Das Mädchen mit den Schlittschuhen. Michael W. Caden
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Читать онлайн книгу Das Mädchen mit den Schlittschuhen - Michael W. Caden страница 7
Albert war gerührt. Er bedankte sich, zog eine kleine Pocketkamera aus der linken Hosentasche und fotografierte den Eintrag. Zum Abschied schenkte der Pfarrer ihm einige Zweige von einem Fliederstrauch, der vor der Kirche wuchs. Er reichte sie ihm und sagte etwas. Albert wandte sich Heinrich zu und schaute ihn mit großen Augen fragend an.
»Der Pfarrer wünscht dir, dass der Fliederzweig in deiner jetzigen Heimat ausschlagen und zu einem neuen Baum heranwachsen möge. Er bedankt sich für unseren Besuch und sagt, dass wir jederzeit wiederkommen können. Und du solltest auch keine Angst davor haben, in euer altes Haus zurückzukehren. Der Pfarrer sagt, er kennt die Leute. Sie heißen Wójcik, und es seien gottesfürchtige und gastfreundliche Menschen.«
Albert bedankte sich bei dem Geistlichen. Dann gingen Heinrich und er wieder zu dem kleinen Parkplatz vor der Kirche, wo Heinrich den Fiesta geparkt hatte. Offenbar hatte Heinrich mit dem Pfarrer über den Vorfall in Klotainen gesprochen. Alberts Entschluss stand nunmehr fest.
»Komm«, meinte er zu Heinrich, »wir fahren noch einmal zum Haus.«
Kaum angekommen, drückte Heinrich den stark verrosteten Klingelknopf neben der Eingangstür. »Stanislaw Wójcik und Danuta Laski« stand auf einem kleinen Türschild in Handschrift geschrieben. Sie warteten eine Weile. Doch nichts geschah. Heinrich betätigte den Knopf ein zweites Mal.
»Dzien dobry.«
Ein älterer Mann, etwa 80 Jahre alt, war um die Hausecke gekommen und grüßte die Ankömmlinge. Er trug eine gewöhnliche Arbeitshose und kam offenbar von der Gartenarbeit. In einer Hand hielt er einen Rechen.
Heinrich und der Fremde redeten miteinander. Der alte Pole schaute Albert kurz an, lächelte und nickte. Dann öffnete er die Tür. Die beiden gingen hinein. Albert folgte ihnen, während er bemerkte, wie der ältere Herr ihn in der Diele beäugte.
»Albert, das ist Herr Wójcik. Ich habe ihm erzählt, warum wir hier sind und dass du früher einmal in diesem Haus gewohnt hast. Er hat uns ins Haus gebeten und möchte wissen, wo du jetzt beheimatet bist. Und warum wir beim ersten Besuch nicht hinein gekommen sind?«
Albert reichte ihm die Hand, tat zunächst aber einmal so, als habe er die Fragen nicht verstanden.
Der Alte hatte sie also ganz offensichtlich bemerkt. Egal! Zum ersten Mal seit Jahren stand Albert wieder im Flur seines Elternhauses. Sein Blick fiel sofort auf die Holztreppe, während Heinrich sich angeregt mit dem alten Mann auf Polnisch unterhielt. Hier vom Flur aus gelangte man über diese Treppe direkt zum Speicher. Dort befand sich eine große Räucherstube. Hinter einem Balken hatten Albert und sein Bruder Karl ein kleines Messer versteckt – für den Schinken und die Grützwurst. Auch die kleinen Steinkys waren eben Selbstversorger.
Heinrich winkte Albert zu.
»Wir sollen doch bitte in die Wohnstube kommen, meint Herr Wójcik.«
Höflich, dieser alte Pole, dachte Albert.
»Er wohnt hier mit seiner Tochter Danuta und seiner Enkelin Patricya. Seine Frau ist vor einigen Jahren an Krebs gestorben«, erzählte Heinrich, während sie gemeinsam durch die Küche den Wohnraum betraten.
Was der in der kurzen Zeit alles rausbekommen hat, wunderte sich Albert. Er spürte die Anspannung. In der Wohnstube war alles noch wie früher, lediglich die Möbel waren andere. Albert traute seinen Augen kaum: Da stand ja noch der alte, gewaltige Kachelofen. Er war ein Allesfresser. Er fraß Holz, Briketts oder Torf. Lediglich die Sitzbank war verschwunden. Wie oft hatte Mutter am Abend dort mit ihm und seinen beiden Geschwistern gesessen und Geschichten aus ihrem Heimatdorf Raunau erzählt, von dem Hof, den ihr Vater dort hatte, von ihren Geschwistern oder von der Arbeit auf dem Rittergut. Manchmal lauschten sie aber auch nur der Musik aus dem Grammophon, das der Vater vom Frankreichfeldzug mitgebracht hatte. Man konnte sich so herrlich am Ofen anlehnen, und im Winter strich einem die Wärme angenehm über den Rücken, während man aus dem Fenster blickte, wo sich an eisigen Tagen bizarre Eisblumen bildeten.
»Schau Heinrich, hier oben ist ein kleines Türchen.«
Albert deutete auf den Kachelofen.
»Hier konnte man Äpfel zum Schmorren reinlegen. Mann, was waren die lecker!«
Heinrich und ihr polnischer Gastgeber hatten bereits Platz an einem Tisch genommen.
»Herr Wójcik fragt, ob du auch einen kurzen Blick ins Schlafzimmer werfen möchtest.«
Natürlich wollte er. Als Kind hatte er es nie so richtig gemocht. Schließlich musste er sich diese kleine Stube mit seinen beiden Geschwistern teilen. Doch hier und heute, das war etwas anderes. Wie oft war er von dort aus durchs Fenster gestiegen, nur weil ihm der Weg durch die Haustür zu weit war.
»Ja«, meinte Albert. »Gerne.«
Auch im Schlafzimmer schien die Zeit stehengeblieben, nur eben die Möbel waren auch hier nicht mehr dieselben. Beim Blick in dieses Zimmer bekam Albert Gänsehaut. Die Eindrücke und die Erinnerungen überwältigten ihn.
»Früher war dies das Schlafzimmer der Kinder«, erzählte er. »In einer hinteren Ecke stand ein großer Kleiderschrank mit vielen kleinen Fächern. Dort wurden auch unsere Kleider und Schuhe aufbewahrt. Schuhe hatte ich nur zwei Paar, ein Paar für jeden Tag und dann meine Sonntagsschuhe, auf die ich nichts kommen lassen durfte. Da war unsere Mutter ganz penibel.«
Albert hörte, wie der alte Pole leise mit Heinrich sprach.
»Albert! Herr Wójcik sagt, dass es den alten Schrank, der früher in diesem Zimmer stand, noch gibt. Er hat ihn auf den Speicher gebracht und bewahrt darin Dinge auf, die er nicht mehr braucht.«
Albert wollte es kaum glauben. Hatte er richtig gehört? Den alten Schrank, es gab ihn noch. Ja, warum auch nicht. Er war massiv aus Eiche. Deutsche Wertarbeit, wie es so schön heißt. Robust. Etwas, was man nicht so schnell kaputt kriegt. Etwas für die Ewigkeit. Wenn der alte Schrank noch existierte, vielleicht befanden sich darin auch noch seine Schlittschuhe, die er bei der Flucht zurücklassen musste, schoss es ihm unwillkürlich durch den Kopf.
»Heinrich, kannst du dich noch erinnern? Ich hatte dir am See doch von den Schlittschuhen erzählt, die mir mein Vater zum 12. Geburtstag geschenkt hatte.«
»Ja, Albert! Was ist damit?«
Heinrich schaute Albert fragend an.
»Meine Mutter hatte sie in dem Schrank in einem geheimen Staufach versteckt, als ich mir damit einmal einen Schuhabsatz kaputt fuhr. Sie dachte immer, wir Kinder hätten keine Ahnung von der Existenz dieses Faches.«
Albert wirkte geradezu euphorisch.
Wieder sprach Heinrich mit dem Gastgeber.
»Herr Wójcik sagt, dass er noch nie irgendwelche Schlittschuhe in dem Schrank gesehen hat. Er sagt, wenn du möchtest, können wir gerne nach oben gehen und uns den Schrank und das Fach anschauen.«
Die drei hielt es jetzt nicht mehr in dem