Wie frei wir sind, ist unsere Sache. Ulrich Pothast

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Wie frei wir sind, ist unsere Sache - Ulrich Pothast

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      Zu dieser intimen, ja, traditionell gesagt, innigen Zugehörigkeit eigenen Wollens tritt die weitere Eigenschaft, dass wir uns in solchem Wollen, genauer: im Moment des Übergangs zu eigenem Wollen, als selbst aktiv erleben. Das eigene Wollen hat eine Aktivitätsfärbung. Wir erleben unser Wollen wie etwas, das im Modus unseres aktiven Optierens von der eigenen Person her sich auf mögliche Ziele oder einzelne Handlungen richtet. Dass wir uns im Übergang zu eigenem Wollen als selbst aktiv erleben, wird besonders deutlich, wenn wir es mit anderen Typen des Erlebens vergleichen, etwa mit einer Trauer. Wir sagen, die Trauer überfällt uns. Sie mag ausgelöst sein durch ein äußeres Ereignis, eine Nachricht, eine widrige Lebenssituation. Aber sie kommt auch gelegentlich ohne erkennbaren Auslöser. Der sehr auffällige Unterschied zum Wollen besteht darin, dass wir uns in der Trauer gerade nicht als aktiv empfinden. Wir fühlen uns dabei eher passiv, hinnehmend – weshalb die Trauer von alters her zu den passiones gerechnet wird, Seelenbewegungen, die wir erleiden.

      Es ist vor allem die Aktivitätsfärbung, die es macht, dass wir versucht sein können zu meinen, unser Wollen unterliege unserem Belieben. Wenn sich ein bestimmtes Wollen gebildet hat, erinnern wir sein Auftreten nicht wie etwas, das über uns hereinbrach. Eher erinnern wir es wie einen Übergang, bei dem wir – auf freilich unklare Weise – aktiv waren. Ist jedoch ein bestimmtes Wollen einmal ausgebildet, widersteht es mit seiner charakteristischen Tatsächlichkeit dem Unterfangen, ihm nach Belieben eine andere Richtung zu geben.

      Eine dritte Eigenschaft erlebten Wollens ist schwerer greifbar. Es erscheint sinnvoll, zu ihrer Beschreibung eine räumliche Metapher zu benutzen. Die Seele wird zwar traditionell als unräumlich vorgestellt, und sichere räumliche Koordinaten haben wir für unser Erleben als Erleben auch in der Tat nicht. Jedoch scheint unser Wollen, wenn es sich besonders deutlich geltend macht, zu einer Art Zentralbereich oder Zentrum unserer bewussten Wirklichkeit zu gehören. Es gibt für das Bewusstseinsleben als Ganzes die Metapher des »inneren Raumes«. Geben wir der Metapher qua Metapher ein begrenztes Recht, dann können wir die jetzt genannte Besonderheit erlebten Wollens als »Zentralität« ansprechen. »Zentralität« in diesem Sinn ist als Wortbildung zwar ungewohnt. Das Wort entspricht aber bei stark ausgeprägtem und deutlich sich geltend machendem Wollen der Weise, wie wir solches Wollen erleben. Das Wollen scheint von einem Zentrum des eigenen Bewusstseinsfeldes aktiv auszugehen. Wo die Ursachen für das liegen, was hier »Zentralität« genannt wird, bleibe dahingestellt. Generell gilt, dass wir beim Versuch, unser bewusstes Leben zu beschreiben, das dort Gefundene, wie George Eliot sagt, nur mit einer »dürftigen Garderobe von Begriffen«2 bekleiden können und nie sicher sind, ob die Stücke dieser Garderobe wirklich passen.

      Vor allem Aktivitätsfärbung und Zentralität tragen dazu bei, dass wir glauben können und viele Philosophen auch geglaubt haben, wir wählten unser Wollen in der gleichen direkten Weise, wie wir unsere Handlungen wählen. Viele dieser Philosophen drückten das so aus, dass sie sagten, wir »bestimmen« unseren Willen unmittelbar selbst. Als Beispiel haben wir Immanuel Kant zitiert mit der These, die praktische Vernunft des Menschen bestimme den Willen unmittelbar. Viele Philosophen sprechen sinngemäß auch heute noch so, vor allem, wenn es um die These der Willensbestimmung durch vernünftige Gründe geht. Die zugeordneten Theorien sind im Detail recht verschieden. Einzelne Auffassungen dieser Art, die in der Gegenwart besonders wirkungsmächtig sind, werden wir noch kennenlernen.

      Gegen den Gedanken der unmittelbaren Bestimmung des eigenen Willens ist in der Sache zu betonen: Unser Wählen eigener Handlungen einerseits und unser Einfluss auf eigenes Wollen bzw. den eigenen Willen auf der anderen Seite sind ihrer Struktur nach radikal verschieden. Darauf, dass diese elementare Verschiedenheit übersehen wird, gehen zahllose Wirrnisse philosophischen Nachdenkens, aber auch populärer Willensvorstellungen zurück. Das reicht bis zu folgenreichen Mängeln in der Weise, wie Recht und Gesetz unseren Einfluss auf eigenes Wollen dargestellt haben oder noch darstellen.

      Das Hervorrufen unserer Handlungen erleben wir bei vorhandenem Wollen wie einen direkten Zugriff auf relevante Teile unserer Muskulatur mit dem Effekt, dass bestimmte Körperbewegungen eintreten, ggf. auch Bewegungen der Sprechorgane. Damit kommt die gewollte Handlung in der Welt zustande. Wie unser wollender Zugriff auf bestimmte Muskeln über das Zentralnervensystem erfolgt, stellt sich uns im Bewusstsein nicht dar. Gewöhnlich könnten wir auch die Muskeln gar nicht benennen, auf die wir zugreifen. Wir wollen eine bestimmte Körperbewegung, und wenn wir sie jetzt und hier wollen und keine Hindernisse, Lähmungen oder dergleichen bestehen, tritt die Bewegung ein. Entscheidend für den Unterschied zum stets nur indirekten Einfluss auf unser Wollen ist, dass wir das gewollte Auslösen einer Handlung als umweglosen Zugriff auf eigene Muskeln mit danach erfolgender Körperbewegung (auch Bewegung der Sprechorgane) erfahren.

      Besonders deutlich lassen sich weitere Eigentümlichkeiten dieses direkten Übergangs vom Wollen zum Tun bei Handlungen erleben, die eine zeitliche Erstreckung haben, selbst wenn diese Erstreckung nur eine kurze Zeit währt. Eine vom Wollen in Gang gesetzte Handlung, z. B. die Bewegung einer Hand beim Zeichnen oder beim Führen eines Werkzeugs, können wir dank unserer kontinuierlichen Beobachtung in ihrem Verlauf Punkt für Punkt verfolgen. Wir können Fehler, die im Bewegungsablauf auftreten, durch Beobachtung oft schnell erkennen und oft auch noch in der Bewegung korrigieren. Sehr auffällig ist das bei Fehlern der Sprechorgane: Versprecher registrieren wir oft sofort und versuchen, uns zu verbessern. Wir wissen normalerweise auch in jedem Augenblick eines zeitlichen Verlaufs, wie weit die Bewegung, die wir ausführen wollen, gediehen ist. Das heißt, wir haben die kontinuierliche Kontrolle unseres willentlichen Tuns in seiner zeitlichen Erstreckung. Wenn die Gefahr droht, dass wir eine willentlich angefangene Handlung nicht zu dem gewollten Ende bringen können, wenn z. B. das ergriffene Werkzeug zu schwergängig ist, können wir die Handlung abbrechen und mit veränderter Handhaltung (oder anderen Veränderungen) neu ansetzen. Diese uns typischerweise gegebene, kontinuierliche Verlaufskontrolle beim willentlichen Handeln ist ein großer Vorzug des direkten Verhältnisses von Wollen zu Tun. Dieses direkte Verhältnis erlaubt es uns normalerweise, unser Tun in jeder Phase Schritt für Schritt, Punkt für Punkt wahrnehmend zu verfolgen – und gegebenenfalls zu korrigieren.

      Vollkommen anders ist unser Verhältnis zum eigenen Wollen. Wir können unser Wollen nicht wie mit einem inneren Werkzeug dahin oder dorthin richten oder sonstwie geradewegs steuern. Auf unser Wollen können wir nicht zugreifen wie auf unsere Hand, unseren Zeigefinger, unsere Sprechorgane. Unser Wollen stellt sich dar mit Meinigkeit, Aktivitätsfärbung und Zentralität, aber auch, wenn es einmal ausgebildet ist, mit einer typischen Widerständigkeit gegenüber dem Versuch, es durch direkten Zugriff zu ändern. Wenn wir unser Wollen beeinflussen möchten, müssen wir zu Verfahren des indirekten Selbsteinflusses greifen, eines Einflusses, der vom willentlichen Auslösen eigener Körperbewegungen erkennbar verschieden ist. Dies ist eine wichtige und folgenreiche Erkenntnis: Unsere Handlungen wählen wir direkt, unser Wollen können wir nur indirekt beeinflussen.

      Wenn Sie sich den Unterschied zwischen unserem Auslösen einer Handlung und unserem Verhältnis zu eigenem Wollen durch ein Probe-Erleben verdeutlichen möchten: Machen sie einen Selbstversuch. Machen Sie sich zunächst klar, welche Körperhaltung Sie gerade haben, wählen Sie eine andere Ihnen mögliche Körperhaltung, und führen Sie die Bewegung aus, die Sie in diese andere Körperhaltung bringt. Beachten sie im Rückblick: Wenn Sie eine Haltung gewählt haben, die für Sie im Bereich des Ausführbaren lag und keine Bedenken oder Sonstiges Sie zurückhielten, haben Sie die gewählte Bewegung ausgeführt. Ihre Wahl führte bei Abwesenheit hinderlicher Faktoren ohne weiteren Umweg zu dieser Bewegung. Sie konnten die gewählte Bewegung in ihrem Verlauf mit Ihrer Aufmerksamkeit Punkt für Punkt begleiten. Sie konnten gegebenenfalls sagen, wie weit Sie jetzt und hier mit dem Ausführen Ihrer Absicht gekommen sind, und Sie konnten Fehler, die Sie im Fall einer komplizierten Bewegung vielleicht gemacht haben, rasch erkennen und korrigieren, d. h. den Prozess nachsteuern.

      Nun

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