Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal. Christine Schrappe
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Die Entwicklung der Qualifikationsanforderungen auf den Arbeitsmärkten führte dabei zu einer doppelten Erweiterung des betrieblich-beruflichen Lernens: Das Qualifikationslernen weitete sich unter dem Leitziel der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen auch zur Persönlichkeitsbildung. Zudem richtete sich betriebliches Lernen nicht mehr nur auf das Individuum, sondern auch auf die Förderung der Anpassungs- und Überlebensfähigkeit der ganzen Organisation. Innerhalb der pastoralen Ausbildung aller kirchlichen Dienste bedeutete diese „unternehmerische“ Orientierung, dass Themen wie personale Kompetenz, kreative Gestaltungskompetenz, Projektarbeit und Teamfähigkeit als „Hilfe zur Selbsthilfe“ in den Mittelpunkt rückten. Förderung der personalen Kompetenz sollte die Qualität des personalen Angebots der Kirche steigern.
Mitarbeitende sind die wichtigste, wertvollste und sensibelste Ressource eines Unternehmens. Dieser Philosophie folgend soll das Personalmanagement nun Mitarbeiter als Mitunternehmer gewinnen, entwickeln und erhalten. Unternehmerisches Mitwissen, Mitdenken und Mitverantworten ist in allen Unternehmensentscheidungen angestrebt. Mitarbeiter sollen mitwirken bei Unternehmensphilosophie, -politik und -strategie. Auf Evaluation der ökonomischen und sozialen Folgen von Unternehmensentscheidungen wird Wert gelegt. Man betrachtet Personal nun als „Humankapital“ und „Human Ressource“, das Personalmanagement fungiert als „Wertschöpfungs-Center“. Personalentwicklung wird zur nicht delegierbaren Managementaufgabe von hoher Priorität, zur Hilfe zur Selbsthilfe bei der Lösung technischer, sozialer oder organisatorischer Probleme. Statt sich nur an Zielen wie unmittelbarer Positions- und Laufbahnentwicklung auszurichten, hat sich der Begriff der Personalentwicklung erweitert hin zum Verständnis einer systematischen unternehmerischen Aktivität. „Personalentwicklung ist nicht der ‚nachhinkende Erfüllungsgehilfe‘ für organisatorische Veränderungen, sondern Motor für Innovationen im Unternehmen.“102 Parallel dazu hat sich auch das Verständnis von Organisationen gewandelt: von der Organisationsentwicklung hin zu lernenden Organisation. Aussagekräftig sind nun weniger Organigramme und Prozessstrukturen als das Verhalten der in diesen Organisationen tätigen Menschen. Organisationen werden als veränderbare soziale Gebilde betrachtet; interessant sind nicht so sehr die Technologien, sondern das Veränderungspotenzial, die Lern- und Entwicklungspotenziale des Personals.
In diesen Punkten hat in der Kirche, insbesondere in kirchlichen Sozialeinrichtungen, die den engen Zusammenhang von Wirtschaftlichkeit und „Humankapital“ spüren, ein Umdenken stattgefunden. Auf die unternehmerische Grundhaltung aller Mitarbeiter wird aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen (Verlust des Sinn-Monopols) zunehmend Wert gelegt. Die Mitwirkung vieler Betroffener an unternehmerischen Entscheidungen – wie z.B. Umgestaltung von Arbeitsbereichen, höhere „Kundenfreundlichkeit“ und Denken in Prozessen (die dem Menschen dienen, z.B. dem Patienten in einem Krankenhaus) statt Denken in Abteilungen – wird als unverzichtbarer Baustein verantworteter Unternehmensführung betrachtet. Unternehmerische Orientierung bedeutet im Sinne Karl Berkels Wille zur Führung als „zielgerichtete Einflussnahme“103 und proaktive Gestaltung der Zukunft mit hoher Eigeninitiative.
An der institutionellen Zuordnung der Personalverantwortlichen innerhalb einer Unternehmenshierarchie und an der personellen Ausstattung der Personal- und Fortbildungsabteilungen lässt sich die Bedeutung ablesen, die ein Unternehmen der Personalentwicklung beimisst. Unternehmerisch orientierte Personalentwicklung versteht sich als zentrales Element der Unternehmensstrategie und als Schaltstelle für Veränderungsgestaltung einer gesamten Organisation.
3.1.6 Leitkonzepte im Wandel: Von der Defizit- zur Potenzialorientierung
Betrachtet man die aufeinander folgenden Konzepte der Personalarbeit im Überblick, ergibt sich eine dreifache Erweiterung des Blickes: Von einer Orientierung an Defiziten (Was fehlt den Mitarbeitern) und einem Konzept der Anpassung durch Vermittlung von Know-how geht der Blick zur Potenzialorientierung. Nicht mehr zweckorientiertes „Zurüsten“ und „Nachbessern“ stehen im Vordergrund, sondern „Know-how-to-know“ als Gestaltungsprinzip. Potenzialorientierung will die Kompetenzen der Mitarbeiter, ihr Wissen und ihre Potenziale nutzen, statt wie in herkömmlichen Schulungsprozessen einen Großteil des Wissens „auf Halde“ und „ins Leere“ zu produzieren. Potenzialorientierung in der Personalentwicklung kann darüber hinaus aber auch bedeuten, Kompetenzen beim Personal auch ohne Vorliegen konkreter und zeitnaher Stellenanforderungen zu fördern, als eine Art Vorleistung oder Investition in die Problem- und Lernfähigkeit einer Organisation.
Menschen leben aus der Kraft ihrer Ressourcen, nicht von ihren Defiziten.104 Obwohl die Reflexion von Defiziten selten interessant und weiterführend ist, hat es sich auch in der Pastoral eingebürgert, den Defiziten eine ungebührliche Aufmerksamkeit zu widmen. Christoph Jacobs lenkt den Blick auf die Salutogenese: „Seelsorger und Seelsorgerinnen brauchen eine stetige und gelassene Vergewisserung der heilsamen Ressourcen, die von Gott zum Aufbau der Kirche geschenkt werden. Die Bezugnahme auf die Potenziale stellt eine geistliche und psychologisch folgenträchtige Entscheidung dar. Sie ist eine Wahl. Die Ressourcenperspektive steuert die Aufmerksamkeit, die Blickrichtung, die Dynamik der Analyse und die Erneuerung des pastoralen Handelns.“105
Statt einer simultanen Personalentwicklung, die versucht, für den Arbeitsmarkt adäquat ausgebildetes Personal zeitnah bereitzuhalten, steht heute der antizipierende Aspekt von Personalentwicklung im Vordergrund. Personalentwicklung hat weniger eine konsekutive und reaktive Ausrichtung; Ziel ist es, Personal auf Zukunft hin zu befähigen, in komplexen Alltagssituationen Problemlösungen selbstständig zu planen und durchzuführen. In Zeiten rasanten Wandels greift eine reaktive „Know-how-Anpassung“ durch Erlernen entsprechender Fähigkeiten nicht mehr. Im Vordergrund steht die Frage nach den „weichen Faktoren“ wie Kreativität, Sozial- und Persönlichkeitskompetenz, Flexibilität und die Fähigkeit, eigenständige Lern- und Entwicklungsprozesse zu organisieren. Personalentwicklung steht nicht im Dienst der Anpassung, ist keine Strategie zur Personalbedarfsdeckung. Personalarbeit wird zum Baustein von Veränderungsgestaltung. Die Grenzziehung zwischen zweck- und verwendungsorientiertem Lernen in Betrieben einerseits und Bildung und Persönlichkeitsentwicklung in außerbetrieblichen Bereichen andererseits ist heute nicht mehr möglich. Die klassische Personalentwicklung hat sich in hohem Maße zur Persönlichkeitsentwicklung gewandelt.
Vom Ansatz des Lehrens und Führens geht die Entwicklung hin zur Moderation betrieblicher Selbstorganisation. Nicht mehr der „Vor-Gesetzte“ ist Leitbild von Führung, sondern der Lenker und Moderator von Lern- und Veränderungsprozessen. Lösungsvorgaben sind weniger gefragt; Führung bedeutet, „die Eigenkräfte und Ressourcen, die Eigeninitiative, Selbstgestaltungs- und Selbstregulierungsfähigkeit der Organisation, ihrer Subsysteme (Arbeitseinheiten) und Elemente (Mitarbeiter) zu erkennen und zu entwickeln, zu mobilisieren und auf die Erfüllung der gemeinsamen Aufgaben hin auszurichten.“106 Betriebliche Selbstorganisation bedeutet auch zunehmende Dezentralisation der Personalentwicklungsfunktionen. Weder Personalleitung noch Fortbildungsabteilungen können Kriterien und Wege der Wissensvermittlung und Kompetenzaneignung vorgeben. Die Leitungspersonen vor Ort sind darauf vorzubereiten, dass Lernen und Kompetenzmanagement in den kleinsten Organisationseinheiten für alle Mitarbeiter gewährleistet werden.
Zusammenfassend lässt sich der Wandel im Selbstverständnis von Personalarbeit skizzieren als Weg von der verwaltenden Personalarbeit der fünfziger Jahre über die betreuende Personalarbeit zur Personalentwicklung bis hin zum Verständnis von Personalarbeit als unternehmerische Gestaltung.