Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft. Группа авторов

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Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft - Группа авторов Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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sie die neuronalen Korrelate von Religiosität erforscht, also diejenigen Hirnprozesse, die mit religiösem Erleben und Verhalten einhergehen. Damit kann sie beitragen zu einem aktuellen Forschungsfeld innerhalb der Religionspädagogik, nämlich zur Anschärfung einer Theorie der Religiosität, einer Größe, die bislang wenig theoretisches Interesse auf sich gezogen hat, deren Klärungsbedürftigkeit aber deutlich zutage tritt. (vgl. Angel 2006; 2008) Und es ist auch nicht überflüssig zu erwähnen, dass die hier vertretene Perspektive sich deckt mit der eingangs genannten Leitidee der (kognitiven) Neurowissenschaften: Wenn bestimmte Hirnzustände notwendige Voraussetzung für alle mentalen Phänomene sind, dann geht auch religiöses Erleben mit bestimmten Hirnprozessen einher – alles andere wäre auch reichlich merkwürdig.

      Welche Momente der neurowissenschaftlichen Forschung sind nun speziell für die praktische Theologie von Bedeutung? Man übersieht schnell, dass sich solche Momente nicht auf das Feld der so genannten Neurotheologie beschränken – auch wenn dieses das wohl medienwirksamste und auch von fachtheologischer Seite am ehesten aufgenommene Thema ist. Daher werde ich mich diesem Bereich gleich exemplarisch vertieft zuwenden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit nenne ich aber zunächst weitere neurowissenschaftliche Themen von Relevanz für die praktische Theologie: Es sind dies Forschungen

      - zur Willensfreiheit,

      - zu veränderten Bewusstseinszuständen,

      - darunter insbesondere zu Nahtoderfahrungen,

      - zur außersinnlichen Wahrnehmung,

      - zur Neurodidaktik.

      Ein Beispiel: Die so genannte Neurotheologie

      Etwa um die Jahrtausendwende haben neurowissenschaftliche Forschungen zur Rolle des Gehirns bei religiösen, spirituellen oder mystischen Erfahrungen stark zugenommen. Für diese neue Forschungsrichtung wurde von einigen Protagonisten, die selbst Neurowissenschaftler und keine Theologen sind, der Ausdruck „Neurotheologie“ geprägt. Dieser Begriff hat eine steile Karriere gemacht, so dass man fast den Eindruck haben konnte, eine neue theologische Disziplin sei geboren worden. Diesen Anspruch kann diese Forschungsrichtung jedoch nicht erfüllen. Schon der Begriff „Neurotheologie“ selbst ist sehr unglücklich, denn das Präfix „Neuro-“ scheint ein klar definiertes Teilgebiet einer Wissenschaft zu bezeichnen. Tatsächlich geht es jedoch um sehr heterogene Phänomene, etwa um Meditation genauso wie um Epilepsieforschung.

      Weitaus problematischer ist aber, dass mit diesem Ausdruck eine sachlich unzutreffende Vorstellung davon verbunden ist, was eigentlich Theologie ausmacht. Die Ergebnisse dieser Forschungen werden nämlich unzulässigerweise oft dazu verwendet, um weit reichende Deutungen im Bereich der transzendenten Wirklichkeit vorzunehmen, seien sie kritischer oder affirmativer Natur. Tatsächlich aber geht es darum, die neuronalen Grundlagen mentaler Prozesse im Bereich des Religiösen zu erforschen, und dass damit weder die Existenz Gottes noch seine Nicht-Existenz bewiesen werden kann, bedarf keiner weiteren Erläuterung.

      Trotz dieser (und anderer, hier nicht genannter) Probleme sollte man das Kind aber nicht mit dem Bade ausschütten: Dass die so genannte Neurotheologie ihren Namen zu Unrecht trägt, bedeutet nicht, dass ihre Befunde aus theologischer Sicht prinzipiell keine Relevanz hätten. Im Gegenteil: Es gibt durchaus interessante Befunde, die in ihrer praktisch-theologischen Relevanz noch gar nicht ausgelotet sind. Aus Platzgründen beschränke ich mich auf die Vorstellung eines der prominentesten Beispiele. (für weitere interessante und oft diskutierte Befunde vgl. Persinger 1987; Azari 2001; Ramachandran/Blakeslee 32002)

      Besonders bekannt geworden im Zusammenhang mit der so genannten Neurotheologie sind der schon 1998 verstorbene Psychiater Eugene D’Aquili und vor allem sein Kollege, der Radiologe und Religionswissenschaftler Andrew Newberg. Ihr bislang bekanntestes Buch erschien 2001 unter dem Titel „Why God won’t go away. Brain Science and the Biology of Belief“; in Deutschland wurde es mit einer markanten Akzentverlagerung unter dem Titel „Der gedachte Gott. Wie Glaube im Gehirn entsteht“ publiziert. (vgl. Newberg/D’Aquili/Rause 2003)

      Newberg und D’Aquili untersuchten Gehirnveränderungen während religiöser Intensiverlebnisse, genauer gesagt, während des Höhepunkts der Meditation. Die Hirnaktivität wurde mittels einer SPECT-Kamera aufgezeichnet; SPECT steht für Single Photon Emission Computed Tomograph. Vereinfacht kann man sagen, dass es ein bildgebendes Messverfahren ist, das Schichtaufnahmen von lebenden Organismen ermöglicht; die Schnittbilder zeigen die Verteilung eines schwach radioaktiven Kontrastmittels im Blut.

      An diesen Versuchen nahmen acht Buddhisten und acht Franziskanerinnen teil, die alle in Meditation geübt waren. Sie befanden sich zunächst in einem ruhigen Raum, in dem sie ganz normal ihrem Meditationsritual nachgehen sollten. Wenn sie merkten, dass der Höhepunkt der Meditation kurz bevorstand, sollten sie dies mithilfe einer Schnur signalisieren, vorauf von der Versuchsleitung das Kontrastmittel über eine Leitung intravenös injiziert wurde. Dann wurde die Meditation wie sonst auch zuende geführt und anschließend die SPECT-Aufnahmen gemacht.

      Die Versuchsergebnisse zeigen, dass bestimmte Areale im Frontallappen, also im Vorderhirn, stärker durchblutet, also auch stärker aktiviert sind. Dieser Bereich wird von Newberg und D’Aquili vereinfachend Aufmerksamkeitsfeld genannt und spiegelt die erhöhte Konzentration während der Meditation wider. Entscheidender noch ist eine verminderte Durchblutung im Parietal- oder Scheitellappen, in einem Bereich, der vereinfachend Orientierungsfeld genannt wird. Dieser Bereich sorgt für die Orientierung des Individuums im physischen Raum, so dass ermöglicht wird, zwischen sich selbst und allem Übrigen, dem Nicht-Ich zu unterscheiden. Wenn also die Aktivität dieses Orientierungsfeldes sich während des Höhepunkts der Meditation verringert oder gar ganz ausgeschaltet wird, wird dieser Bereich blind für eingehende Sinnesdaten. Dadurch könnte der Eindruck der Entgrenzung oder der Verschmelzung mit dem Unendlichen entstehen, von dem bei der Meditation berichtet wird.

      Dieser Befund stellt einen nicht-trivialen Beitrag zur Erforschung der neuronalen Grundlagen von Einheits- bzw. All-Erfahrungen während der Meditation dar – nicht mehr und nicht weniger. Eine praktischtheologische Theorie der Religiosität wird solche Befunde zu interpretieren und zu integrieren haben.

      Fazit

      Die hier exemplarisch vorgestellte Studie sowie weitere unter der Bezeichnung „Neurotheologie“ firmierende Forschungsbemühungen stellen weder einen Beweis der Existenz noch der Nichtexistenz Gottes dar, darüber müssen nicht viele Worte verloren werden. Genauso wenig ist die Bezeichnung „Neurotheologie“ für sie adäquat. Dies bedeutet aber nicht, dass sie keine Relevanz für die praktische Theologie hätten – im Gegenteil: Sie zeigen interessante Befunde und steuern Erkenntnisse zu den Grundlagen der Entstehung und Entwicklung von Religiosität bei. Damit liefern sie auch Bausteine für eine noch zu entwickelnde Theorie der Religiosität. Eine solche wird sich natürlich nicht beschränken können auf den Bereich der biologischen Grundlagen der Religiosität; wohl aber stellt dies eine der Komponenten von Religiosität dar. Eine Herausforderung für zukünftige Forschungen wird es insbesondere sein, stärker auch alltägliche religiöse Phänomene und nicht nur religiöse Spitzenerfahrungen in den Blick zu nehmen.

      Literatur

      Angel, H.-F., Das Religiöse im Fokus der Neurowissenschaft. Die Emergenz von Religiosität als Forschungsgegenstand, in: Ders. (u.a.), Religiosität. Anthropologische, theologische und sozialwissenschaftliche Klärungen, Stuttgart 2006, 53-68.

      Ders., Neurowissenschaft als Anfrage an theologische Theoriebildung. Denken – Fühlen – Glauben: Im Vorfeld einer Theologie der Religiosität, in: E. Dirscherl/C. Dohmen (Hgg.), Glaube und Vernunft.

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