Perspektiven auf den Lernort Berufsfachschule (E-Book). Группа авторов

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Perspektiven auf den Lernort Berufsfachschule (E-Book) - Группа авторов

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      Franz Eberle

      Zur Kompetenzorientierung an der Berufsfachschule

       Während die Kompetenzorientierung als Leitbegriff für Bildungsprozesse bei den Arbeiten um den Lehrplan 21 für die Volksschule und bei den Debatten über die Ausrichtung des Gymnasiums noch zu teilweise heftigen Diskussionen führte und immer noch führt, wurde sie in der Berufsbildung bereits ab den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts als Bildungsideal eingebracht und in der Berufsbildungspraxis mehrheitlich positiv aufgenommen. Weiter ist die Kompetenzorientierung ein zentrales Element des Leitbilds «Berufsbildung 2030». Allerdings wird der Begriff «Kompetenzen» immer noch verschieden verwendet, oft schlagwortartig, einengend und polarisierend. Im Beitrag erfolgt eine Klärung der verschiedenen Spielarten und Facetten des Kompetenzbegriffs.

      Einleitung

      «Lehr- und Bildungspläne sind heute meist auf Kompetenzen ausgerichtet, über die Lernende am Ende ihrer Ausbildung verfügen sollten» (Städeli et al., 2010, S. 9). Dieser Satz findet sich am Anfang des Einführungskapitels des Buchs «Kompetenzorientiert unterrichten» von Christoph Städeli, das er zusammen mit Andreas Grassi, Katy Rhiner und Willy Obrist vor bereits mehr als zehn Jahren publiziert hat.

      Die Kompetenzorientierung als Leitbegriff für Bildungsprozesse führte bei den Arbeiten um den Lehrplan 21 für die Volksschule und den Debatten über die Ausrichtung des Gymnasiums zu teilweise heftigen Diskussionen (vgl. z. B. Herzog, 2015, und die Replik von Eberle, 2015). In der Berufsbildung wurde sie hingegen bereits ab den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts als explizites Bildungsideal eingebracht und in der Berufsbildungspraxis mehrheitlich positiv aufgenommen. Wesentlich dazu beigetragen haben unter anderem die Arbeiten des pädagogischen Anthropologen Heinrich Roth (1971), des Volkswirtschaftlers Dieter Mertens (1974) sowie der Berufs- und Wirtschaftspädagogen Gerhard P. Bunk (1990), Ute Laur-Ernst (1990) und Lothar Reetz (1990). Die im Gegensatz zur Gruppe der allgemeinbildenden Bildungsinstitutionen positive Resonanz in der Berufsbildung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass der Erwerb von Kompetenzen in Form von beruflicher Handlungskompetenz als Bildungsziel unbestritten ist. Zudem ist die häufig vorgenommene Verknüpfung von Kompetenzorientierung mit Bildungsstandards und der Messung von Kompetenzen im Berufsbildungswesen kulturell bereits verankert. Dazu trägt wohl bei, dass einerseits in der Berufswelt Qualifikationsverfahren üblich sind und andererseits das Schweizer Berufsbildungswesen wesentlich zentraler gesteuert wird als die Volksschule und die allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe II.

      Bei einer Vielzahl der Akteurinnen und Akteure der allgemeinbildenden Schulen stösst hingegen, wie bereits erwähnt, die Kompetenzorientierung auf teilweise heftigen Widerstand. Argumente sind etwa, dass Kompetenzorientierung utilitaristisch sei und sich mit dem Ideal der «Zweckfreiheit von Bildung» nicht vereinbaren liesse, sie fälschlicherweise den Erwerb von Fachwissen für unwesentlich halte und dass die Messung von kompetenzorientierten Bildungsstandards zu sinn- und qualitätsreduzierender Operationalisierung führe. Zudem wird zuweilen die semantische Bedeutung der Handlung im Begriff «Handlungskompetenz» auf (berufs-)praktische Tätigkeiten eingeengt, was dem Ziel von Allgemeinbildung nur ungenügend gerecht werde. Bei dieser Kritik wird einerseits übersehen, dass eine weitere Sicht des Handlungsbegriffs – im Sinne der Förderung kognitiver Kompetenzen als geistige Handlungen anstelle von ausschliesslich reiner Wissensaneignung – einigen auch ausserhalb der Berufsbildung seit vielen Jahren unbestrittenen, grundlegenden Konzepten bereits implizit ist. So etwa der Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich von Benjamin S. Bloom (1976) von 1956. Zudem wurde die Notwendigkeit der ganzheitlichen Ausrichtung von Bildungsprozessen auf Handlungen gar bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Heinrich Pestalozzi (1979) mit der Trias «Kopf, Hand und Herz» vertreten. Andererseits verbergen sich hinter dem Streitbegriff «Kompetenzen» semantische Zuschreibungen, die nicht seiner ursprünglichen Definition entsprechen, wie beispielsweise die bereits genannte Vorstellung, dass Kompetenzen inhaltsbeliebig und das Gegenstück zu Fachwissen seien. Beteiligt an der Entstehung dieser Missverständnisse sind nicht zuletzt der extensive Gebrauch des Begriffs «Kompetenzen» im Sinne von überfachlichen Kompetenzen, wie etwa im aktuellen Leitbild «Berufsbildung 2030», wo es beispielsweise heisst (SBFI, 2017, S. 9): «Mit der zunehmenden digitalen Vernetzung und der damit verbundenen Demokratisierung des Wissens sowie der höheren Flexibilität der Arbeitsbeziehungen gewinnt transversales und kompetenzorientiertes Wissen gegenüber reinem Fachwissen an Bedeutung.» Im ganzen Bericht (hier) kommt der Begriff «Kompetenzen» 61 Mal vor.

      Der Begriff der «Kompetenzen» wird also verschieden verwendet, oft auch schlagwortartig, einengend und polarisierend. Ziel dieses Beitrags ist es deshalb, eine Klärung der verschiedenen Spielarten und Facetten des Kompetenzbegriffs vorzunehmen und mit Kontextbeispielen anzureichern.

      Grunddefinition von Kompetenzen

      Es gibt eine Fülle von Publikationen unterschiedlicher Qualität sowie eine Flut von Vorschlägen vieler Autorinnen und Autoren für die inhaltliche Füllung des Kompetenzbegriffs. Ähnliche und überlappende Begriffe sind «Wissen», «Leistung», «Intelligenz», «Begabung», «Eignung», «Fähigkeit», «Fertigkeit», «Tüchtigkeit» oder «Lernen» (Nikolaus & Wilhelm, 2013, S. 24 f.).

      Hartig und Klieme (2006, S. 128 f.) fassen die von Weinert (1999, zit. in Hartig & Klieme, 2006) dargelegten sechs Varianten von Kompetenzauffassung wie folgt zusammen:

      1. «Kompetenzen als generelle kognitive Leistungsdispositionen, die Personen befähigen, sehr unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen,

      2. Kompetenzen als kontextspezifische kognitive Leistungsdispositionen, die sich funktional auf bestimmte Klassen von Situationen und Anforderungen beziehen. Diese spezifischen Leistungsdispositionen lassen sich auch als Kenntnisse, Fertigkeiten oder Routinen charakterisieren,

      3. Kompetenzen im Sinne der für die Bewältigung von anspruchsvollen Aufgaben nötigen motivationalen Orientierungen,

      4. Handlungskompetenz als eine Integration der drei erstgenannten Konzepte, bezogen auf die Anforderungen eines spezifischen Handlungsfeldes wie z. B. eines Berufes,

      5. Metakompetenzen als das Wissen, die Strategien oder die Motivationen, welche sowohl den Erwerb als auch die Anwendung spezifischer Kompetenzen erleichtern,

      6. Schlüsselkompetenzen als Kompetenzen im unter 2. genannten funktionalen Sinn, die aber für einen relativ breiten Bereich von Situationen und Anforderungen relevant sind. Hierzu gehören z. B. muttersprachliche oder mathematische Kenntnisse.»

      Hartig und Klieme schliessen im Weiteren für Fragen der Bildungsforschung die erste Variante aus. Mit Bezug auf Weinert (2001, zit. in Hartig & Klieme, 2006) begründen sie dies damit, dass basale kognitive Fähigkeiten eine inhaltliche Verwandtschaft zu gängigen Definitionen der Intelligenz aufweisen, damit zur Grundausstattung von Menschen gehören und nur begrenzt beeinflussbar sind. Variante 2 berücksichtigt nur den kognitiven Bereich und Variante 3 nur den motivational-affektiven. Variante 4 enthält die vorhin ausgeschiedene Variante 1 und berücksichtigt zu wenig Unspezifisches im Sinne von situationsübergreifenden und überfachlichen Kompetenzen. Die Varianten 5 und 6 vernachlässigen zu stark die Erkenntnisse der Kognitions- und Neuropsychologie, die schon längst belegen, dass es zur Lösung von Problemen immer auch Fachwissen braucht und deshalb Kompetenzen nicht inhaltsfrei sind oder inhaltsbeliebig erworben werden können, sondern der situative Kontext eine wesentliche Rolle spielt (vgl. Eberle, 1997). Weinert (2001, 27 f.) selbst definiert Kompetenzen als «die bei Individuen

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