Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft. Группа авторов

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Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft - Группа авторов Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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externalisierten Selbstreflexion, nach einem „Besprechen des Lebens“ (Bitter 1986, 376f), das ihr das Gefühl gibt, nicht allein zu sein – und das sie mit einem gewissen religiösen Selbstbewusstsein eben „beten“ nennt.

      Auch das könnte man als eine Art „Frömmigkeit ohne Glauben“ (vgl. Kurzke/Wirion 2005) bezeichnen. Jedenfalls geht es Claudia nicht in erster Linie um die Wahrheit eines Glaubens, sondern um die Wirksamkeit eines Tuns – eines Tuns, das in mancher Hinsicht therapeutische Züge trägt, das von Claudia selbst aber in einen religiösen Interpretationszusammenhang hineingestellt wird. Gleichzeitig zeigt sich hier noch einmal eine deutlich andere Einstellung der Religion gegenüber als beim religionsfreundlichen Kulturchristentum. Denn was bei diesem im Vordergrund steht: der Respekt vor den kulturellen Folgen des europäischen Christentums bzw. die Auseinandersetzung mit dem, was Bolz die „objektive Religion“ nennt, spielt bei Claudia möglicherweise gar keine Rolle. Deren Religiositätstypus könnte man eher eine „persönliche Selbstvergewisserungsreligion“ nennen. Gleichwohl wird auch hier etwas Religiöses erkennbar, das jenseits kirchlich gelebten Glaubens lebendig ist. Aus meiner Sicht jedenfalls sind Claudia und all diejenigen, für die sie hier steht, nicht in einem Feld religiöser Ignoranz und Bedürfnislosigkeit anzusiedeln, sondern eben in der vielgestaltigen neuen Mitte intermediärer Religiositätsformate. Ich vermute: Auch Claudia würde auf Nachfrage sagen, sie halte sich für „religiös“ – aber eben nicht für „ziemlich“ oder gar „sehr“ religiös, sondern, wie 40 Prozent der westdeutschen Bevölkerung, für „mittel religiös“. (vgl. Bertelsmann Stiftung 2009, CD 37)

      Eine religionspädagogisch interessante Situation

      Der Schlüssel zum Verständnis der neuen religiösen Mitte ist meines Erachtens die Situation religiöser Pluralität und der von ihr ausgehende Relativierungsdruck. Die Bedingungen religiöser Pluralität haben das Bewusstsein einer letztlich unüberholbaren Kontingenz religiöser Optionen deutlich vor Augen geführt. Unter diesen schwierigen Umständen tendiert die Mehrheit zu intermediären Religiositätsformaten wie denen des „religionsfreundlichen Kulturchristentums“ oder der „persönlichen Selbstvergewisserungsreligion“. Die intermediären Religiositätsformate insgesamt sind, was den Bestand ihrer Überzeugungen anbelangt, hochgradig unbestimmt und, was den Stil ihrer religiösen Praxis angeht, sehr fluide. (vgl. auch Lüddeckens/Walthert 2010) Ich würde ihnen sogar jene Ausprägungen einer zugegebenermaßen „schwachen“ Religiosität noch zurechnen, deren Vertreterinnen und Vertreter sich mit der vagen Vermutung begnügen: „Da ist etwas“ oder, noch vager, „irgendetwas wird es schon geben“. (vgl. Nassehi 2009, 175) Auch hier zeigt sich ja noch eine gewisse Sensibilität für das, was Theologinnen und Theologen die „religiöse Dimension der Wirklichkeit“ oder das „unsagbare Geheimnis unseres Lebens“ (Karl Rahner) nennen. Diese Sensibilität verbindet sich jedoch offenbar bei immer mehr Menschen mit der Skepsis gegenüber der Möglichkeit, dieses Geheimnis, in welchen Formen auch immer, deutlicher zu artikulieren und zu ihm, wie es die Religionen versuchen, in eine wie auch immer „geregelte Beziehung“ zu treten. (vgl. Englert 2010)

      Ein Mann mittleren Alters sagt: Ich „glaube […] noch immer an einen Gott. Nicht dauernd. Manchmal ist das Gefühl für Monate weg, aber dann ist es auf einmal wieder da. Meistens denke ich an ihn, wenn es mir besonders gut geht – oder wenn ich mich sorge. Dann, rede ich ein bisschen mit ihm, vorm Einschlafen meistens, sage: Lass den oder den bitte wieder gesund werden. Ich sage übrigens nie: ‚Wie kannst du zulassen, dass […]‘ Wahrscheinlich bin ich ihm nicht nahe genug, um mich mit ihm zu streiten. Wobei ich auch nicht erwarte, dass sich Gott ins Leben einmischt. Ich glaube, dass er sich raushält. Am ehesten glaube ich noch: Er weiß, was passieren wird“ (Stolz 2009, 16).

      Ich denke, so oder ähnlich würden das viele Menschen heute sagen. Sie sind sozusagen offen in viele Richtungen. Sie bilden die in sich vielgestaltige religiöse Mitte. Für die Religionspädagogik schafft dies interessante, aber auch schwierige Bedingungen. Norbert Mette, der die religiöse Gegenwartssituation seit den 1970-er Jahren immer wieder luzide kommentiert hat, meint: Die Vielgestaltigkeit neuer, untereinander nur schwer kommunizierbarer Religiositätsformate, die sich noch dazu von den traditionellen Religionen teilweise ausdrücklich absetzen, stellt für „eine an einer traditionellen Religion orientierte Religionspädagogik […] eine enorme Herausforderung dar“ (Mette 2009, 10). Man werde sorgfältig zu bedenken haben: Bringt die neue Situation „eher Chancen mit sich oder hindert sie eher daran, die überkommenen und zentralen christlichen Glaubensinhalte in die religiöse Erziehung und Bildung einzubringen und geltend zu machen?“ (Mette 2009, 10). Aus Mettes Sicht entscheidet sich, wie es hier weitergeht, vor allem am Umgang mit der Gottesfrage!

      Literatur

      Bertelsmann Stiftung (Hg.), Woran glaubt die Welt? Analysen und Kommentare zum Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2009 (mit CD „Grundauswertung, Methodenberichte, Umfrageprotokolle“).

      Bitter, G., Art. „beten/lobpreisen“, in: G. Bitter/G. Miller (Hgg.), Handbuch religionspädagogischer Grundbegriffe, Bd. 1, München 1986, 376-383.

      Bolz, N., Das Wissen der Religion. Betrachtungen eines religiös Unmusikalischen, München 2008

      Ders., Die Sinngesellschaft, Düsseldorf 1997.

      Davie, G., Religion in Britain since 1945. Believing without belonging, Cambridge/USA 1994.

      Englert, R., Religionsunterricht in der Multioptionsgesellschaft, in: Katechetische Blätter 135 (2010), 284-291.

      Habermas, J., Ein Bewusstsein von dem, was fehlt. Über Glauben und Wissen und den Defaitismus der modernen Vernunft, in: NZZ-online vom 12. 2. 2007: http://www.nzz.ch/2007/02/10/li/articleEVB7X.html.

      Kurzke, H./Wirion, J., Unglaubensgespräch. Vom Nutzen und Nachteil der Religion für das Leben, München 2005.

      Lüddeckens, D./Walthert, R. (Hgg.), Fluide Religion. Neue religiöse Bewegungen im Wandel. Theoretische und empirische Systematisierungen, Bielefeld 2010.

      Mette, N., „Gottesverdunstung“ – eine religionspädagogische Zeitdiagnose, in: R. Englert (u.a.) (Hgg.), Gott im Religionsunterricht (Jahrbuch der Religionspädagogik, Bd. 25), Neukirchen-Vluyn 2009, 9-23.

      Nassehi, A., Religiöse Kommunikation: Religionssoziologische Konsequenzen einer qualitativen Untersuchung, in: Bertelsmann Stiftung (Hg.), Woran glaubt die Welt? Analysen und Kommentare zum Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2009, 169-203.

      Prokopf, A./Ziebertz, H.-G., Abduktive Korrelation – Eine Neuorientierung für die Korrelationsdidaktik?, in: Religionspädagogische Beiträge 44 (2000), 19-50.

      Stolz, M., Ich glaube, ich trete aus, in: Zeit-Magazin vom 17.12.2009, 12-19.

      Striet, M. (Hg.), Wiederkehr des Atheismus. Fluch oder Segen für die Theologie?, Freiburg 2008.

      Tobias Kläden

      Neurowissenschaftliche Herausforderungen an die Praktische Theologie – nur ein Hirngespinst?

      „Ohne Hirn ist alles nichts.“ Diese lässige, jedoch nicht als Provokation gemeinte Aussage kann als die Leitidee der Hirnforschung betrachtet werden. Vielleicht ist die Aussage viel zu allgemein formuliert, um überhaupt wahr sein zu können. Also genauer: Die Leitthese der kognitiven Neurowissenschaften besagt, dass unser Bewusstsein, unser gesamtes mentales Leben nicht möglich wäre ohne bestimmte, spezifische und funktionierende

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