Im Austausch mit der Welt. Andrea Franc
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Das Haus der Gesellschaft zum Notenstein neben dem Brühltor in St. Gallen, 17. Jahrhundert.
Die napoleonische Kontinentalsperre (1803–1813)
Die Schweiz im globalen Wirtschaftskrieg
Die napoleonischen Kriege kosteten nicht nur Millionen Menschen das Leben, die Zeit der napoleonischen Herrschaft war auch ein über Jahre andauernder Wirtschaftskrieg, insbesondere gegen England, der den europäischen Kontinent verarmen liess. Während zehn Jahren hatten nach der Französischen Revolution 1789 in Frankreich bürgerkriegsähnliche Zustände geherrscht, sodass die Herrschaft Napoleons in der Geschichtsschreibung oft in positivem Licht erscheint. Napoleon trat 1799 als einer von drei Konsuln an die Spitze Frankreichs, 1804 liess er sich zum Kaiser krönen, 1815 verbannten ihn die Alliierten auf die britische Insel Elba.
Während die einstmalige Wirtschaftsmacht Frankreich im 18. Jahrhundert unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV. und seinen Nachfolgern stagnierte und Staatsschulden anhäufte, hatten sich England und die Niederlande in der Neuen Welt, in Amerika und Asien, ein Imperium aufgebaut. Die Schweiz und manche deutsche Regionen profitierten wirtschaftlich von dieser politischen Expansion, indem sie mit dem Handel und der industriellen Verarbeitung von Kolonialwaren zu Wohlstand gelangten. Dies war bereits der Führungselite Frankreichs während der Revolution ein Dorn im Auge gewesen. Nach seiner Machtübernahme machte sich Napoleon als Erstes daran, der wirtschaftlichen Übermacht Englands entgegenzuwirken. Die Vormacht der Niederlande brach Napoleon, indem er es einfach annektierte und seinen Bruder Louis als König der Niederlande einsetzte. Von den restlichen Ländern auf dem europäischen Kontinent verlangte Napoleon, dass sie in einem sogenannten «système continental» jeglichen Kontakt mit England abbrachen. Nicht nur die Einfuhr englischer Ware war verboten, kein Engländer sollte mehr einen Fuss auf den Kontinent setzen. Napoleon war sich im Klaren, dass er nicht die militärischen Mittel hatte, um die überseeischen Kolonien der Engländer und Holländer zu erobern. Nach der Annexion der Niederlande versuchte er daher, die Handelsströme aus den Kolonien sowie den gerade erst unabhängig gewordenen Vereinigten Staaten von Amerika nach England zu kappen. Dass die Kontinentalsperre für Millionen von Einwohnern in Europa die Verarmung bedeuten würde, nahm Napoleon hin, opferte er doch gleichzeitig Hunderttausende Soldaten in Feldzügen. Von der Schweiz hielt Napoleon ohnehin nicht viel, bereits 1802 beschied er Schweizer Gesandten: «Vous ne pouvez avoir de grandes finances. Vous êtes un pays pauvre.» Den beschlagnahmten Berner Staatsschatz benutzte er trotzdem gerne für seinen Ägyptenfeldzug und ebenso fügte er, nachdem er 1804 Kaiser geworden war, seiner Titulatur 1806 offiziell den Titel «Médiateur de la Confédération suisse» hinzu. 1810, nach dem Frieden von Wien, nannte Napoleon sich zudem noch «Herr von Rhäzüns», da die Österreicher ihm die Herrschaft und Schloss Rhäzüns abgetreten hatten.
Die Briten verstanden ihren Sieg in der Seeschlacht von Trafalgar 1805 zu nutzen. Die britischen Seestreitkräfte konnten Frankreich von dessen Überseekolonien komplett abschneiden. Die Briten kontrollierten fortan auch neutrale Schiffe, konnten sich auf See vor Freibeutern schützen, und so erschloss die britische Handelsflotte als Folge der Kontinentalsperre erst recht neue Überseemärkte. Das Binnenland Schweiz zog im Fahrwasser Grossbritanniens mit. So zeichnete sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts die starke, künftige geopolitische und wirtschaftliche Rolle Grossbritanniens ab. Und dies, obwohl Napoleons Frankreich auf dem Kontinent als Grossmacht zunächst unbesiegbar schien. In der Schweiz, die nach der Helvetik und der Mediation von 1803 einen tiefgreifenden politischen Umbruch durchlief, hatte nun die Stunde der kantonalen kaufmännischen Direktorien geschlagen. Das Staatswesen der Alten Eidgenossenschaft war aufgelöst worden, und ab 1798 wurden der Schweiz laufend neue staatliche Organisationsformen oberflächlich übergestülpt. Währenddessen existierten jedoch kaufmännische Organisationen wie etwa das kaufmännische Directorium St. Gallen weiter und reagierten auf die Anliegen der Schweizer Kaufleute und der Industrie. 1798 blieben zwar nur die Handelskammern St. Gallen und Zürich offiziell bestehen, in den anderen Orten bildeten sich aber sogleich neue Kammern. Faktisch beaufsichtigten die kantonalen Handelskammern die Schmuggeltätigkeit der Kaufleute, während der Vorort Bern mit dem Berner Landammann Niklaus Rudolf von Wattenwyl als Vorsitzender der eidgenössischen Tagsatzung den französischen Botschafter in der Schweiz zu besänftigen suchte und über die Senkung von Zöllen verhandelte. Obwohl Napoleon gegen die Schweiz laufend Zollerhöhungen und Einfuhrbeschränkungen aussprach und Frankreich schliesslich, nachdem es während drei Jahrhunderten wichtigster Handelspartner der Schweiz gewesen war, de jure als Absatzmarkt wegfiel, wurde die Schweiz de facto zur Rohstoffdrehscheibe des Kontinents. Dass sich die Schweizer Kaufleute nicht an die Kontinentalsperre hielten, ärgerte den französischen Botschafter in der Schweiz ausserordentlich, er nannte sie «contrebande» und «fraudulent», Schmuggler und Betrüger. Gleichzeitig aber hob Napoleon ein 8000 Mann umfassendes Söldnerheer in der Schweiz aus, dessen letzte Überlebende beim Russlandfeldzug 1812 die Brücken über den Fluss Beresina in Weissrussland hielten. Das seit dem Ewigen Frieden von 1516 fragile Gleichgewicht zwischen Frankreich und der Schweiz – französische Handelsprivilegien gegen Söldner – hing trotz des Einsatzes der Schweizer an der Beresina buchstäblich am rohseidenen Faden. Im Fürstentum Neuenburg, das in einer rechtlich bizarren Doppelstellung sowohl zur Eidgenossenschaft wie auch zu Preussen gehörte, mussten 1810 britische Waren verbrannt werden. Damit war der Tiefpunkt der Kontinentalsperre erreicht.
Schon vor der Einsetzung der Kontinentalsperre war die Eidgenossenschaft von den protektionistischen Massnahmen Frankreichs betroffen. Im Oktober 1803 setzte der Wirtschaftskrieg jedoch richtig ein, indem Frankreich Importe von Baumwollwaren aus der Schweiz durch hohe Zölle erschwerte. Im Februar 1806 verbot Frankreich den Import von Baumwollwaren sowie den Transit schweizerischer Manufakturprodukte nach Spanien komplett. 1804 untersagte Napoleon den Export von Hanf und Flachs aus Belgien und dem Elsass in die Schweiz, 1805 denjenigen von piemontesischer Rohseide. Unter aussenpolitischem Druck übernahm die Tagsatzung im Juli 1806 das Importverbot für britische Handelsgüter. Einzig die Einfuhr von Maschinengarn, dem Basisprodukt der schweizerischen Textilfabrikation, war mit Billigung der französischen Regierung weiterhin möglich. Der Vollzug wurde den Grenzkantonen übertragen und der Handelsverkehr an der Nord- und Ostgrenze auf 13 Zollstationen beschränkt. Die für das Fortbestehen der Textilindustrie entscheidende, rohe Baumwolle gelangte in den folgenden Jahren praktisch nur noch aus der Levante, etwa aus Ägypten, in die Schweiz.
Mit dem Dekret von Trianon im August 1810 wurden sämtliche Kolonialwaren – ausgenommen der französischen – mit einem Zoll von bis zu fünfzig Prozent ihres Werts belastet. Sondergerichte wurden eingesetzt, um den Schmuggel zu bekämpfen. Napoleons Inspektoren erstellten schwarze Listen der Schweizer