Lernen ist meine Sache (E-Book). Dagmar Bach

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Lernen ist meine Sache (E-Book) - Dagmar Bach hep praxis

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derweil die Leistung hinter dem Produkt nicht das Resultat eines Lernprozesses, sondern von erfolgreichem Kopieren, Erschleichen oder Einkaufen ist. Da beide Seiten die Bewertung als gerecht und verdient betrachten, wird der so Belohnte auch künftige Erfolge mit den probaten Mitteln statt mit Lernanstrengung anstreben – und wird mit der erneuten Belohnung darin bestärkt, dass sein Vorgehen erfolgreich und deshalb erwünscht sei.

      Lerngespenster können mithilfe von nüchterner Betrachtung und pädagogischer Interpretation entzaubert werden. Etwas schwieriger ist es bei der Kategorie der Schuldämonen, oder nennen wir sie schulseitig lernhemmende Einflussfaktoren. Jedenfalls dann, wenn sie real vorhanden sind. Bei Schul- und Pausenordnungen, bei der Klassenzimmerarchitektur usw. gibt es nichts zu deuten, man kann höchstens auf den eingangs eingeführten doppelten pädagogischen Auftrag zurückgreifen, der da heisst: Hinführung zur Gesellschaftsfähigkeit und Förderung der Selbstbestimmung. Darin liegt der Schlüssel im Umgang mit den Lernhemmern der zweiten Kategorie: die Freiräume ausschöpfen, wenn pädagogisches Handeln gefordert ist.

      Beim Stoffdruck ist eine der ersten Fragen die, was davon übrig bleibt, wenn man das minimal Vorgeschriebene zum Massstab nimmt. Ist die Stofffülle im gesamten Umfang Pflicht, oder bildet sie lediglich das zur Verfügung gestellte Angebot ab? Was umfasst das Must-have, und was ist lediglich Nice-to-have? Massgebend sind die Bildungspläne, nicht die Lehrmittel. Und wenn im schlechteren Fall die Menge tatsächlich zu gross, die Stoffdichte zu komplex ist in Bezug auf die Aufnahmefähigkeit? (Vielleicht auch nur auf die Aufnahmebereitschaft, aber könnte das nicht auch eine kurzfristig unveränderbare Variable sein?). An diesem Punkt setzt die pädagogische Verantwortung ein, die zwischen der Vorgabe (allen Stoff behandeln) und der Professionalität (Kenntnis der Formel «Gelehrt ist nicht gelernt») abwägen muss: abspecken oder vollstopfen, exemplarisch vertiefen oder volle Komplexität, Mut zur Lücke oder volles Programm ohne Rücksicht auf Verluste?

      Lehrpläne sind verbindlich, und diese Verbindlichkeit scheint umso einschneidender, je mehr ein Lehrplan zum Stoffplan verkümmert daherkommt, aufgeschlüsselt in detaillierte Lern- oder eben Lehrziele, und diese zeitlich und inhaltlich bestimmten Sequenzen zuteilt. Was gut gemeint ist, weil es der Sicherheit für Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger dient und Vollständigkeit im Hinblick auf die Abschlussprüfung sicherstellt, hat weitgehend schulorganisatorische Gründe wie einfachere Stellvertretungen, Klassenübergaben bei Lehrerwechsel usw. Ein nicht unbeabsichtigter Nebeneffekt davon ist das Controlling. Was bei dieser Aufzählung nicht vorkommt: die Lernenden, deren Interessen, die Aktualität, die Sinnfrage. Was aber nützen vollständige Themen- und Kompetenzkataloge, wozu dienen reibungslose Übergänge, wenn ein Teil von dem, was die Lehrpläne im Kern bewirken wollen, bei den Lernenden nicht ankommt? Prioritäre Fragen dazu sind: Was ist vermeintliche und was zwingende Verbindlichkeit? Was steht in Präambeln und was im Vollzugsteil? Und im Fall von Divergenzen: Welcher Handlungsspielraum bietet sich, welchen nutze ich? Ein Blick in aktuell gültige Lehrpläne ergibt, dass die Rigorosität der tabellarischen Ziel-, Stoff-, Methoden- und Materialienkataloge oft weit weniger ausgeprägt ist, als man glaubte. Relativierend und dadurch ganz auf grössere pädagogische Handlungsfreiheit ausgerichtet sind sehr oft Präambeln und Einleitungstexte in Lehrplänen, zum Beispiel: «Die Behandlung und Bearbeitung aktueller Themen haben bei der Unterrichtsplanung Vorrang» (aus dem «Vorwort Schullehrplan Allgemeinbildung» der Berufsfachschule für Hörgeschädigte).[3] Parallel zum Lehrplan ist die Lehrperson immer auch ihrem pädagogischen Auftrag verpflichtet. Es gehört zu ihrer professionellen Verantwortung, abzuwägen zwischen Lernzuwachs und Marschieren im Gleichschritt nach den Vorgaben des Lehrplans.

      Die von Lehrpersonen erstellten Arbeitsblätter haben ganz unterschiedliche Funktionen, unter anderem auch diese: Sie fassen den Erkenntnisstand der Lehrperson komprimiert zusammen, sie bezwecken die Strukturierung und Rhythmisierung des Unterrichtsablaufs, sie zielen auf Mehrfachgebrauch, bezwecken dadurch Rationalisierung, sie sind der materialisierte Output von arbeitsteiliger Teamarbeit, sie sind Notnägel für akute Situationen, gelegentlich verfolgen sie primär Imponierzwecke (z. B. in Lehrproben). Ja, möglicherweise bewirken sie auch Lerneffekte und Wissenssicherung bei den Lernenden – wobei ich gerade bei dieser Funktion unsicher bin, wie viele eigene Belege ich dazu vorzuweisen hätte. Das konsequenteste Arbeitsblatt ist ein leeres Papier beziehungsweise ein neu eröffnetes Dokument auf dem PC-Bildschirm. Solche Arbeitsblätter verlangen den Lernenden echte Arbeit in jeder Variation ab: Denkarbeit, Strukturierungsarbeit, Schreibarbeit, Gestaltungsarbeit, Selbstkontrolle. Diese unvollständige Aufzählung möglicher Funktionen von Arbeitsblättern ist natürlich eine Zuspitzung und kein Plädoyer dafür, dass als Arbeitsblätter ausschliesslich unbeschriebene Blätter zu verwenden seien. Universalrezepte gibt es diesbezüglich nicht, Monotonie verdirbt den Genuss. Arbeitsblätter können keine punktgenauen Lerneffekte bewirken, höchstens die Art der verlangten Arbeit steuern. Deshalb ist beim Erstellen mindestens so stark wie auf den Inhalt darauf zu achten, welche Qualität von Arbeit zu leisten ist und in welchem Umfang diese Arbeit notwendig ist, um die mit der Aufgabenstellung verfolgten Ziele zu erreichen.

      Frontalunterricht ist eigentlich nur dann ein Problem, wenn er belastet: die Lehrperson, weil sie in ihrem subjektiven Empfinden zu viel davon betreibt, oder die Lernenden, wenn sie zu viel am Stück oder zu viel Komplexität oder ein Zuviel an Monotonie vorgesetzt bekommen. Im Übrigen gibt es ausreichend gute Literatur, die dem Frontalunterricht seinen Platz im didaktischen Repertoire zuordnet, zum Beispiel «Unterrichtsmethoden II: Praxisband» (Meyer, 1987, S. 182–225).

      Bausteine für lernfördernden Unterricht

      Trockenmauern, diese unverwüstlichen Kunstwerke aus roher Natur, verdanken ihre Stabilität einer bedingungslosen Akzeptanz des Rohmaterials und einem guten Augenmass für dessen Individualität. Die spezielle Form eines jeden Steins muss erfasst und dafür ein geeigneter Platz gefunden werden. Für jede noch so eigentümliche Form gibt es einen passenden Ort, vorausgesetzt, man erkennt die Passung; manchmal springt sie ins Auge, oft muss man die Steine drehen, einzelne Prachtstücke zur Seite legen, bis sie ihren Beitrag zur Mauer leisten können. Es gibt fast keinen Stein, der nicht irgendwo hinpassen und dort seinen Zweck weit besser erfüllen würde als jeder andere. Zugehauen wird nur im äussersten Falle und so subtil wie möglich. Am Schluss ist eine solche Mauer ein stabileres und schöneres Unikat als jede schnell hochgezogene monotone Backsteinmauer oder Betonwand – und überdauert Jahrhunderte.

      Auch den Lehrpersonen steht Material zur Verfügung, mit dem sie umsichtig, nach allen Regeln der Kunst an ihrem Werk arbeiten – der Bildung junger Menschen. Auch pädagogische Handwerkerinnen und Handwerker haben ihre Pläne dem wertvollen Rohmaterial anzupassen, damit sie sich später an den gewachsenen Unikaten freuen können. Das Baumaterial, das ist einmal das nicht immer ganz augenfällige Potenzial der Lernenden mit ihren zum Teil ausgeprägten schulischen Lernhemmungen, etwa wenn sie in Gestalt der Typen C, D und E auftreten. Wer es erkennt, baut schon längst an seinem Kunstwerk, während andere noch damit beschäftigt sind, Steine zu behauen, oder verzweifelt versuchen, die lieblos aufgeschichteten Klötze mit losem Material und Schnellzement zu stabilisieren. Darüber hinaus verfügen Lehrpersonen über Entscheidungsspielräume und Materialien, die sie selbst beeinflussen und modellieren können, begonnen beim Fundament über die Hilfsmaterialien bis zu den vielen Optionen, die im Ermessensspielraum der professionellen Tätigkeit vorhanden sind.

      Das Fundament: Pädagogisches Credo

      Die ureigenen Überzeugungen, die pädagogische Grundhaltung, das Credo der Lehrperson, können als das unsichtbare Fundament gesehen werden, auf dem die sichtbare Arbeit aufbaut. Gerade weil dieses Fundament oft un- oder halbbewusst das planmässige Handeln steuert, ist es so zentral. Unter der Annahme, dass in allen Lehrpersonen so etwas wie ein pädagogisches Feuer brennt, wäre die Arbeit an der eigenen Grundhaltung nichts anderes als die Speisung dieses Feuers. Was vordergründig als das Gegenstück zur reinen Pflichterfüllung erscheint, kann – nein soll – genau umgekehrt gesehen werden: Es gehört zur professionellen Pflichterfüllung, seine pädagogische Haltung zu schärfen und zu pflegen. Hierzu im Sinne von Anregungen ein paar Denkanstösse:

      Um

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