Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft. Группа авторов

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Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft - Группа авторов Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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beides gilt, für Glaube und Werke, und das ist der eigentliche Einspruch Luthers, dass sich diesbezüglich die Menschen keinen Selbstruhm einbilden können und dürfen. Denn beides ist immer zuerst Geschenk und Gnade, und erst dann von daher ermöglichte Eigentätigkeit der Menschen.

      Die lauten historischen Geräusche übertönen die tatsächlich diakonietheologisch dürftige Reformation der protestantischen Reformation. Und die wirklichen Reformationen benötigen in Zukunft einen Anschluss an starke kirchliche und gesellschaftliche Lautsprecheranlagen, nicht um einer integralistischen christlichen Identität willen, sondern um der humanisierenden Zukunft der Menschheit und eines für alle Menschen befreienden Gottes willen.

      Schaut man mit diesem kritischen Blickwinkel auf die Geschichte der Kirchen, entdeckt man zugleich, wie sehr es in fast allen Zeiten und an fast allen Orten neben den dominanten Entwicklungs- und Reformationslinien immer auch diakoniereformatorische Traditionen und Wirklichkeiten gegeben hat, manchmal oft nur am Rande, geduldet und manchmal auch bekämpft oder auch angenommen, angeeignet und integriert. Mit einer großen Siegergeschichte können sie von ihrem Wesen her kaum aufwarten. Und dabei sind es vor allem oft christliche Frauen, die durch die Geschichte hindurch diese Reformation für ihre Zeit und bezogen auf die entsprechenden Nöte der Menschen eingeklagt und selbst gelebt haben: von den caritasorientierten Frauenorden und Frauenkongregationen bis hin zum Weltgebetstag der Frauen. (vgl. Hiller 1999; Bechmann 1994; Frauen bewegen Ökumene 1998; Deutsches Weltgebetstagskomitee 1995) Gab es früher eine ideengeschichtliche Sicht der Kirchengeschichte, die längst durch milieugeschichtliche und kultursoziologische Perspektiven abgelöst ist, weil im Horizont von Ideen allzu leicht die Schicksale darin nicht vorkommender Menschen übersehen werden, so benötigen wir für eine pastoraltheologisch interessierte Kirchengeschichte praxisgeschichtliche Forschungen im Sinne der christlich-reformatorischen Fragestellung nach dem authentischen Verhältnis von Wort und Tat, von Glaube und Solidarität. (vgl. Fuchs 2002; ders. 2008a)

      Aus dieser Perspektive kann man das Zweite Vatikanum als einen solchen diakonisch-reformatorischen Prozess ansehen, weil hier in dogmatischen Konstitutionen die Frage nach der Erfahrbarkeit des Glaubens erörtert wird. Es durchgehend um die Verbindung von Wahrheit und Lebensrelevanz, von Glaube und Erfahrung, von Wort und Tat, von Sakrament und Lebensvollzug geht. Dogma und Pastoral kommen eine gegenseitige Erschließungskraft zu, die es nicht mehr erlaubt, die Pastoral als Anwendung des „Eigentlichen“ einzustufen. Sie gehört selbst zum Eigentlichen. Und alle Gläubigen sind zu dieser Pastoral berufen. In der Pastoral, also in Glaube, Verkündigung und Diakonie der Kirche und der Gläubigen nach innen und nach außen bewahrheitet sich die Identität der Kirche. Ohne diese Praxis ist die Lehre (und das Ja dazu) nur eine „klingende Schelle“ (Lutherübersetzung von 1 Kor 13,1) bzw. eine „lärmende Pauke“ (Einheitsübersetzung).

      Die Wartburger Reformatorin Elisabeth

      Von der Heiligen Elisabeth war die Rede. (vgl. Fuchs 2009) Warum als Reformatorin der Diakonie? Der Historiker Otto Gerhard Oexle schreibt zu diesem neuen Typus: „Der Vorwurf […] der Geistesgestörtheit, dem Elisabeth sich ausgesetzt sah, weist darauf hin, dass sie einem neuen Typus exemplarischen Lebens zuzuordnen ist, der erst um 1200 in Erscheinung trat und auch erst zu diesem Zeitpunkt in Erscheinung treten konnte: es ist jener Mensch, der sich aus religiösen Gründen zum ‚Idioten’ (Idiota) macht, wobei in diesem Wort sowohl die Unwissenheit und der Verzicht auf geistiges sich Geltendmachen gemeint ist als auch überhaupt der Verzicht auf gesellschaftlichen Rang“ (Oexele 1993, 80f).

      Elisabeth von Thüringen (1207-1231) ist eine Heilige, nicht, weil die anderen Gläubigen Unheilige wären, sondern weil sie es mit ihrer Heiligkeit auf die Spitze getrieben hat.2 Sie ist ein Extremfall christlicher Existenz: „sie ist die Übertreibung des Menschen Elisabeth, ist Elisabeth im Extrem, ausgeschöpft und gewagt bis in ihre letzten Wesensmöglichkeiten“. Die Heilige ist sozusagen „die höchste Steigerung des Menschen Elisabeth“ (Coudenhove 71933, 5). Während die im entlastenden Sinn des Wortes mittelmäßige, jedenfalls nicht sehr auffällige christliche Existenz die schärferen biblischen Sätze mit dem Satz „Gott verlangt das doch nicht!“ in die eigene Situation hinein holt und darin entschärft, lebt Elisabeth christliches Leben in einer Überspanntheit, die weit über verpflichtende Normen hinausgeht und auch nie als allgemeingültige Norm eingefordert werden kann. (vgl. Coudenhove 71933, Gespräch 55)

      Elisabeths diesbezügliche Verrücktheit, möglichst viel, zuweilen alles zu schenken, die eigenen Häuser und Betten zu öffnen für die Kranken und Aussätzigen, wird von ihrer Umgebung als Insanitas wahrgenommen. Nur ihr eigener Gatte scheint sie mit einer staunenden Bewunderung ihren Weg gehen zu lassen und sie nicht allzu sehr darin begrenzen zu wollen. Aber dann schon nach seinem Tod Landgraf Heinrich Raspe, der sie in die normale Witwenschaft und neue Heirat hineinordnen will, und vor allem ihr dunkler Schatten, dieser Konrad von Marburg, der hinsichtlich der Elisabeth gegenüber die gesunde Vernunft vertritt und diese mit den damals erprobten Regeln von Bußen und Strafen erzwingen will.3 Doch wird sie nicht krank durch Konrads Brutalität, sondern genau dadurch, dass ihr Konrad befiehlt, die zärtlichen Dienste an den Kranken zu lassen: „wie ein Mensch zusammenbrechen mag, der seine Liebsten vor seinen Augen in Schmerzen sieht und darf sie nicht pflegen und trösten“ (Coudenhove 71933, Gespräch 83).

      Konrad will, dass sie sich nicht ansteckt, Konrad will, dass sie ihr Vermögen behält, um dauerhaft geben zu können; ihr spiritueller Lehrer kann nicht spirituell verstehen, was bei Elisabeth eine diesbezüglich rücksichtsvolle Verschwendung4 ausmacht: mit vollen Händen zu geben, im Bewusstsein, ja sicher in der Einbildung unerschöpflicher Fülle. Und dies nicht aus Pflicht, die von außen auferlegt wäre, sondern aus einer viel tiefer liegenden Dynamik heraus. Unheimlich ist diese treibende Kraft, die sich solcher die Mittel dosierenden Verteilung der Selbsthingabe entgegenstellt. Konrad jagte ihr gute Vorsätze gegen die unbegrenzte Verschwendung ein, und Elisabeth hat sie immer wieder gebrochen. Ihr Drang zur leiblichen Barmherzigkeit, oder besser zur barmherzigen Leiblichkeit (im Sinne der Leibsorge für die Anderen, aber auch der Leibhingabe von sich her) war stärker. Und sie hat Freude daran, wo immer sie die Vernunftgebote unterlaufen oder übertreten konnte.

      Eine Nächstenliebe über die Liebe hinaus, die vital (in Freundschaft, in der Liebe, Kindern gegenüber usw.) geschenkt ist, ist etwas „so Schweres und so gar nicht Selbstverständliches, dass sehr viele nie über klägliche Versuche hinauskommen“ (Coudenhove 71933, Gespräch 76). Und so ist es dann ein Stück der Selbstzucht, der Askese, auch der Pflichterfüllung, über die geschenkte Liebe hinaus Liebe zu geben, gütig zu sein, wo sich diese Güte nicht vital einstellt, Hilfe und Gerechtigkeit nicht von der Empathiefähigkeit abhängig zu machen, so wichtig diese bleibt. Woher gewinnt Elisabeth die Empathiefähigkeit zu einer Liebe völlig fremden bedrängten Menschen gegenüber, als wäre in ihnen ihr eigener Gatte und ihre eigenen Kinder gegenwärtig?

      Elisabeth ist fähig zu einer vitalen erotischen und heißen Liebe. Die Geschichten, die ihre Beziehung zu ihrem Mann betreffen, machen dies sehr deutlich. Es ist eine sinnliche, bis in die leibliche Zärtlichkeit hineingehende Liebe. (vgl. Coudenhove 71933, Gespräch 16) Eine kleine Erzählung macht aber schon die Spannung und die Transformationsfähigkeit genau dieser Liebe deutlich: „Wie einst ihr Blick während der hl. Messe auf den festlich geschmückten Gatten fällt und sie lässt sich so innig in die Schönheit und Süße des geliebten Anblicks versinken, dass sie ganz auf das hl. Opfer vergisst […] Wie sie aber vom Glockenzeichen aufgeschreckt den Blick wieder zum Altar wendet, sieht sie die Hostie bluten […] Und es heißt, dass sie lang und wie trostlos über dieses Zeichen geweint hat und Ludwig sie kaum zu beruhigen vermochte“ (Coudenhove 71933, Gespräch 18). Die Alternativen, die hier eröffnet werden, sind nicht die Alternative zwischen Böse und Gut. Denn niemals käme ihr in den Sinn, ihre Liebe zu Ludwig als etwas Böses anzusehen. Es ist vielmehr die Alternative zwischen dem kleinen und dem höchsten Gut. Es „ist nicht der Kampf zwischen

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