Tatort Oberbayern. Jürgen Ahrens
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Rosa lud Katharina ein zweites Stück des besten Apfelkuchens auf den Teller, den sie jemals gegessen hatte. Die Äpfel waren durch den Zucker, den Rosa Adelhofer noch darüber gestreut hatte, leicht karamellisiert, der Mürbeteig enthielt ein bisschen Zimt, fantastisch.
Während Katharina genüsslich aß, beschloss sie, ihre eigentlich geplante Frage zu stellen. Bisher wollte sie zum einen den Redestrom der alten Frau nicht bremsen und sie zum anderen nicht mit noch mehr Traurigem belasten. Aber vielleicht hatte sie die entscheidende Information, um den Grund für Lukas’ Selbstmord herauszufinden.
»Frau Adelhofer, Lukas hat anscheinend zu einem Freund gesagt, dass er bei der Pressekonferenz von Robert eine Bombe platzen lassen will. Vielleicht wollte er irgendetwas erzählen, was dem Robert nicht passt. Haben Sie eine Idee, was das gewesen sein könnte?«
Rosa Adelhofer schlug sich die Hände vors Gesicht und wurde noch blasser. »Des hat er gsagt? Mei, die beiden Bubn, sie ham sich so gut verstanden, warn in den Bergen zusammen, warum hat des so kommen müssn. Ich versteh’s nicht. Nein, ich weiß nix, nur halt, dass der Lukas rumbrüllt hat an dem Abend bevor …«, sie schluchzte und schnäuzte sich. Dann schaute sie Katharina traurig, aber entschlossen an: »Wir gehn hoch in dem Lukas sein Zimmer und holn den Computer raus. Vielleicht finden Sie was, was wichtig is’. Und auch sonst dürfens mitnehmen, was Sie brauchen, damit ich weiß, was mit meim Bub los war.«
Depressive habe ich mir anders vorgestellt, dachte Katharina. Sie pickte die letzten Krümel mit der Kuchengabel vom Teller und beschloss, Rosa Adelhofer das Bild zu ersparen, das ihr Sohn Robert von ihr skizziert hatte. Depressive backten – ihrer Ansicht nach – keine leckeren Kuchen, um auf andere Gedanken zu kommen. Und sie hatten nicht die Energie, den geschäftstüchtigen Sohn zu hintergehen, um das Andenken des zweiten Sohns zu schützen und dessen Selbstmord aufzuklären.
Rosa Adelhofer war bereits aufgestanden und räumte das Geschirr zusammen. Mit einem Tischstaubsauger entfernte sie die Krümel von der reich bestickten Tischdecke – rote Rosen, blaue Veilchen am Rand, in der Mitte prangte eine riesige gelbe Sonnenblume. »Was für eine tolle Tischdecke, Frau Adelhofer, haben Sie die selbst bestickt?«
Rosa Adelhofer drehte sich um und lächelte: »Na, die hat mei Oma gmacht. Die Deck’ is’ scho’ fast 100 Jahr alt. Und in der Männerwirtschaft war des ned so leicht, dass die Tischdeckn des überlebt. Schee, dass Ihnen auffallt.« Der Blick wurde trauriger. »Kommens, gehma rauf zum Lukas.«
Katharina nickte und folgte der alten Frau die ausgetretene Holztreppe nach oben in den ersten Stock des Bauernhauses. An den Wänden hingen Fotos vom Adelhofer-Hof, wie er früher war – Feriengäste auf der Terrasse vor dem Haus, riesige Geranienkästen vor den Fenstern, Schwarz-Weiß-Bilder früherer Adelhofer-Generationen.
Oben angekommen ging es über den breiten Gang, dessen alte Holzdielen mit Flickerlteppichen belegt waren. Hinten rechts öffnete Rosa vorsichtig die schwere Eichentür, als habe sie Angst, dass ihr gleich Lukas entgegentreten würde.
Das Bild, das sich Katharina bot, war tatsächlich schrecklich. Wie Frau Obermann es ihr beschrieben hatte, lag überall Müll herum, Papiere, Zeitungen, Besteck, dreckiges Geschirr. Der Geruch war nicht so schlimm, wie sie es erwartet hatte. Vermutlich hatte Rosa Adelhofer zumindest die herumliegenden Lebensmittel eingesammelt.
Beherzt ging die Bäuerin auf den Schreibtisch ihres Sohnes zu und nahm den Laptop an sich. »Brauchens noch was dazu? Ich kenn mich halt mit dem gar ned aus.«
»Nein, wir sollten nur schauen, ob Lukas noch irgendwo Sicherheitskopien gemacht hat, auf einem Computerstick zum Beispiel. Wissen Sie, was das ist?«
Rosa Adelhofer schüttelte verständnislos den Kopf. »Naa, schauns ruhig, obs irgendwo was finden. Ich will bloß, dass der Robert des ned kriegt. Des Handy hat er anscheinend schon.«
Katharina schaute Frau Adelhofer fragend an.
»Des Handy vom Lukas is’ ned da, zwei hat er sogar ghabt. Des hab ich ihn mal gfragt, für was er zwei Handys braucht. Er hat gsagt, eins fürs Dienstliche, eins fürs Private. Des hab ich nie verstanden, was des Dienstliche war, wo er nix gearbeitet hat. Aber ich hab’s mich nicht fragen traun. Und jetzt sinds beide weg. Die hat bestimmt der Robert, aber den hab ich ned gfragt, der wär gleich wütend gworden. Und jetzt is’ er doch mein einziger Bub, auch wenn er kein guter is’.«
Frau Adelhofer wischte sich über die Augen.
Katharina durchsuchte das Zimmer, öffnete Schubladen, schaute unter das Bett, hinter Bücher im Bücherregal, entdeckte aber nichts Interessantes. Nur in einem Regal stand ein Ordner mit der Aufschrift »Lukas privat«.
»Frau Adelhofer, soll ich den Ordner mitnehmen? Ich weiß nicht, was drin ist. Trotzdem ist es vielleicht besser, wenn er nicht in Roberts Finger kommt?«
Die alte Frau Adelhofer nahm den Ordner und blätterte darin herum. »Des is’ bestimmt besser. Die Polizei hat den zurückbracht, nehmens ihn mit. Und schauns ruhig rein, vielleicht findens was Wichtiges.«
Katharina legte kurz den Arm um die alte Frau und sagte: »Ich tue, was ich kann, Frau Adelhofer, ehrlich. Sobald ich was rausfinde, sind Sie die Erste, die es erfährt. Sagen Sie, die Nummern von den beiden Handys vom Lukas, haben Sie die?«
»Na, nur die eine, bei der dienstlichen hat er gsagt, dass er nicht angrufen werden kann. Die private, die is’ unten in der Küch’ in der Schublad’, die könnens ham.«
Unten angekommen übertrug Katharina die Handynummer des toten Lukas Adelhofer in ihr eigenes Smartphone.
»Danke, Frau Adelhofer, ich fahre dann, bevor ich Sie noch um ein Stück Kuchen anbettle. Es riecht so gut, dass ich wieder Hunger kriege.«
»Nehmens noch zwei, drei Stückerln mit, Frau Langenfels, für Sie und Ihr’ Tochter und eins für gleich.« Ein Strahlen ging über das faltige Gesicht der alten Frau, Katharinas Besuch hatte ihr anscheinend ein paar Lebensgeister zurückgegeben.
»Gerne, Frau Adelhofer, Svenja wird sich freuen, sie liebt Apfelkuchen.«
Ein paar Minuten später saß Katharina im Auto, im Ohr die Verabschiedung von Rosa Adelhofer: »Kommens bald wieder, Madl, Sie san a gutes Madl, so a Tochter hätt’ ich mir gwünscht.«
Dienstagnachmittag,
Redaktion »Fakten«, München
Birgit Wachtelmaier blickte zufrieden auf ihre Notizen und beschloss, sich ein hartes Ei zu gönnen. Sie hielt die Gurken-Eier-Diät nicht exakt ein, hatte ihren Speisezettel lediglich um das eine oder andere harte Ei am Tag ergänzt. Ob das ernährungsphysiologisch Sinn machte, war ihr gerade ziemlich egal. Harte Eier liebte sie jedenfalls.
Während sie das Ei schälte, überlegte sie, was die nächsten Schritte sein könnten. Sie hatte jedenfalls genug Informationen gesammelt, um selbst einen Bergwinter auszuprobieren, dachte sie grinsend. Wobei ihre Recherchen eher ergeben hatten, dass solch ein Unterfangen nicht unbedingt zu empfehlen war. Nicht nur harte Eier würde sie nicht essen können, auch der sonstige Menüplan, den ihr ein freundlicher Biologieprofessor der Münchner Uni skizziert hatte, war nicht eben verlockend. Zunächst gab es wenig Essbares in den Bergen im Winter und das, was es gab, war zum einen schwer zu bekommen (Tiere und Wurzeln) und zum anderen schwer zuzubereiten und zu essen (Fell abziehen, zerteilen, Feuer machen, ungewürzt