Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft. Группа авторов

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Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft - Группа авторов Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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N. et al., Neural correlates of religious experience, in: European Journal of Neuroscience 13 (2001), 1649-1652.

      Newberg, A.B./D’Aquili, E.G./Rause, V., Der gedachte Gott. Wie Glaube im Gehirn entsteht, München 2003.

      Persinger, M.A., Neuropsychological bases of God beliefs, New York 1987.

      Ramachandran, V./Blakeslee, S., Die blinde Frau, die sehen kann, Hamburg 32002.

      Ottmar Fuchs

      Re-Formation des Glaubens in der Diakonie – Plädoyer für die Rekonstruktion einer diakoniekritischen Reformationsgeschichte

      Messianische Reformation

      Die „Reformation“1, die der Messias gegenüber seinen Gegnern zur Geltung gebracht hat, ist hauptsächlich in einem anderen Verhältnis von Wort und Tat, von Glaube und Erfahrung zu finden. Dementsprechend leistet sich Jesus selbst keine Rede von Gott außerhalb konkreter, heilender und rettender Begegnung. Er spricht vom Reich Gottes, wenn er in der Begegnung mit Armen, Stigmatisierten und Schwachen seine Heilsbotschaft im Heilen tut bzw. indem er den Sündern Gottes Vergebung zuspricht. Er spricht auch vom Reich Gottes, wenn er sich in seinen Reden und Gleichnissen für die Armen und Leidenden solidarisiert: Wenn ich mit dem Finger meiner Hand heile, schlimme Entfremdungen austreibe und wenn ich gegen die Marginalisierung der Leidenden und Ausgegrenzten spreche und handle, dann ist das Reich Gottes zu euch gekommen! (vgl. Lk 11,20) So wird in seinen realisierten wie auch erzählten Geschichten dem Begriff Gott eine unmissverständlich praktische Eindeutigkeit verschafft. Diese Geschichten verdrängen nicht, sondern nehmen die leidende Welt auf und erzählen eben darin das Wirken Gottes unter den Menschen, welches sich immer wieder auf den elementaren Widerspruch zwischen denen, die Leid schaffen, und denen, die das Leid bekämpfen, konzentriert und sich in diesem Widerspruch aufreibt.

      So weist Jesus auf die Anfrage Johannes' des Täufers die „Wahrheit“ seines Evangeliums dadurch aus, dass er ihm in Anschluss an Jesaja seine heilenden Taten berichten lässt: „Blinde sehen wieder, Lahme gehen und Aussätzige werden rein; Taube hören […] und den Armen wird das Evangelium verkündet“ (Lk 7,22). So wird der wiederkommende Herr uns danach fragen, ob wir ihm in den Hungernden zu essen gegeben haben, oder ob wir ihn als den Fremden aufgenommen und als den Kranken besucht haben. (vgl. Mt 25,31-46) So ist der Ketzer in der Samaritergeschichte der Gerechtfertigte, weil er dem Leidenden hilft; und der Priester, auf den Tempel fixiert, um dort den „eigentlichen“ Gottesdienst zu vollziehen, hat nichts verstanden. (vgl. Lk 10,25-37) So stellt Jesus den Mann mit der verdorrten Hand in die Mitte der Synagoge, wo sonst die Tora-Rolle, das Wort Gottes selbst Platz hat, um ihm dort heilend zu begegnen. (vgl. Mk 2,27-3,6) Und auch die Geschichte vom Messiasbekenntnis des Petrus und seiner Flucht vor der riskanten Messiasnachfolge in der Tat (vgl. Mt 16,13-27) gehört hierher: Für das Bekenntnis wird Petrus als der „Fels“ der Kirche seliggepriesen, für die Flucht vor der realen Nachfolge des sich hergebenden und gewaltlosen Messias freilich wird er als Satan betitelt.

      Auch der tödliche Konflikt entzündet sich an der unversöhnlichen gegensätzlichen Praxis der Kontrahenten, die diese mit dem Gottesbegriff verbinden. So heilt Jesus die durch die Menschen produzierte Sprachzerstörung bezüglich des Gottesbegriffs, indem er diesen Begriff durch seine eigene Geschichte aus der paradoxen Kommunikation herausholt, in der der Begriff Gott mit einer seiner Wirklichkeit gegenüber kontraproduktiven Praxis der Unterdrückung und Zerstörung der Menschen verbunden wird. Wer dieser „Geschichte“ nachfolgt, beteiligt sich selbst nicht nur an der Wiedergewinnung des authentischen Gottesbegriffs, sondern gleichzeitig an der Verwirklichung seiner Gegenwart unter den Menschen. Verwirklichung seiner Gegenwart im Leben und Handeln der Menschen: als universale Solidarität gegenüber Benachteiligten und von Leid und Schmerz betroffenen Menschen und als politischer Kampf für die Verwirklichung ebenso universaler Menschenrechte.

      Mit Norbert Mette weiß ich mich in diesem Kampf für die praktische Vereindeutigung des christlichen Glaubens zugunsten aller Menschen und Völker intensiv verbunden: wie zum Beispiel in der Auseinandersetzung um die theologische Bedeutung der Diakonie in Kirche, Theologie und Pastoral, wie in der bereits von Norbert Mettes Lehrer Adolf Exeler begonnenen und von Norbert Mette begegnungsbezogen und konzeptionell intensivierten komparativen Pastoraltheologie insbesondere im Horizont lokaler und weltweiter Theologien der Befreiung. Man kann sich im deutschsprachigen und vermutlich im ganzen europäischen Bereich kaum eine Person innerhalb der Theologie vorstellen, die so konsequent, nachhaltig und unbeirrbar für jene Reformation des christlichen Glaubens gekämpft hat, wie ich sie hier gegenüber dem bisherigen Reformationsverständnis genauso in die Mitte stellen möchte, wie Jesus die Kinder und den behinderten Menschen in die Mitte gestellt hat. Norbert Mette hat sich in dieser Reformationsgeschichte um eine entscheidende und für die Zukunft ausschlaggebende Wegstrecke verdient gemacht.

      Bekannte und vergessene Reformationsgeschichte(n)

      Nimmt man diesen Maßstab für den kirchlichen bzw. christlichen Reformationsbegriff ernst, dann erscheinen alle kirchengeschichtlichen Reformationen, die sich nur auf den Glaubensbereich beziehen, als ungenügend reformatorisch. Auf diesem Hintergrund muss man die kirchliche Reformationsgeschichte eigentlich neu schreiben.

      Der Wartburgreformator des 16. Jahrhunderts verblasst dann gegenüber der Reformatorin, die ca. 300 Jahre vorher auf der Wartburg lebte: nämlich die Heilige Elisabeth von Thüringen. Sie heilt das Verhältnis von Glaube und Existenz in einer ganz bestimmten kompromisslosen Weise. Und sie steht für ähnliche Menschen und Begegnungen in dieser Zeit (für die Armutsbewegungen, die Bettelorden, vor allem für den Aufbruch eines Franz von Assisi) und überhaupt in der Kirchengeschichte. Viele wären als solche Reformatoren und Reformatorinnen erst noch zu entdecken und auszuzeichnen.

      Martin Luthers Reformation bezog sich weitgehend auf den Glaubensdiskurs, also gewissermaßen auf einen ideologischen Konflikt, zwar auch hier mit entsprechenden praktischen Konsequenzen und vor allem mit den politischen Erfolgen in der damaligen Machtkonstellation und auf dem Hintergrund der explodierenden Massenmedien. Aber gerade darin (Buchdruck!) ging es hauptsächlich um das Wort. In der Frage nach dem universalen Heil und der bedingungslosen Diakonie allen Menschen gegenüber stand Luther allerdings in seinem Exklusivismus der alten Kirche in nichts nach, nun allerdings nicht mehr mit kirchen-, sondern mit glaubensbezogenen Grenzziehungen.

      Sein etwas früherer spanischer Zeitgenosse Johannes von Gott (der Begründer der barmherzigen Brüder) war ihm da in Granada genauso voraus wie Jahrhunderte vorher Elisabeth von Thüringen. Das Gütezeichen des Reformatorischen also, nämlich dass der Glaube wieder eine bestimmte, zu ihm gehörige authentische praktische Vollzugsform (zurück)gewinnt, ist auf Luther nur fragmentarisch, jedenfalls nicht programmatisch zu beziehen. Auch die protestantische Freiheitsdynamik bleibt „Christenmenschen“ vorbehalten, ereignet sich also als entsprechende Diakonie in der christlichen Gottesbeziehung und damit im Bereich des Glaubens. Selbstverständlich gilt Luther für die europäische Folgegeschichte als historisch höchst relevanter christlicher Reformator, aber theologisch fehlt an dieser Historie dann doch etwas Entscheidendes, das dann auch keine eigene Geschichtsdynamik entwickeln konnte.

      Nichts sei gegen Luthers Auseinandersetzungen und Entdeckungen im Glaubensvorgang selbst gesagt, vor allem hinsichtlich seiner Gnadentheologie, der ich sehr viel für meine eigene Theologie verdanke. Aber es gibt demgegenüber die Einsicht des evangelischen Exegeten Ernst Käsemann: Gnade, die nicht tätig ist, ist Einbildung. Der berechtigte Kampf Luthers gegen Werkgerechtigkeit hatte gleichwohl den Schatten, den Glauben wichtiger zu nehmen als die Praxis. Doch sind die Lohnmetaphern in den Evangelien nicht einfach zu übersehen, in denen ein ganz bestimmtes Verhältnis zwischen hiesigen solidarischen Werken (vgl. Mt 25)

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