Er, Sie und Es. Marge Piercy

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Er, Sie und Es - Marge Piercy

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Shira blieb stehen, ging weiter. Fünf Minuten später könnte sie dort liegen. Überall bekriegten sich die Zeichen von zwei Gangs, ins Pflaster gelasert, auf Wände gesprüht. Umkämpfte Reviere waren gefährliches Gebiet, Kriegszone.

      Sie sah eine Treppe vor sich. Eine Schranke war davor errichtet, bewacht von einer Gruppe, die wie der niedergestochene Junge gekleidet war. Sie hatten einen alten, notdürftig hergerichteten Handleser, und die Schlange schob sich daran vorbei. Shira ließ sich den Treppenzoll ablesen, ging durch die Sicherheitsschranke, bezahlte und stieg empor in die Ödnis. Teile des Glop waren unter Kuppeln, aber bevor der Ausbau abgeschlossen war, hatte die Regierung aufgehört zu funktionieren. Es gab immer noch Wahlen, alle zwei Jahre, aber das waren nur noch Sportereignisse, auf die hohe Wetten abgeschlossen wurden. Die Tätigkeit der Politiker beschränkte sich darauf, sich um ein Mandat zu bewerben. Jeder Sektor wurde von den Resten der alten UNO verwaltet, der Ökopolizei. Nach dem Tod der zwei Milliarden in der Zeit der Großen Hungersnot und der Seuchen hatte sie die Hoheit zu Lande, zu Wasser und in der Luft, außerhalb der Kuppeldome und Schutzhüllen. Ansonsten regierten die Multis ihre Enklaven, verteidigten die freien Städte sich, so gut sie konnten, und verrottete der Glop unter dem giftigen Himmel, beherrscht von sich befehdenden Gangs und Bossen.

      Draußen rückte sie ihre Schutzbrille zurecht und schaute sich nach einem Transportmittel um. Kurzstrecken-Peditaxis konnten sie nicht aus dem Glop hinausbringen. Sie war nicht weit vom nördlichen Siedlungsrand. Sie musste ein Schwebauto mieten. Sie hörte einen hohen Heulton und warf sich in eine Gebäudenische, bevor die Armada der Staubreiter in einem Sturmwind aus Geschwindigkeit und blitzendem Metall über den Platz raste. Nicht alle waren schnell genug. Blut sprühte aus der Staubwolke. Als sie vorbei waren, lagen Gliedmaßen von zwei Körpern über das brüchige Pflaster verstreut. Sie bahnte sich ihren Weg vorbei an Hundemeuten, die sich um das Fleisch balgten, zu den Schwebautos, die am nördlichen Ende des Platzes angeschlossen waren. Ein Frachtbehälter hatte am östlichen Ende des Platzes Halt gemacht, und eine Ansage rief nach Aufsammlern und Bottichjungen. Aus den zerfallenden, bis in den letzten Winkel dicht bewohnten Gebäuden drängten Massen Arbeitsloser zu dem Behälter.

      An der Einfriedung um die Schwebautos steckte sie ihre Hand in den Leser, und der Monitor ließ sie eintreten. Der Autochef stellte die Koordinaten ein. Versuchte sie, diese zu ändern, würde das Auto einfach anhalten. War sie angelangt, kehrte es automatisch zurück. Sie bezahlte im Voraus. Ihr ging allmählich der Kredit aus, doch sie hoffte, in einer Stunde zu Hause zu sein. Das Schwebauto fuhr auf einem Luftkissen über die alten zerborstenen Straßen. Es konnte für kurze Strecken in niedriger Höhe fliegen, was häufig nötig war, um einen Fluss zu überqueren oder eine Schlucht, an der eine Brücke zusammengebrochen war. Es war solarbetrieben, leise und nicht besonders schnell. Es konnte auch Wasserflächen überqueren, was wichtig war, denn wenn man eine Strecke eine Weile nicht gefahren war, wusste man nie, wie weit die See ins Land eingedrungen war und tiefer liegende Gebiete überflutet hatte. Was vor drei Jahren noch Festland gewesen war, mochte schon unter Wasserwogen begraben sein, denn seit die Polkappen rasant abschmolzen, stiegen die Weltmeere ständig. Schwebautos waren die Fahrzeuge der Konzern-Grützer und der freien Städte. Schnellpanzer konnten ebenfalls zerklüftetes Gelände überwinden und waren zudem bewaffnet. Konzerndienstreisen wurden meist in Schwirrern zurückgelegt.

      Ein gemietetes Schwebauto stellte keine hohen Anforderungen. Sie brauchte nichts weiter zu tun, als es um und über Hindernisse zu lenken. Es hatte die Koordinaten ihres Ziels und fuhr von allein. Am Himmel kreiste eine weite Spirale von Aasgeiern. Sie konnten inzwischen der UV-Strahlung widerstehen. Sie konnten in der Ödnis überleben, wie auch die meisten Insekten, wie auch Möwen und Ratten und Waschbären. Menschen nicht. Singvögel nicht, alle tot. So gedieh das Ungeziefer und suchte in Wellen das Land heim, fraß die Hügel zu Wüste. Erosion tat ein Übriges. Krüppelbäume wie Pechkiefer, Wildkirsche und Bäreneiche hatten Zuckerahorn und Weymouthkiefer verdrängt. Brombeersträucher und Hundsrosen wucherten in undurchdringlichem Dickicht, dem sie auswich.

      Das Auto schlug automatisch den Weg nach Osten ein, zum Ozean, vermied dabei den Rand der Cybernaut-Enklave. Multis gestatteten privaten oder gemieteten Autos nicht die Durchfahrt. Sobald sie die Enklave mit ihrer grünen Parklandschaft und der funkelnden City unter dem Kuppeldom umfahren hatte, gelangte sie in das Gebiet der freien Städte entlang der Küste. Die Straße, der sie nun folgte, führte geradewegs ins Meer, denn die tief liegenden Küstenstädte waren im Großen Wirbelsturm von ’29 zerstört worden. Die Hülle von St. Marystown glitzerte unter der Bernsteinsonne. Die Wellen rochen nach Petroleum und Salz. Jetzt konnte sie die Anhöhe aus dem Wasser ragen sehen, auf der ihre Stadt, Tikva, erbaut war. Die Schutzhülle schwebte auf Stützen darüber wie eine leuchtende Wolke. Shira steuerte das Auto an Land und den Hügel hinauf nach Tikva. Sie landete vor dem Tor, das dem Meer zugewandt war, stieg aus und ließ das Auto wenden und abdrehen.

      Sie stand mit ihrem Bündel vor dem Tor. Erst jetzt fiel ihr ein, den schwarzen Umhang abzulegen. Nichts blieb, als dorthin zurückzukehren, wo sie als Kind genährt worden war. Würde es ihr als Zufluchtsstätte dienen? Vielleicht war Gadi noch hier. Bei elektronischer Übertragung waren sie Freunde, aber Gadi in Fleisch und Blut war mehr, als sie sich zumuten wollte. Wahrscheinlich konnte sie sich in die Stadt stehlen wie als Jugendliche mit Gadi, doch sie hatte keinen Grund dazu. Langsam näherte sie sich dem Monitor. Würde er ihren Handabdruck noch erkennen? Er tat es. Die Männerstimme des Stadtcomputers grüßte sie mit Namen. »Shira, Malkah Shipman erwartet dich. Avram Stein erwartet dich. Willkommen.«

      Sie war verlegen, weil ihr Tränen in die Augen schossen, während sie den Umhang in ihre Schultertasche stopfte. Einen Augenblick später war sie froh, dass sie nicht versucht hatte, sich hineinzustehlen, denn sie begegnete zwei jungen Leuten, die Wache hielten. Als Sicherheitskräfte waren sie mit Pfeilgewehren ausgerüstet, die lähmend wirkten. Sie hatten gehört, wie der Monitor sie begrüßte, und nickten sie vorbei. Die Lage musste angespannt sein, dass Menschen an der Umgrenzung Wache hielten. Die freien Städte waren nicht berechtigt, Laserwaffen zu kaufen, auch wenn sie es manchmal auf dem Schwarzmarkt taten. Sie verließen sich überwiegend auf Schocker und Tranquilizer oder auf Sonarwaffen.

      Unter der Schutzhülle zu gehen war anders als unter einem Kuppeldom. Die Hülle war durchlässiger für Licht und Wetter, eigentlich hielt sie nur die UV-Strahlen ab. Die Temperatur drinnen war nur geringfügig höher als draußen. Die Umgrenzungen wurden durch Computer überwacht; überschritt jemand die Schranke, löste er Alarm aus. Die Tore mit Handlesern gingen in jede Hauptrichtung. Tobte ein Wirbelsturm, was inzwischen oft vorkam, konnte die Hülle zu ihrem Schutz eingerollt werden. Die freien Städte waren entlang der Küste aus dem Boden geschossen, denn solch ein Standort war verwundbar und galt als gefährdet; kein Multi mochte Überflutung riskieren. In dieser unbeanspruchten Randzone gediehen die freien Städte.

      Shira schlenderte durch die Straßen. Alle Gebäude waren verschieden, obwohl keines höher als vier Stockwerke sein durfte. Manche Häuser waren aus Holz gebaut, andere aus Ziegelsteinen, andere aus den neuen Harzen, andere aus Polymeren, wieder andere aus Stein. Shira fand die Harmonien und Disharmonien reizvoll – kleine spanische Haciendas, strenge klassizistische Villen, Holzschindelhäuser mit Steildach, ein Nachbau von Fernandez’ berühmtem Tanzenden Haus auf seinem Sockel, alle drängten sich Schulter an Schulter im gleichen Block. Nach der Einförmigkeit der Y-S-Enklave versetzten die Farben, die Strukturen, die Geräusche und Gerüche sie in einen Zustand des Entzückens, und sie merkte, wie sie immer langsamer ging und den Kopf wild hin und her drehte wie eine Blöde. Warum war sie je fortgegangen?

      Es war auch ein seltsamer Anblick, dass die Dinge alt waren, rissig, verwohnt, Häuser, die einen Anstrich brauchten, ein mit Brettern vernageltes Fenster, ein kaputtes Geländer. Die Menschen hier führten ihre Reparaturen selber aus, wann sie die Zeit dafür fanden. Anarchische kleine Tulpenbeete und Tomatenpflänzchen, Bohnensprossen, die sich daranmachten, ihre Stangen zu erklettern, säumten die Straßen. Um halb drei waren fast alle an der Arbeit. Ein Reinigungsroboter werkelte die Straße entlang, hob hier und da Abfälle auf und fegte wie ein wild gewordener Handfeger. Aus einem offenen Fenster drang Geigenspiel, jemand übte und wiederholte

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