf von Vatz sprach lauter als sie. Ein schimpfliches Verständniß mit dem vertriebenen Abt des Klosters Kurwalde, das man mir schuld gab, beschönigte die Härte, mit welcher man mich behandelte, und man sah es ohne sonderliche Bewegung, als ich in wenig Tagen unter starker Bedeckung, niemand wußte wohin, abgeführt, und mir so gar der Trost geraubt wurde, meine Mechtild und das junge Fräulein von Rappersweil zu Begleiterinnen zu haben. Nur Heinrich von Melchthal, einer der vornehmsten Einwohner der Gegend, ein Mann, in welchem ganz der Geist helvetischen Muths und ächter Freyheitsliebe athmete, wagte es, laut wider meinen Tyrannen zu murren, und Gefühle des Unwillens unter seinen Gefärthen zu verbreiten, welche mich hätten retten können, wenn man nicht zu sehr geeilt hätte, mich dem Volke aus den Augen zu bringen.
Jenseit dem Hasliberge18, ob dem Thuner See, liegt ein altes Schloß, der Familie von Uspunnen gehörig, welche seit undenklichen Zeiten mit den Grafen von Vatz und Sargans im Bunde stand. Gegenwärtig lag es wüste, der Eigenthümer lebte im fernen Italien, und hatte seinem Freunde, Graf Waltern, den er in diesen Gegenden sehr gut gekannt hatte, den freyen Gebrauch eines Orts überlassen, welcher schwerlich zu etwas anders dienen konnte, als dazu, wozu er jetzt gebraucht ward, zur Einkerkerung unschuldiger Personen.
Der Weg nach dieser Gegend, den man mich führte, war lang und grauenvoll, aber der Ort meiner Bestimmung selbst übertraf alle Schrecknisse, die ich in den fürchterlichen Gebürgen gefunden hatte, bey weitem. Ein uraltes Felsennest, das zu Zeiten Karls des Großen gebaut war, und bey dem unaufhörlichen Reissen der Stürme und Wühlen der Ströme, längst dem Einsturz drohte, nahm mich auf. Ich sah es von weitem an einer steilen Felsenklippe hängen, und bebte, da man mir es als meine künftige Wohnung nannte. Ich Thörinn! Mit Entzücken floh ich einst in Walters Arme, wo ich den Himmel zu finden dachte, und ward getäuscht. Mit Todesahndung nahte ich mich den Ruinen des Schlosses Uspunnen19, und ward ebenfalls getäuscht. Wird denn der kurzsichtige Sterbliche nie begreifen lernen, daß das Wesen einer Sache und ihre Außenseite meistens verschieden sind? Doch ein oder zwey Erfahrungen dieser Art machen uns weise und ruhig, und lehren uns jenen Gleichmuth, welcher uns über das Lächeln und Drohen des Glücks erhebt, uns gleich stark gegen thörichte Wünsche und unnöthige Besorgnisse macht.
Ich war in der That in den ersten Wochen meines Gefängnisses höchst elend. Meine Lage ward durch Mangel an den nöthigsten Bedürfnissen und Bequemlichkeiten erschwert, und durch die graulichste Einsamkeit fast unerträglich gemacht. Ich sehnte mich nach Gesellschaft, sollte es auch eine solche seyn, welche mich dem äußerlichen Anschein nach weder Unterhaltung noch Trost hoffen lassen konnte. Ich sah oft aus meinem vergitterten Fenster in den verwilderten Garten, welchen zu besuchen mir nicht vergönnt war, einen drey- bis vierjährigen Knaben spielen, dessen unschuldige Fröhlichkeit einen Eindruck auf mich machte, welcher oft die Thränen aus meinen Augen trieb.
Holdes unschuldiges Geschöpf! sagte ich bey mir selbst, diese Gegend ist dir ein Paradies, weil du keine andre kennst! du bist arm, verlassen, vielleicht tausend Gefahren ausgesetzt, ohne es zu fühlen. Das Andenken an die Vergangenheit bekümmert dich so wenig, als die Sorge für die Zukunft, und schwerlich könnte dich ein König glücklicher machen, als du gegenwärtig bist. O daß ich dich in meine Arme schliessen, mich an deinen holden Lächeln weiden und von dir die Kunst im Kerker glücklich zu seyn lernen könnte.
Ich eröffnete meinen Wunsch meinen Aufsehern, und nach einigen Weigerungen ward es mir vergönnt, den kleinen Rudolf zuweilen auf meiner Kammer zu sehen.
Rudolf? sagte ich, als er mir zuerst seinen Namen nannte, Rudolf? wiederholte ich, als ich seine Gesichtszüge untersuchte und Aehnlichkeiten in denselben entdeckte, welche mich in Erstaunen setzten. Und wie ward mir erst, als der liebenswürdige Kleine, ach ein alter Bekannter von mir! seine Mutter mit dem Namen, Hedwig von Rappersweil, nannte.
Ja, diese theure, längst aufgegebene Freundinn theilte diesen Ort des Schreckens mit mir, ich athmete mit ihr einerley Luft, konnte hoffen, sie jeden Tag zu sehen, und die Freude hierüber