Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft. Группа авторов
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Formuliert man diese Intuition über die empirischen Daten hinausgehend, so gelangt man zu der These, dass psychische Phänomene ausschließlich im Zusammenhang mit (spezifischen) Hirnprozessen auftreten, oder umgekehrt: Ohne Hirnprozesse gibt es keine psychischen Phänomene. Ohne hier auf die weit reichenden philosophischen Konsequenzen dieser oft vertretenen These eingehen zu können, wird ohne weiteres deutlich, dass diese These und die dahinterstehenden Ergebnisse der Hirnforschung von theologischer und auch von praktischtheologischer Relevanz sind. Denn wie die breite Diskussion in der Öffentlichkeit zeigt, lassen die Befunde der Hirnforschung das Selbstverständnis des Menschen nicht unbeeinflusst. Offenbar schicken sich die Neurowissenschaften an, die vornehmsten Eigenschaften des Menschen, wie etwa seine Reflexionsfähigkeit, seinen Intellekt oder seinen freien Willen, auf natürliche Weise, mit den Mitteln der Naturwissenschaften zu erklären und damit vielleicht wegzuerklären. Dadurch droht der Mensch, seine Sonderstellung als geistbegabtes Wesen zu verlieren.
Auch die Religiosität des Menschen gerät in den Fokus der neurowissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Religiöse Einstellungen und Überzeugungen unterliegen dem Programm der Naturalisierung, der natürlichen Erklärbarkeit genauso wie religiös motivierte Verhaltensweisen. Spätestens an dieser Stelle kann sich die praktische Theologie nicht mehr heraushalten aus der Diskussion um die Fragen, die die Neurowissenschaften aufwerfen.
Im Folgenden werde ich versuchen, die Relevanz dieser Fragestellungen für die praktische Theologie aufzuzeigen und diese Bedeutung an einem Beispiel exemplarisch zu veranschaulichen. Im diesem Beispiel soll es ganz knapp um die Befunde und Thesen gehen, die unter der Bezeichnung „Neurotheologie“ durch populäre und wissenschaftliche Medien geistern.
Herausforderungen an die praktische Theologie
Schaut man aus der Vogelperspektive auf den aktuellen Stand der Neurowissenschaften, stellt man fest: Obwohl noch große Lücken in unserem Wissen über das Gehirn klaffen, obwohl die eigentliche Funktionsweise des Gehirns noch lange nicht als entschlüsselt gelten kann, so schickt sich die Hirnforschung doch an, entscheidend am Selbstverständnis des Menschen zu kratzen. Auch wenn insbesondere die Art und Weise der Codierung und Repräsentation von Information im Gehirn noch ganz unklar ist, so scheint doch das, was den Menschen ausmacht, grundsätzlich mit neurowissenschaftlichen Methoden erforschbar zu sein. Auf der Agenda der Hirnforschung stehen Themen wie Bewusstsein und Selbstbewusstsein, freier Wille und moralische Verantwortung; dies waren früher Sachverhalte, die im Zuständigkeitsbereich von Philosophie und Theologie lokalisiert waren. Diese Phänomene sicherten bisher die Einzigartigkeit des Menschen und blieben für eine naturwissenschaftliche Erklärung tabu. Mittlerweile jedoch wird sowohl aus dem Lager der Hirnforschung als auch aus naturalistischen Richtungen der Philosophie des Geistes versucht, diese spezifisch menschlichen Charakteristika als natürlich erklärbare Phänomene zu betrachten und ihnen jegliche Sonderstellung absprechen – bis hin zu der Leugnung etwa des freien Willens zugunsten einer durchgängigen Determiniertheit aller unserer kognitiven Willensakte.
Auf jeden Fall stehen immer explizit oder implizit grundsätzliche anthropologische Fragestellungen auf der Tagesordnung. Es ist völlig klar: Die Theologie als ganze ist hier herausgefordert, sich in die Debatten darum, wie wir uns als Menschen verstehen sollen, einzumischen; die Prämissen unserer christlichen Auffassung vom Menschen stehen zur Diskussion. (Damit sind selbstverständlich auch Religionspädagoginnen und -pädagogen aufgefordert, sich erstens über relevantes neurowissenschaftliches Grundwissen kundig zu machen und zweitens über dessen anthropologische Implikationen zu reflektieren; an den verschiedenen Lernorten, an denen sie tätig sind, werden sie diesen Thematiken nicht (mehr) guten Gewissens ausweichen können.)
An dieser Stelle könnte man nun einwerfen, dass diese Diskussion doch eigentlich keine ist, die die praktische Theologie wirklich interessieren muss. Schließlich geht es hier um anthropologische Grundfragen, und die werden in der systematischen Theologie besprochen und nicht in der praktischen. Denn in der praktischen Theologie geht es doch um die Praxis und nicht um philosophische Hintergrundfragen. Aber: Die praktische Theologie kann sich der Reflexion um das Menschenbild nicht enthalten – denn mein Menschenbild prägt immer auch meine Überlegungen, wie Praxis zu gestalten ist. Abgesehen davon lassen sich viele weitere Fragen im Kontext der Hirnforschung anführen, die ganz direkt praktische Konsequenzen implizieren. Wie etwa soll mit den Möglichkeiten umgegangen werden, die moderne Neurotechniken bieten? Sollte z.B. das brain doping oder das brain enhancement erlaubt sein, also der Einsatz von psychisch wirksamen Medikamenten nicht zur Therapie von Krankheiten, sondern zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Gehirns? Dürfen mittels bildgebender Verfahren meine Gedanken gelesen werden (das so genannte brain reading), wenn diese Verfahren z.B. vor Gericht als eine Art Lügendetektor eingesetzt würden? Soll an der Schaffung von künstlicher Intelligenz und von künstlichem Bewusstsein weitergearbeitet werden?
Auch von diesen Fragen könnte sich der praktische Theologe, überhaupt jeder Theologe und jede Theologin unbeeindruckt zeigen und seine Zuständigkeit ablehnen. Ich behaupte nicht, dass er oder sie das tun sollten, aber er/sie könnte es mit Verweis darauf, dass es doch in der Theologie in ihrem Kern um etwas ganz anderes gehe als der Hirnforschung. Denn worum geht es der Theologie? Kurz gesagt, ist sie die Wissenschaft von Gott. Die Hirnforschung hat aber doch einen ganz anderen Gegenstand: Sie befasst sich mit der Erforschung von Hirnprozessen. Also ist – per definitionem – Gott nicht Gegenstand der Hirnforschung. Was also sollten sich die beiden Wissenschaften wirklich zu sagen haben? Vielleicht können sie sich gar nichts sagen, weil es ihnen jeweils um völlig Unterschiedliches geht?
So einfach ist es natürlich nicht, und dies liegt bereits daran, dass die Gegenstandsbestimmung der Theologie, so wie ich sie eben vorgenommen habe, nicht ganz richtig ist. Gott ist, genau genommen, nicht Gegenstand der Theologie; denn Gott ist überhaupt kein Gegenstand. Gott ist der Schöpfer aller Gegenstände; der, ohne den nichts ist – aber er ist selbst kein Teil der Schöpfung. Gegenstand der Theologie ist vielmehr der Glaube an Gott, den Menschen glauben, oder der Begriff von Gott, den sich Menschen machen. Insofern ist Gott indirekt Gegenstand der Theologie, während der Glaube ihr direkter Gegenstand ist.
Wenn also Glaube oder, allgemeiner und auch unschärfer gesprochen, Religion Gegenstand der Theologie ist, kommt dann nicht eine gemeinsame Plattform von Theologie und Hirnforschung in den Blick? Auch hier ist die Antwort erst einmal negativ, denn es bleibt dabei, dass die Hirnforschung Prozesse untersucht, die im Gehirn ablaufen. Religion ist aber kein Hirnprozess. Trotzdem – wir kommen der Sache schon näher: Auch wenn die Hirnforschung weder Gott noch Religion noch Glauben direkt untersucht, so untersucht sie doch diejenigen Hirnprozesse von Versuchspersonen, die mit den genannten „Größen“ in irgendeiner Weise verbunden sind bzw. irgendwie mit ihnen interagieren. Es geht also um die neuronalen oder genauer: zerebralen Korrelate der religiösen Erfahrungen der untersuchten Subjekte. Durch diese Forschungen wird die Theologie, näherhin die praktische Theologie darauf geworfen, das Subjekt religiöser Erfahrungen näher und vielleicht mehr als bisher in den Blick zu nehmen. Und wenn es sinnvoll sein sollte, die Subjektorientierung als ein charakterisierendes Merkmal der Praktischen Theologie zu bestimmen, dann liegt sofort auf der Hand, dass insbesondere die praktische Theologie sich von den Befunden der Neurowissenschaften nicht unbeeindruckt wird zeigen können.
Abgekürzt könnte