Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft. Группа авторов

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Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft - Группа авторов Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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Teufel, sondern zwischen Mensch und Gott“ (Coudenhove 71933, Gespräch 20).

      Diese Transformation beginnt nicht erst mit dem Tod Ludwigs, sondern bereits parallel mit dieser Liebe. So legt sie, als Ludwig auf einem seiner Waffengänge weg ist, einen Aussätzigen in das Bett ihres Gatten, berührt und pflegt ihn. Hier verdichtet sich genau dieser Zusammenhang: in das gleiche Bett, wo sie die Liebe mit ihrem Gatten lebt, legt sie den Aussätzigen und zeigt darin, dass zwar mit anderer, aber mit gleicher Liebesintensität dieser im Mittelpunkt ihrer leiblichen Hingabe steht. Alban Stolz erzählt die Legende so, dass der heimkehrende Landgraf, als er den Vorhang vom Bett zurückzieht, tatsächlich den Gekreuzigten in seinem Bett sieht. Im Wunder kommt der geglaubte „Hintergrund“ zum Vorschein. (vgl. Stolz 1923, 69) Nicht Unwertes wird hier also geopfert, und es wird nicht unlustig und ohne Freude geopfert, sondern aus Liebe. Sie stellt die herrschende Askese vom Kopf auf die Füße: sie schenkt nicht, um sich weh zu tun, sondern sie schenkt, um die anderen zu beglücken, „und der Schmerz, der nicht ausbleibt, ist […] höchstens der Preis des köstlichen Schenkendürfens, um den sie nicht feilscht und jammert und auf den sie auch nicht stolz ist“ (Coudenhove 71933, Gespräch 50).

      Der Tod ihres Gatten ist für sie fast unüberwindbar. Gleichwohl hat sie schon mit ihm die Zeit danach vorbereitet. Denn jetzt schreitet sie stufenweise in jene leibliche und insgesamt überschwängliche Liebe hinein, die allen Leidenden gilt. Selbstverständlich ekelt auch sie sich vor den Geschwüren der Kranken, aber sie berührt sie, sie pflegt sie, die Legende sagt sogar, dass sie sie küsst. Ob hier das entsprechende Erzählschema von Franz von Assisi gestaltgebend ist, oder ob dahinter tatsächliches Handeln steht, muss nicht ausgemacht werden. Nun endgültig getrennt von ihrem Gatten, trennt sie sich auch von den Kindern, was allerdings im damaligen Kontext nicht gerade jene Herzlosigkeit sein muss, die wir heute damit verbinden mögen. (vgl. Maresch 1932, 158f) Kinder, die in der feudalen Herrschaftsklasse aufwuchsen, wurden einer Amme und anderen zur Erziehung übergeben.

      Doch zeigt sich insgesamt in solchen nicht von ungefähr nochmals unterstrichenen Bemerkungen dieses Zusammenhangs der Hintergrund einer Transformation, die wohl folgendermaßen gelesen werden darf: Elisabeth tut wirklich etwas, was wörtlich von Jesus gesagt wurde, nämlich um seinetwillen die Eigenen zu verlassen (was ja normalerweise „nicht ernst gemeint sein kann“). Sie aber übersetzt diesen Satz Jesu eins zu eins in ihr Leben hinein. Und dies auch nicht nur auf dem Hintergrund des Vorbildes Jesu, sondern in einer intensiven Beziehung mit ihm. Sie umarmt den Schmerz der anderen, weil Christus ihn gelitten hat. (vgl. Coudenhove 71933, Gespräch 68)

      Sie will sein armes und gehetztes Wanderleben miterleben, in seliger Weise bei ihm sein und mit ihm sein. (vgl. Coudenhove 71933, Gespräch 69f)

      Die körperliche Liebkosung gilt nun nicht mehr dem schönen Leib ihres Gatten, sondern dem geschundenen Leib des fremden Leidenden. Die Erotik bekommt ein negatives Vorzeichen: wenn darunter körperliche Anziehungskraft zu verstehen ist, dann gewinnt nun der verfallende Köper eine geradezu vitale Anziehungskraft für Elisabeth. Alban Stolz scheint in seiner eindrucksvollen Biographie der heiligen Elisabeth diese liebkosende Leiblichkeit am ekelhaften Körper nicht aushalten zu können, indem er schreibt: „Desgleichen ging auch Elisabeth, gleichsam als wäre sie nur noch eine Seele ohne Fleisch und Blut, zu den abscheulichsten Kranken und berührte sie ohne Scheu, wie man ein hübsches Kind berührt“ (Stolz 1923, 68). Der Autor muss offensichtlich den Leib erst vergeistigen, bevor er zu so etwas fähig wird.

      Diese leibliche Spiritualität entspricht der Wirklichkeit aus Mt 25,40: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“. Diesen Satz hat sie durch und durch substantiell, real präsentisch verstanden: in jedem Leidenden, in jedem Aussätzigen, in jedem Armen begegnet sie in der Tat Christus leiblich. Hier wird nicht etwa der Mensch geliebt, um Gott zu gefallen, sondern beides fällt ineinander. Gott wird im Anderen geliebt. Die Menschenliebe wird also nicht für die Gottesliebe instrumentalisiert, in einer Entwertung der menschlichen Person, in einem „Herabsinken zur zufälligen Begleiterscheinung des Dienstes an Gott“ (Coudenhove 71933, Gespräch 80).

      Coudenhove hat hier ein schönes Bild: nämlich wenn ein Freund einen anderen Freund schickt, der ihm lieb ist, um bei seinem Schützling ihn selbst zu vertreten. Wenn also dem Fernen die eigenen Hände geliehen werden. „So steht die Heilige zu allen Menschen, die ihr von Gott ans Herz gelegt sind, und dass sie seine Liebe an ihnen vertrete: ‚Liebet einander, wie ich Euch geliebt habe.’ Wie Du den Freund im Namen des Freundes, zu dem Ihr beide gehört, mit offenem Herzen und voll Vertrauen empfängst, voll froher Spannung auf die Botschaft dessen, von dem er kommt, so nimmt sie jeden auf, ‚im Namen Gottes’: sieh, wie das kühle Wort lebendig wird! – sie sieht die Menschen nicht mehr von außen, wie wir; was uns so selten geschenkt wird, in der Gnade der Freundschaft: eines Menschen Bild von Gott her zu sehen, den Namen zu hören, mit dem Gott ihn ruft: das ist ihr wunderbares Geheimnis. Sie sieht wahrhaftig durch die Augen Gottes, oder Gott sieht durch ihre Augen […] und es gibt keinen Fremden und Fernen mehr, denn Gott sieht keinen fremd und fern. Es gibt nur mehr den Nächsten und er ist wahrhaftig: der Nächste, und der erste beste ist wirklich der erste und beste“ (Coudenhove 71933, Gespräch 81f).

      Elisabeth zeigt sich in ihrer Liebe durch ihr ganzes kurzes Leben hindurch immer ganz, immer körpernah und immer mit einem Hauch an Unendlichkeit, die diese Dynamik niemals abschließen kann. Eigentlich stellt sich hier nicht Liebe gegen Liebe, etwa Armenliebe gegen die Gattenliebe und Kinderliebe. Sondern diese vitalen Bereiche der Liebe „erster Ordnung“ werden zum Erfahrungsort, um die gleiche Vitalität und Unendlichkeit auch in die Liebe „zweiter Ordnung“ den Kranken und Armen gegenüber zu übertragen, ohne dabei an Vitalität zu verlieren. Es ist die gleiche Quelle.

      Noch etwas anderes Entscheidendes fällt bei Elisabeth auf: nämlich ihre unmittelbare Fähigkeit zur Doxologie, zum Lob Gottes, zum Tedeum: und zwar aus unserer Perspektive geradezu kontrafaktisch zu dem, was sie erlebt, zum Beispiel in der Nacht der Vertreibung von der Wartburg.5 In den Quellen wird es spürbar: wie sie fast in kindlicher Weise sich darüber freut, denen ein Schnippchen geschlagen zu haben, die ihre Armen- und Krankenliebe auf ein gesundes Mittelmaß reduzieren wollen.

      Immer wieder ist in den Quellen von Jubel und Freude die Rede, aber auch mit gleicher Tiefe von uferlosem Schmerz vor allem bei der Todesbotschaft ihres Gatten. Aber selbst da kann sie den Willen des Vaters preisen: „Herr, Du weißt es wohl: könnte es mit Deinem heiligen göttlichen Willen geschehen, so wäre mir sein Leben und seine liebliche fröhliche Gegenwart und sein Angesicht lieber als Freude und Ehre dieser Welt, so wollte ich gerne alle Tage mit ihm betteln gehen. Aber wider Deinen Willen, liebster Herr, wollte ich ihn nicht wieder zum Leben bringen, wenn ich’s um den Preis eines Haares tun könnte“ (Coudenhove 71933, Gespräch 59-60). Das ist es, was in ihr aufscheint: nämlich Gott größer sein zu lassen als das eigene Elend (vgl. Fuchs 2008b), und dabei leiblich vor Freude zu „glucksen“, wie es Franz von Assisi zu tun vermag.

      Bei Elisabeth wird erfahrbar, „[d]ass die ‚Unmöglichkeit christlichen Daseins’ eben durch die vollkommene Verwirklichung christlichen Daseins bezeugt wird. […] Die Kategorien der Vernunft und die Bedingungen des gesellschaftlichen Wohlverhaltens werden brüskiert; die ‚Ordnung’ des irdischen Lebens wird ‚gefährdet’, ja sie wird belanglos unter dem Gebot einer bedingungslose Hingabe an Gott. Das Dasein der Heiligen ist zwecklos in der Welt; die beunruhigte Nach- und Mitwelt jedoch sucht es wiederum irdischen Zwecken der Belehrung, der Sinnstiftung, der Lebenshilfe und Erbauung nutzbar zu machen“ (Schneider 1997, 88).

      Johannes Ciudad in Granada

      Drei Jahre nach jenem folgenschweren Geschichtsdatum 1492 wird Johannes Ciudad Duarte (vgl. Fuchs 1994) in der portugiesischen Gemeinde Montemor-o-Novo in der Provinz Alemtejo geboren. Seine Eltern haben ein Obstgeschäft. Aus welchen

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