Lernen ist meine Sache (E-Book). Dagmar Bach

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Lernen ist meine Sache (E-Book) - Dagmar Bach hep praxis

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Prioritäten keine genügende Motivationsgrundlage für die Defizitbehebung darstellen. Zugeschnappte Diagnostikfallen wie auch allzu grosse Soll-Abweichungen erzeugen unweigerlich hartnäckige Lernhemmungen.

      Diagnostik per se der Fallenstellerei zu bezichtigen, wäre falsch. Es gibt Lernende, die bekannte und/oder aufgezeigte Lücken schliessen wollen, es gibt auch solche, für die ein externer Fingerzeig durchaus Lernprozesse in Gang setzen kann (vgl. Typ B). Diagnoseinstrumente sind ebenfalls geeignet, Potenziale und vorhandene Stärken sichtbar zu machen. Diagnostikverfechter preisen die mitgemeinte Ressourcenförderung denn auch oft und gerne an. Und dennoch münden in aller Regel Übungsanlagen mit der Bezeichnung «Früherfassung» oder ähnlich in eine Empfehlung zur Aufarbeitung der Defizite, die Vorlieben und besonderen Fähigkeiten bleiben aussen vor. Ich unterstelle, dass die meisten Diagnosen in Berufsfachschulen auf der Sekundarstufe II, unter welchem Titel auch immer, einer Denkfigur folgen, wonach zuerst die Defizite zu erkennen und zu beheben sind, bevor man vorhandene Ressourcen (Interessen und Fähigkeiten) entwickelt. Aussagen wie diese werden an mancher Berufsfachschule als Empfehlung gelesen, um unmittelbar zur Tat zu schreiten: «Am Ende der Früherfassung bekommen die Lernenden von den Berufsbildenden aller drei Lernorte eine differenzierte Rückmeldung. Im Fokus stehen dabei zunächst Lernende mit Unterstützungsbedarf oder schlechter Passung (Anforderung zu tief oder zu hoch) sowie Lernende, bei denen ein Abbruchrisiko besteht» (Grassi, 2014, S. 45). Das heisst, es werden Stützkursempfehlungen, -einladungen oder gar -aufgebote verfasst. Der wichtige Nachsatz im Text von Grassi wird dann oft und gerne überlesen: «In solchen Situationen treffen sich alle Beteiligten an einem runden Tisch, analysieren die Lage und entscheiden im Einvernehmen über das weitere Vorgehen.» Diese Defizit-zuerst-Denkfigur ist auch gesetzlich untermauert: Freifachbesuch setzt genügenden Notendurchschnitt voraus (BBV Art. 20, Abs. 3), was für all jene bedeutet, die auch nach der Stützkursdusche im Noten-Grenzbereich verbleiben, dass sie vom Freifachunterricht weitgehend ausgeschlossen sind – in Anbetracht der Bedeutung des Ressourcenbegriffs eine Absurdität. Die Ressource, die Quelle, nährt den Fluss, das gilt gleichermassen für den Lernfluss. Ressourcen bilden den Ausgangspunkt von Entwicklungen und müssen deshalb auch im Zentrum aller Lehrbemühungen stehen.

      Stützkursfalle

      Wer die Diagnostikfalle mit einem Manko-Etikett verlässt, läuft Gefahr, in der Stützkursfalle zu landen. Man muss nicht so weit gehen, dem Stütz- und Förderunterricht jedwede positive Wirkung abzusprechen, obwohl es empirische Befunde gibt, die belegen, dass Stützunterricht sogar dysfunktional ist (Moulin, 1998). Die Stützkursfalle schnappt aber dann unerbittlich zu, wenn Fördermassnahmen gegen den Willen der defizitbehafteten Schüler und Schülerinnen angeordnet werden, meist und gerne im Anschluss an diagnostiziertes Ungenügen. Für viele Lernende, die bereits Bekanntschaft gemacht haben mit Stütz- und Förderbemühungen, sind solche Erfahrungen mit Enttäuschung, persönlicher Kränkung oder Fatalismus verbunden. Werden sie ein weiteres Mal mit Nachdruck oder gar offenem Druck dahin getrieben, gibt es primär ein Ziel: entkommen oder in den Abwehrmodus gehen. Das erneute Bearbeiten von Defiziten ist ein schlechtes Lernmotiv und lässt deshalb keine grossartige Erfolgsprognose erwarten. Oder wie gerne tun Sie die Dinge, die Sie am wenigsten gut können, wie erfolgreich lösen Sie Aufgaben, an die Sie mit Misserfolgserwartungen herantreten? Widerstände und Misserfolgserwartungen gehören mit zu den stärksten Verursachern von Lernbehinderungen.

      Der bestmögliche Fall, von dem die meisten Diagnostik-Apologeten per se ausgehen, tritt ein, wenn ein Lernender einsieht, dass aufgrund seiner erkannten Lücken und Defizite Fördermassnahmen notwendig sind, wenn die Lücken nicht allzu gross und ausreichend Ressourcen vorhanden sind. Dies ist eine günstige, aber noch keine ausreichende Voraussetzung, um die Stützkursfalle zu umgehen. Damit nachhaltiges Lernen tatsächlich erwartet werden kann, müssten die Förderangebote dann noch mit den Zielen der Benützer korrelieren und auf die individuellen Ressourcen abgestimmt sein. Schematische Förderangebote erfüllen diese Voraussetzungen nicht oder nur in zufälligen Ausnahmen, es fehlt ihnen die personalisierte, einvernehmliche Lernplanung.

      Lehr-Lern-Irrtümer

      Vier Lehr-Lern-Irrtümer scheinen unausrottbar, und das, obwohl wahrscheinlich kaum jemand zu finden ist, der sie verteidigen würde. Diese Irrtümer, nachfolgend richtiggestellt, sind:

      •Gelehrt ist nicht gelernt. Diese Formel wie auch Abwandlungen und Verfeinerungen davon (gehört ist nicht verstanden, verstanden ist nicht begriffen) sind trivial und kaum bestritten. Trotzdem wird im Alltag laufend dagegen verstossen. Welche Lehrperson kennt nicht Lehrerzimmersätze der folgenden Art, meist noch gestisch verstärkt: «… ich habs ihnen doch erklärt», «… der will das einfach nicht begreifen», «… dieser Klasse muss ich alles zweimal sagen»? Spätestens bei Lernkontrollen tritt nicht selten zutage, was schon Generationen von Lehrpersonen zur Verzweiflung brachte und keine Didaktik bisher gemeistert hat: Was genau die Lernenden mit dem gelehrten Inhalt anfangen, entzieht sich weitgehend dem Einfluss der Lehrenden.

      •Lehrziele sind keine Lernziele. Auch wenn das in praktisch allen Lehrplänen so steht und es die klassische Schule der Lehrerinnen- und Lehrerbildung in Endlosschlaufen stipuliert: Die von der Institution, der Schule und der Lehrperson geplanten Ziele sind nicht Lernziele, sondern Lehrziele. Zu Lernzielen werden sie erst, wenn die Zielscheiben, pardon, die Lernenden das damit Bezeichnete auch tatsächlich lernen wollen, es zu ihrem eigenen Ziel machen.

      •Das Lehrmittel vermittelt nicht den Stoff, es bildet ihn lediglich ab, und zwar so dicht und komplex, dass die von Krapf kolportierte Behauptung in den mehr als zwanzig Jahren seit ihrer Publikation nichts von ihrer Relevanz verloren hat: «Bei der Einführung eines neuen Lehrmittels müsse man [die Lehrperson] mindestens einmal das ganze Buch mit einer Klasse durchgearbeitet haben, bevor man den Stoff genügend beherrsche. Durch das Lehren würde man schliesslich die nötige Sicherheit gewinnen.» Und er folgert: «In welch hoffnungsloser Lage sind die Schülerinnen und Schüler, die trotz der geringeren Vorbildung den Stoff schon im ersten Durchgang beherrschen sollten» (Krapf, 1995, S. 23).

      •Der Grundlagen-zuerst-Irrtum dürfte darauf fussen, dass eine logische Figur mit einer lernpsychologischen Abfolge verwechselt wird. Sprachlogisch baut das Besondere auf dem Allgemeinen auf, Lernprozesse funktionieren gerade umgekehrt. Die Neugierde und der Wunsch, etwas zu können, zielen zuerst auf das Konkrete, die Anwendung, den Einzelfall, den Output, das Produkt. Das Interesse an Regeln, an Erklärungen ist nachgelagert; «Grundlagen sind Endpunkte des Lernens» (Kuster, 2011, S. 11), Fragen nach Zusammenhängen von Einzelphänomenen können erst gestellt werden, wenn die Phänomene bekannt sind. Wer mit den Grundlagen der Bewegungsabläufe beginnt, lernt niemals gehen. Oder näher beim schulischen Lernen: Grammatik büffeln ist kein besonders guter Einstieg in eine neu zu lernende Fremdsprache.

      Lerngespenster und Schuldämonen

      Lerngespenster wirken umso stärker, je mehr man an sie glaubt, und sie verlieren ihren Schrecken, wenn sie ans Licht gezerrt werden. Die bekannteren unter ihnen sind diese:

      •Die fehlende Motivation kann sich in stummer Symbol- und Körpersprache äussern, aber auch lautstark artikuliert oder eskapistisch (Ablenkungshandlungen, innere Immigration). In der perfektioniertesten Form versteckt sie sich hinter einer Interesse simulierenden Attitüde: die Schülerin, die scheinbar an den Lippen der Lehrerin hängt, während im inneren Kino der Film über das letzte Wochenende abläuft.

      •Die Null-Bock-Haltung ist die grössere Schwester der fehlenden Motivation. Sie präsentiert sich oft und gerne trotzig, verbunden mit einem mehr oder weniger ausgeprägten Imponiergehabe.

      •Eine negative Klassendynamik mit latent lernfeindlicher Grundstimmung ist die gespenstische Zusammenrottung von fehlender Motivation und Null-Bock-Haltung. Sie entwickelt sich oft unbemerkt, schwillt an, bis sie bleiern durch den Raum schwebt und doch nirgends und bei niemandem eindeutig festgemacht werden kann.

      •Die

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