Er, Sie und Es. Marge Piercy

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Er, Sie und Es - Marge Piercy страница 11

Er, Sie und Es - Marge Piercy

Скачать книгу

Thaddeus wird verleitet zu Haarspaltereien über immer feinere Einzelheiten, untermauert von Zitaten und winzigen Unterschieden. Als es ihm endlich gelingt, sich daraus zu befreien, ist die vereinbarte Zeit verstrichen. Keiner hat gewonnen, und Thaddeus ist wütend, denn zu spät erkennt er die Kriegslist des Maharal – ihn in formelle Diskurse zu locken, die die blutrünstige Menge langweilen, ihn in akademische Erörterungen zu locken, die den Maharal als Gleichen behandeln und nicht als den Satan in Person. Die Menge kam zu einem Turnier und erlebte ein Seminar.

      Der Maharal hat keine Zeit, sich an seinem geknebelten Sieg zu erfreuen. Ostern ist eine gefährliche Zeit und Ostern steht vor der Tür. Zu Ostern rotten sich oft Horden zusammen und schlagen drein. Zu Ostern kann es geschehen, dass angesehene Juden ergriffen und gefoltert werden, bis sie gestehen oder sterben.

      Judah betet und fastet und bringt sich in Einklang mit den höchsten Sphären gemäß den Regeln der Kabbala durch die Speichen aller Emanationen bis hin zu dem All, welches das Nichts ist, das En Sof. Thaddeus ist erzürnt und wird seine Rache nehmen. In Judah kommen der Zaddik – der Gerechte – und der Chassid – der Fromme – zusammen. Ein Mystiker und ein Handelnder, tätig, leidenschaftlich, getrieben, kann sich Judah nie in seiner Meditation verschließen und die Gemeinde vergessen. Er betet und fastet und fastet und betet um eine Antwort auf die Gefahr, die er riechen, schmecken kann.

      Dann, am siebenten Fastentag, schläft der Maharal über seinem Arbeitstisch ein, auf dem sich die hebräischen Seiten türmen, alte und neue Bücher und Reinschriften von Manuskripten fünfzig Gelehrter. Ihm träumt, er steht auf dem jüdischen Friedhof, inmitten der dicht gedrängten, windschiefen Grabsteine, die an die Seiten eines aufgeblätterten Folianten erinnern. Überall wehklagen Menschen und heben hastig Gräber aus. Er sieht einen Hügel aus bleichen Leibern, alle übereinandergeworfen. Er hat die zierliche Pinkas-Synagoge vor sich, und während er ihre Wand anschaut, schreibt eine Hand aus Licht das Wort GOLEM. Von rechts nach links schreibt sie immer wieder dieses Wort. Dann ruft eine Stimme, die ihm in den Ohren brennt, seinen Namen, einmal, zweimal. »Judah, du musst einen Golem aus Lehm machen, damit er aufsteht und das Ghetto bewacht und dein Volk rettet. Zaudere nicht. Steh auf und mache einen Golem.«

      Yod, die Fähigkeit, Visionen zu sehen, ist eine von jenen menschlichen Begabungen, die gedeihen, wenn sie von einer Gemeinschaft belohnt werden, und die in den meisten von uns verdorren, wenn sie von der Gemeinschaft bestraft werden. Das heißt, ob die Fähigkeit, die Hand von ha-schem an die Wand schreiben zu sehen, Anerkennung einbringt für deinen frommen und prophetischen Scharfsinn oder ob du deswegen in der Klapsmühle landest, entscheidet darüber, wie viele Menschen in einer Gemeinschaft es sich zur Gewohnheit machen, das zu sehen, von dem andere meinen, es sei nicht wirklich da. Der Maharal hat die Fähigkeit entwickelt, Visionen zu sehen, denn sie ermöglichen ihm, zu meditieren, seinen Geist zu klären und das zu erfassen, was er für höhere Wahrheit hält. Aber wie die meisten Juden seiner Tradition hört er öfter Stimmen, und die Stimmen unterweisen ihn in seiner Pflicht.

      Was ist der Golem, den zu machen ihm die Stimme befiehlt? Ein Wesen in menschlicher Gestalt, nicht vom ha-schem gemacht, sondern von einem anderen Menschenwesen vermittels esoterischen Wissens, insbesondere durch die Macht der Worte und Buchstaben. Das Sefer jezira, das mystische Buch der Schöpfung, soll das enthalten, was man meistern muss, um mit der Macht der Namen G-s und der Macht der Buchstaben und Zahlen einen Golem zu formen. Kabbalistische Tradition berichtet uns von vielen Weisen und Heiligen, die einen Golem erschufen, nicht zu irgendeinem Zweck, sondern als mystischen Ritus. Sie machten und zerstörten die wandelnden Lehmmänner, vereinten sich dabei mit der Schöpfungskraft und versetzten sich durch Gesang und den Schöpfungsakt in höchste Verzückung. Es war eine der Ruhmeskronen, die ein wahrhaft Heiliger tragen konnte. Gelegentlich wird uns auch von Weisen berichtet, die sich einen Golem zu privaten Zwecken machten, um Botschaften zu überbringen, das Haus sauber zu halten, so wie wir dafür Roboter benutzen, und diese Golems waren sowohl stumm als dumm.

      Einzigartig ist, dass Judahs Golem nicht erfunden werden soll, um des Rabbis meisterliche Beherrschung des esoterischen Wissens zu beweisen. Ihm ist aufgetragen, so glaubt er, einen Golem zu erschaffen, der kämpfen, wachen, retten soll. Deshalb muss dieser Golem mit Verstand und der Gabe der Sprache geformt werden. Er soll eine Ein-Mann-Armee werden. Von dem Moment an, da Judah die Hand ›golem‹ schreiben sieht und die Stimme hört, die ihm zuruft, aufzustehen und dieses Geschöpf zu erschaffen, fragt er sich: Werde ich das wirklich tun? Sowie er die Möglichkeit erwogen hat, weiß er, dieses Unterfangen muss er geheim halten. Er hegt nicht den Wunsch, als Hexenmeister gefoltert zu werden, ein Weg, der einem polemischen, scharfzüngigen Rabbi stets offen steht.

      Als eine, die selbst seit zwei Jahren an einem Geheimprojekt mitwirkt, identifiziere ich mich mit seinen Bedenken. Zu jedem Augenblick der Geschichte sind gewisse Richtungen, die dem forschenden Geist und der experimentierenden Hand offen stehen, verboten. Nicht immer ist das Wissen verboten, weil gefährlich: Regierungen geben ohne weiteres Milliarden für Waffen aus und verbieten kleinen Sekten das Peyote ihrer Ekstase. Was uns zu wissen verboten ist, kann – auch scheinbar – das sein, was uns zu wissen am meisten nottut.

      Überdies reißt ein Mensch, der ein anderes menschliches Wesen erschafft, die Macht des ha-schem an sich. Er riskiert eine erschreckende Selbstverherrlichung. Er erhöht sich selbst über das Menschliche. Das ist gefährlich für die Seele, gefährlich für die Welt. Sobald Menschengeist eine Möglichkeit ersinnt, will er das Mögliche verwirklichen. Er will tun, ganz gleich, um welchen Preis. Der Maharal ahnt und weiß um menschliche Schwäche. Er schläft nicht und trinkt kaum ein wenig Wasser. Er kann nicht entscheiden, worin der wahre Weg liegt: Kommt seine Vision von ha-schem oder von seinem eigenen Ich, seinem Verlangen, sich als gelehrt zu erweisen, als heilig, als ebenso mächtig wie die Rabbis vor ihm, die Golems erschufen?

      Der Maharal ringt eine ganze Woche lang mit sich, ob die Vision, die ihm kam, eine Versuchung ist oder ein wahres Gebot, eine wahre mizwa, die ausgeführt werden muss. Er schwankt. Noch nie zuvor hat in ihm so fiebrige Unentschlossenheit gebrannt. Er hat Angst zu handeln. Er findet immer wieder Gründe, sich seine Skepsis zu bewahren.

      Einmal vor Jahren traf ich meine Tochter Riva heimlich in den Tiefen des Glop, diesem vollgestopften, stinkenden Slum, in dem die meisten Menschen leben. Damals, wir kauerten in einem Speicher voll zerborstener und verschrotteter Maschinen, sprach sie zu mir über die Versuchung der Gefahr: wie manchmal die nahezu gänzliche Unmöglichkeit der Durchführung einer Aktion sie unwiderstehlich macht. Sie muss es tun, weil man es nicht tun kann, weil es nicht nur verboten ist, sondern darüber hinaus als undurchführbar gilt. Zu der Zeit begann sie, von der reinen Datenpiraterie zu etwas Politischerem überzugehen, zu etwas noch Gefährlicherem. Da begann sie ihren Kreuzzug, Information von den Multis zu befreien. Der Maharal, er liegt wach, wie ich wachliege, hat Angst vor dem Heilmittel, für dessen Herbeischaffung er sein Leben wagen müsste, so wie er Angst hat vor der wachsenden Gefahr für die, die in seiner Obhut leben. Er kann sich nicht entscheiden, er liegt reglos vor der Nacht und dem Kommenden, er wartet auf ein weiteres Zeichen.

      4

Shira

      Durch das brennende Labyrinth

      Am Tag der Aprilscherze mischte sich Shira, deren rückenfreie Dienstkluft hier auffiel, unter die hunderttausend Tagelöhner, die den Untergrundzug nach Osten nahmen. Die zwölf Rolltreppen zur U-Bahnstation lagen unmittelbar außerhalb des Kuppeldoms, und der Gluthauch der Fünf-Uhr-Hitze legte sich mit sengender Last auf sie. Ihr Anzug war weiß, da sie offiziell von Y-S Abschied nahm. Die einfahrenden Arbeiter standen in der immer noch gefährlichen Nachmittagssonne Schlange, um nach dem Scannen ihrer Handflächen in den Kuppeldom eingelassen zu werden, aber wer rauswollte, musste sich nicht scannen lassen. Wenn sich jemand aus der Sicherheit hinaus in die Hölle begeben wollte, war das seine Sache. Niemand würde sich zu Fuß davonmachen in die Wüste von Nebraska.

      Shira nahm

Скачать книгу