Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft. Группа авторов

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Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft - Группа авторов Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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Verschwendung. Die Theologie im Gespräch mit Georges Bataille, Frankfurt a. M. 1995.

      5 Vgl. Coudenhove, Gespräch 57. Vgl. dazu auch das eindrucksvolle Buch von Leddy, M.J., Radical Gratitude, Maryknoll/New York 2002.

      6 Vgl. zu diesem Begriff in unserem Zusammenhang Fuchs, O., Im Brennpunkt: Stigma. Gezeichnete brauchen Beistand, Frankfurt a.M. 1993, 11-17, 25-30.

      7 Nigg 1985, 25-26; vgl. zum Bild des Feuers und des Sturmwindes auch Cruset, J., Das heilige Abenteuer des Johannes von Gott, Graz 1967, 101ff.

      8 Cruset 1967, 133; in konzeptioneller Entfaltung vgl. dazu Leibbrand, W., Der göttliche Stab des Äskulap. Eine Metaphysik des Arztes, Salzburg 1939, 13-28. 469ff.

      Leo Karrer

      Kirche zwischen Glaubensgemeinschaft und System

      „Rote Karten“

      Die Kirche steckt in einer Krise, die alle jene tief erschüttert, denen eine glaubwürdige Kirche am Herzen liegt. In den vergangenen Jahren sind in der Öffentlichkeit und von der besorgten kirchlichen Basis so viele rote Karten an die Adresse des Vatikans gezogen worden, dass sich Beispiele erübrigen. Allerdings stellen die Vorgänge um die Missbrauchsfälle alles in den Schatten. Man spricht von einem Supergau der katholischen Kirche. Mir kommt das schreckliche Bild vom Tsunami in den Sinn, der die Kirche überschwemmt. Dabei handelt es sich nicht nur um interne Spannungen zwischen progressiven und konservativen Lagern in der Kirche. Vielmehr hat die römisch-katholische Kirche in unseren Ländern die moralische Ehre verloren. Die Kirche kann nicht dauernd die ethischen Höchstpreise an die Welt verkünden, ohne diese Grundsätze im eigenen Bereich selber zu praktizieren und die eigenen Kosten im Sinne dieser Höchstpreise zu übernehmen. Sonst wird bis zu einem gewissen Grad verständlich, warum die mediale Öffentlichkeit z.T. so hämisch und sensationslüstern reagiert. Denn man verübelt der Kirche, dass sie ihre eigenen hehren Grundsätze nicht ernst nimmt. Das betrifft auch andere Bereiche wie Menschenrechte, demokratische Partizipation, Subsidiarität usw. Die Kirche ist insofern Opfer ihrer selbst und nicht nur das Opfer einer vermeintlich feindlichen Welt. Wie ist aber diese bedrängende Situation der Kirche zu verstehen?

      Bekannt ist ja, dass sich seit Mitte des letzten Jahrhunderts nicht nur gesellschaftlich, sondern auch religiös und kirchlich damals unvorhersehbare Umbrüche mit Abbrüchen und Aufbrüchen ereignet haben. Durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) hat die katholische Kirche gelernt, über sich nachzudenken. Sie wandelte sich von einer statischen Kirche zu einer dynamischen Kirche mit Durchbrüchen und bemühenden Konflikten. In kurzer Zeit ist ein weiter Weg beschritten worden. Das Konzil darf nun in der Rückschau weder von der einen noch von der anderen Seite fundamentalistisch vereinnahmt werden. Es war aber eine charismatische Zäsur in einem Prozess, der weitergehen und nicht zurückgeschraubt werden darf.

      Immer mehr muss man intern wahrnehmen, dass die Kirche keine geschichtslose und gesellschaftsferne „societas perfecta“ ist. Massiv ist die Kirche ins gesellschaftliche Fahrwasser des Lebens verstrickt und davon abhängig.

      Die Gesellschaft als bestimmende Quartiermeisterin für die Kirche(n)

      Durch das Konzil lernte die Kirche, sich unter den Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens wahrzunehmen. (vgl. Gaudium et spes) Dieser Weg zeigte, dass die unübersichtliche Komplexität und überfordernde Kompliziertheit der Wirklichkeit vor den Kirchentüren nicht Halt gemacht, sondern sich in die Kirche selber ergossen hat. Eine hochdifferenzierte und individualisierte (z.T. singularisierte und damit desolidarisierende) Gesellschaft mit ihrer Macht und ihren Normen, aber auch mit ihrer Brüchigkeit und mit ihrer Brutalität sowie mit ihrer medialen Öffentlichkeit ist zur maßgeblichen Quartiermeisterin auch für die Kirche geworden. Rückzüge in kontrollierbare Reviere nützen nichts und heilen noch weniger. Wenn z.B. die Gleichstellung von Mann und Frau, Partizipatio, demokratische Entscheidungsfindung, Menschenrechte und faire Konfliktverfahren selbstverständliche Normen geworden sind, auch wenn man ihnen in der Praxis oft nicht die Ehre antut, dann schafft das unüberwindliche Spannungen zum geltenden kirchlichen Rechtssystem. Dieses kommt für viele Menschen daher mit einem tiefen Argwohn gegenüber dem freiheitsliebenden Denken und der Leiblichkeit mit der Vitalität und der Sexualität des Menschen. Zudem ist die Kirche zentralistisch übersteuert und patriarchal strukturiert. Die interne Kommunikation verläuft mit der medialen Ästhetik eines Hofzeremoniells nur von oben nach unten. Und an jedem Hof genießen Denunzianten mehr Gehör als die Denunzierten Schutz. In der Logik des Systems werden nicht zuerst pastoral und kommunikativ kompetente Leute, sondern Systemloyale mit z.T. erheblichen menschlichen Insuffizienzen in Linienpositionen berufen, wie Bischofsernennungen schmerzlich zeigen, die ganzen Bistümern den Frieden kosten.

      Nun: Einen Krisenherd zu benennen, heißt nicht, ihn hämisch und selbstinszenierend zu bedienen, sondern sich ihm anzunähern, um heilende Schritte für die weitere Wegsuche auszukundschaften. Es könnte ja sein, dass in Zusammenbrüchen etwas Neues auf- und durchbrechen möchte. Auch das Rettende zeigt sich – wenn auch oft erst verborgen. Zwar wird gegen die Kritik am hierarchischen System eingewendet, man soll sich nicht dauernd auf zweitrangige äußere Probleme fixieren. Es käme doch primär auf die mystische und sakramentale Dimension der Kirche an. Letzteres ist unbestritten. Aber damit sind Anfragen an das System unserer Kirche trotzdem sinnvoll. Immerhin ist Glaubwürdigkeit keine beliebige Option. Zudem ist Kirchen- und Selbstkritik aus dem Geiste des Evangeliums heraus auch kirchliches und christliches Handeln.

      Versuch einer Konflikthypothese: Spannungen durch das System

      Die aktuellen Spannungen in der Innenarchitektur unserer Kirche und der ungeheure Realitätsverlust des Systems sind wohl folgendermaßen zu diagnostizieren. Die vorhin genannten Schritte der katholischen Kirche seit dem II. Vatikanischen Konzil belegen, dass die Kirche sich in einer differenzierten und pluralistisch gewordenen Zivilgesellschaft im Konflikt mit sich selbst befindet sowie in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess. Was ist damit gemeint? Die Kirchenverständnisse und die Vorstellungen über die Kirche haben sich intern vervielfacht und atomisiert. Diese dynamisierenden Bewusstseinsschübe haben den früher monolithischen Binnenraum der Kirche enthärtet und selber pluralisiert. Vervielfacht haben sich gleichzeitig die Konzepte des pastoralen Handelns bis hin zu verschiedenen Kategorien von Spezialseelsorge entwickelt, obwohl auch diese letztlich Normalseelsorge sind. Zudem: in den letzten Jahren sind – unter dem Druck des Priester- bzw. Personalmangels und infolge des Geldmangels – auch die früheren kirchlichen Sozialformen neu in Bewegung gesetzt und strukturiert worden wie z.B. Pastoraler Entwicklungsplan im Bistum Basel, die Lebensraumorientierte Seelsorge im Bistum St. Gallen, die Sektorenpastoral im französischsprachigen Raum, Pastoralräume, Seelsorgeeinheiten, Pfarrverbände im deutschsprachigen Bereich und nicht zuletzt die Hilfswerke, die Präsenz als Bahnhofs-, Flughafen-, Einkaufszentrum-Kirche oder City-Kirche usw. Aber nicht nur die Kirchenbilder, nicht nur die Seelsorgekonzepte und die pastoralen Sozialformen haben sich enorm verändert und sich dem gesellschaftlichen Kontext angepasst, sondern auch das kirchlich-pastorale und theologische Betriebspersonal. Und dies greift sozusagen intim in das hierarchische Selbstverständnis unserer Kirche hinein.

      Es hat sich somit innert weniger Jahrzehnte so viel gewandelt, ohne das Wesentliche zu verlieren, dass das alltägliche Gesicht der Kirche meiner Jugendzeit heute kaum mehr auszumachen ist. Allerdings – und dies spitzt die Konflikthypothese zu – : alles hat sich differenziert und professionalisiert und der Kirche ein verändertes Profil beschert; nur einzig und allein das kirchenrechtliche Gewand bzw. die geschichtlich entfaltete Organisationsform der Kirche ist vorkonziliar stehen geblieben. Dieses klerikal-hierarchische System wird in seinem geradezu feudalistischen Zuschnitt eher wieder forciert. Die kanonische Kirche ist für das inzwischen üppig Gewachsene viel zu eng geworden.

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