Im Austausch mit der Welt. Andrea Franc

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Im Austausch mit der Welt - Andrea Franc

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von Kolonialwaren und britischen Manufakturprodukten und ein von Italien, Baden, Württemberg und Bayern verhängtes Exportverbot von Kolonialwaren und levantinischer Baumwolle in die Schweiz führten in der Ostschweiz zu Arbeitslosigkeit und trieben Handelshäuser in Basel und Zürich in den Ruin. Italienische Truppen besetzten im Oktober 1810 mit der Billigung Napoleons und unter dem Vorwand der Bekämpfung von Schmuggelumtrieben das Tessin. Landamman von Wattenwyl erreichte mittels eines dringlichen Appells, in dem er auf die prekäre wirtschaftliche Lage der Kantone hinwies, dass Napoleon Ende Dezember 1810 den Import von levantinischer Baumwolle wieder zuliess und die Rheinbundstaaten 1811 ihre Transitsperre aufhoben. Bis zur Völkerschlacht von Leipzig 1813 und dem Ende der napoleonischen Herrschaft gab es in der Schweiz Bankrotte, Hunger, Arbeitslosigkeit. Der Niedergang der Stickereiindustrie war absehbar.

      Auf globaler Ebene vollzog sich zur Zeit der Kontinentalsperre ein tiefgreifender Wandel: nicht nur bezüglich der Beschaffenheit des Welthandels, sondern auch der Ideen, die das Weltbild der europäischen Bevölkerung prägten – was wiederum den Welthandel beeinflusste. 1807, mitten im napoleonischen Handelskrieg, verfügte das britische Parlament das Verbot des transatlantischen Sklavenhandels. Damit nahm der Dreieckshandel, die Grundstruktur des Welthandels im 18. Jahrhundert, ein Ende. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts galten Sklaven als Kolonialware, ähnlich wie Baumwolle, Rohrzucker, Tee, Gewürze oder Tabak. Mit der sogenannten Abolition von 1807 wurden Sklaven zu Menschen. Die Arbeitsbedingungen, unter welchen Kolonialprodukte hergestellt wurden, ja überhaupt die Lebensbedingungen von Menschen in Übersee drangen ins Bewusstsein der Bevölkerung Europas. Der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau, Sohn eines hugenottischen Uhrmachers, hatte sich bereits im 18. Jahrhundert scharf gegen die Sklaverei ausgesprochen und mit seiner Philosophie auch die Französische Revolution vorgespurt. Nun, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, floss die von Rousseau und anderen Philosophen vorgedachte Aufklärung in konkrete Gesetze ein, die den Welthandel in eine andere Richtung lenkten.

      Napoleon setzt Schweizer Kaufleute auf eine schwarze Liste. Brief des französischen Gesandten Rouyer an die eidgenössische Tagsatzung, 11. Oktober 1810

      Monsieur le Landamman,

      Sa Majesté l’Empereur a reçu de nouveaux renseignements sur les nombreuses expéditions de marchandises anglaises et de denrées coloniales qu’on dirige habituellement sur la Suisse. Tous les capitalistes anglais qui avaient par eux-mêmes ou par leurs correspondants des entrepôts dans les villes hanséatiques, dans le Holstein, en Hollande et dans plusieurs parties de l’Allemagne, se sont efforcés de transporter en Helvétie leurs magasins, depuis que partout ailleurs des tarifs ou des lois prohibitifs sont uniformément établis. Toutes les routes d’Allemagne sont encombrées de ces marchandises, qu’on fait passer en Suisse, et les expéditionnaires vont jusqu’à doubler et tripler les prix de transport pour augmenter le nombre des envois.

      On a particulièrement remarqué que les cotons d’Amérique, les «Twists» ou «Fils de coton» débarqués dans les premiers mois de cette année ou jetés en contrebande sur les côtes de la Baltique, ont été successivement dirigés vers la Suisse, que les commissionnaires établis dans les principales villes d’Allemagne, craignant le séquestre des marchandises de fabriques anglaises et des denrées coloniales, font prendre la même direction à celles qu’ils avaient déjà dans leurs magasins, qu’ils les adressent principalement à Bâle, Berne, Zurich, Winterthour et Schaffhouse. La maison des frères Mérian de Bâle s’occupe avec plus d’activité que toutes autres de ces expéditions. Je joins ici la liste qui m’a été envoyée par mon gouvernement, des négociants suisses auxquels des envois de coton anglais, de marchandises et denrées coloniales continuent d’être habituellement expédiés par leurs correspondants d’Allemagne, surtout par ceux de Leipzig et de Francfort. Toutes ces marchandises ne proviennent pas de prises faites par les corsaires et de ventes de cargaisons confisquées. On regarde la plupart de ces expéditions comme le résultat d’un concert frauduleux entre les négociants, et ceux-ci recueillent en dernier résultat les principaux avantages de cette contrebande, qui se fait en Suisse avec plus d’activité que partout ailleurs, quoi qu’elle y soit prohibée par les lois.

      Il n’est pas possible que cet ordre de choses subsiste plus longtemps. La Suisse doit marcher dans le sens des pays qui l’environnent, et les mêmes mesures doivent y être mises à exécution.

      […]

      Agréez, Monsieur le Landamman, etc.

      Le chargé d’affaires de France en Suisse, Rouyer

      Schweizer Kaufleute hatten sich im 18. Jahrhundert in ähnlichem Masse wie andere europäische Handelsleute an sogenannten «négriers» beteiligt. Dies waren Schiffe, die mit Waffen, Textilien und Schmuck beladen nach Westafrika fuhren, die europäischen Waren gegen Sklaven tauschten, die Sklaven nach Amerika transportierten und sie dort gegen Rohstoffe, insbesondere Baumwolle, eintauschten. In der wirtschaftshistorischen Forschung wurde in den vergangenen Jahrzehnten debattiert, ob der Dreieckshandel die industrielle Revolution in Europa und damit erst recht in der Schweiz, einem sehr früh sehr stark industrialisierten Land, überhaupt erst ermöglicht habe. Die jüngste Forschung macht allerdings die technologische Innovation als Haupttriebfeder der industriellen Revolution aus und beziffert Investitionen mit Gewinnen aus dem Dreieckshandel mit lediglich 15 Prozent. Zudem sei mit der Entwicklung der neuen technologischen und wissenschaftlichen Errungenschaften auch die Entwicklung eines neuen Menschen- und Weltbildes einhergegangen. Dieses neue Menschen-und Weltbild sah Freiheit und gleiche Rechte für alle Menschen vor und räumte dem einfachen Mann eine ganz neue Bedeutung ein. Der Metzger, der Bäcker oder der Bierbrauer würden die Menschheit wie von einer unsichtbaren Hand geleitet mit Fleisch, Brot und Bier versorgen, stellte der schottische Philosoph Adam Smith am Ende des 18. Jahrhunderts fest. Während Napoleon versuchte, sich mit Gewalt ganz Europa untertan zu machen, begann mit der Abolition des Sklavenhandels gleichzeitig eine neue Ära des Welthandels. Mit Haiti, wo die militärische Intervention Napoleons zuerst noch einer halben Million Menschen das Leben gekostet hatte, erklärte sich 1804 erstmals eine Nation für unabhängig, die aus ehemaligen Sklaven bestand. Gemäss dem sich langsam durchsetzenden, aufklärerischen Gedankengut sollte nicht nur der Handel mit Menschen verboten werden, alle Menschen sollten auch frei handeln können.

      Während Gelehrte in England und Schottland die Theorie des Freihandels und der freien Marktwirtschaft entwickelten, praktizierten Schweizer Kaufleute und Handelsgremien den Freihandel sowohl im modernen wie auch im mittelalterlichen Sinne. Bis zum Ende der napoleonischen Kontinentalsperre handelten die Schweizer Kaufleute im wahrsten mittelalterlichen Sinne «frei», nämlich ausserhalb der von Napoleon diktatorisch erklärten Handelssperren, als Schmuggler. Danach konnte die Eidgenossenschaft ihre Aussenwirtschaftspolitik wieder souverän gestalten. Mit der Mediationsverfassung von 1803 bekam die Tagsatzung auch das Recht, Handelsverträge mit anderen Ländern abzuschliessen. Im Dezember 1813 gab sich die Schweiz erstmals einen eigenen Grenzzolltarif, hauptsächlich, um geringe Steuern zu erheben. Dieser hielt aber nur gerade acht Monate. Gegen ihn hatte sich eine Volksbewegung gerichtet, an deren Spitze das kaufmännische Directorium St. Gallen stand. Es wollte für Rohbaumwolle gar keine Zölle bezahlen und fühlte sich stark genug, auch gegen englische Manufakturkonkurrenzprodukte zu bestehen. Als die europäischen Grossmächte am Wiener Kongress 1815 ein weiteres Mal die Souveränität der Schweiz bestätigten, war diese eine Insel des modernsten Freihandels in Europa. Die Tagsatzung erhob lediglich einen «Grenzbatzen» auf maschinengesponnenes Baumwollgarn und Tücher, der so tief war, dass er keine abschottende Wirkung entfalten konnte.

      Während der lang andauernden Kontinentalsperre wurden jedoch bedeutende Weichen für die Schweizer Wirtschaft gestellt. Gezwungenermassen erschlossen Schweizer Kaufleute neue Absatzmärkte ausserhalb Europas, zunächst hauptsächlich in den noch jungen USA. Diese globale aussenwirtschaftliche Ausrichtung machte die Schweiz für die nächsten zwei Jahrhunderte zum Land mit dem europaweit höchsten Pro-Kopf-Export sowie den höchsten Direktinvestitionen ausserhalb Europas, insbesondere auch in Ländern des Südens. Auch die Binnenwirtschaft, die schweizerische

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