Lernen ist meine Sache (E-Book). Dagmar Bach

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Lernen ist meine Sache (E-Book) - Dagmar Bach hep praxis

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geistern durch Lehrerzimmer und werden von Berufsbildnern, Branchenvertretern und Prüfungsexpertinnen beschworen. Sie müssen herhalten als vorschnelle und oft pauschalisierende Erklärungen für ganz unterschiedliche Phänomene wie persönliche Schwierigkeiten mit Lernenden, sinkende Erfolgsquoten oder einfach dafür, dass nichts mehr so ist wie früher.

      Von einer anderen Art, aber nicht minder störend sind jene Schuldämonen, die sich das System und dessen Akteure selbst einbrocken. Auch dazu ein paar besonders hartnäckige Exemplare:

      •Der Stoffdruck drückt in erster Linie die Lernenden, während er die Lehrenden dazu antreibt, zu viel Stoff in zu wenig Zeit durchzupeitschen, unbesehen davon, wie gut die Lernenden folgen können. Die Bosheit hinter dem Stoffdruck ist die, dass er sich unablässig daran zu laben scheint, den Lehrpersonen wie den Lernenden die Freude und Begeisterung auszutreiben.

      •Der Lehrplanzwang tritt äusserst selbstbewusst auf, nimmt gerne die Gestalt einer unverrückbaren Realität an mit dem Effekt, dass dadurch sein dämonisches Wesen aus dem Blickfeld gerät. Dieses zeigt sich etwa dann, wenn ich mich genötigt fühle, Themen zu besprechen oder Fertigkeiten zu beüben, obwohl für mich oder die Klasse im gegebenen Zeitpunkt anderes bedeutsam wäre.

      •Arbeitsblätter können in ganz unterschiedlicher Gestalt ihre zersetzende Wirkung ausüben, als spröde Lückentexte im A4-Format, als verführerisch aufgemachte Lerndossiers oder als elektronische Dateien. Unheimlich daran ist, dass Arbeitsblätter und deren Surrogate eingesetzt werden, weil sie da sind, weil sie mit viel Mühe erstellt wurden und oft die Erkenntnis der Erstellerin oder des Erstellers in verdichteter Form enthalten. Darob geht vergessen, dass der Erkenntnisgewinn das Resultat des Herstellungsprozesses ist – die Lernenden aber diesen Weg nicht abschreiten können, wenn sie Textlücken füllen, Zuordnungen machen und dergleichen mehr.

      •Frontalunterricht wird so oft verteufelt, dass er zum Buhmann in der Familie der didaktischen Formen geworden und doch gleichzeitig sehr prominenter Dauergast in fast allen Schulstuben ist. Weshalb peinigt er als Negativstereotyp so viele Lehrpersonen, wenn sie gewahr werden, welchen Anteil er an ihrer Lehrtätigkeit einnimmt? Besonders stark trifft es Lehrpersonen, die von der Lernwirksamkeit eigenaktiver Stoffaneignung überzeugt sind.

      •Die Normalverteilung oder auch Gauss’sche Kurve ist die fieseste Figur unter den Noten- und Bewertungsdämonen. Dem schemenhaften Glockenbild folgend, verteilen Lehrpersonen nach einer Klassenarbeit die Noten der einzelnen Schüler aufgrund dieser imaginären Kurve. Individualleistungen werden nicht mehr in Bezug auf die Zielerfüllung, sondern in Relation zur Klasse beziffert. Das beruht auf einem fatalen Irrtum. Die Normalverteilung bildet lediglich die statistische Leistungsverteilung einer grossen Population ab, und nur in ganz seltenen Zufallskonstellationen entspricht sie auch dem Leistungsmuster einer Schulklasse.

      Wie immer bei Metaphern gilt es, sich von ein paar Unstimmigkeiten ab- und den Kernaussagen zuzuwenden: Gespenster und Dämonen sind ungemütlich, gelegentlich boshaft, manchmal auch unheimlich, solange man an sie glaubt. Sie werden schnell entzaubert, wenn sie auf Rationalität und Überzeugung stossen, hier auf die pädagogische Überzeugung, dass sich unsere Lernenden grundsätzlich weiterentwickeln wollen, dass sie mit Ressourcen ausgestattet sind, deren Potenzial es zu nutzen gilt für gelingendes Lernen. Eine zentrale pädagogische Aufgabe besteht darin, stereotype Attribuierungsreflexe zu durchbrechen, und dabei hilft, um die Gespenster-Metapher ein letztes Mal zu bemühen, die Gewissheit, dass Lerngespenster keine realen Lernhemmer sind, sondern nur allzu oft bequeme Vorwände, um eigenes Handeln nicht überdenken zu müssen.

      Normierungsfalle

      Das Problem von Normierungen, ganz egal, auf welchem Gebiet, ist in aller Regel nicht die Norm, sondern die Normabweichung. Wie aufgezeigt, liegen der Diagnostikfalle und der Stützkursfalle festgestellte Normabweichungen zugrunde. Eine Fundgrube für normative Vorstellungen, was Lernende benötigen, um zu reüssieren, sind Lehrpläne mit ihren verbindlichen Setzungen. Solche findet man in Form von Lernzielen, Handlungskompetenzen, Pflichtprodukten, Begriffen usw., und als verbindliche Vorgaben sind sie auch bewertungsrelevant. Beispiele gewünscht? In aktuell gültigen Schullehrplänen für den allgemeinbildenden Unterricht an Berufsfachschulen stehen solche Lernziele: «den eigenen Lerntyp beschreiben», «Mindmap anwenden», «die gesellschaftliche Stellung der Berufslehre und der Berufslernenden im geschichtlichen Zusammenhang erklären». Mit Verlaub, man kann eine Matura und ein Universitätsstudium abschliessen, ohne die geringste Ahnung von seinem Lerntyp zu haben und ohne je eine Mindmap gezeichnet zu haben. Das drittgenannte Lernziel scheint mehr ein professioneller Standard für Lehrpersonen zu sein als ein notwendiges Basiswissen, das Lernende im ersten Lehrjahr einer dreijährigen Ausbildung im Rahmen von acht Lektionen erwerben sollten. Auch die als verbindlich erklärten Begriffe wie «Oligopole», «Dubliner Abkommen», «drei Pfeiler der EU» oder «Zersetzer» (unter dem Aspekt Ökosysteme) in einem Lehrplan für dreijährige Berufslernende wirken schon ziemlich bizarr.

      Die eigentliche Perfidie der Normierungsfalle sind unausgesprochene Normen in Form von Erwartungen, von Durchschnittswerten oder «Normalverhalten», die zum Massstab genommen werden, mit dem man Menschen vermisst, die weder von der Existenz dieses Massstabs, geschweige denn von dessen Skalierung Kenntnis haben. Solche Normvorstellungen geistern dann in einzelnen Köpfen herum, gelegentlich auch als kollektive Normen in Kollegien, und haben den Effekt, dass sie zu impliziten Kriterien für die Berechtigung an der Ausbildung gedeihen, so oder ähnlich aufgeschnappt: «Wer Niveau B2 nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER) in Deutsch nicht erreicht, ist chancenlos bezüglich Abschlusserfolg», «Wer die sieben Bundesräte nicht kennt, gehört nicht an die Abschlussprüfung». Für solche Normvorgaben kann man gerne auch mal das eigene Denken durchforsten, wer wird ehrlicherweise nicht fündig? Man verstehe mich nicht falsch, Sprachkompetenz auf Niveau B2, staatskundliches Grundwissen und noch vieles mehr sind durchaus nützliche Dinge, aber sind es auch notwendige Bedingungen für den Ausbildungserfolg? Müssen alle da durch? Mit welchem Aufwand müssen Normabweicher ihren «Rückstand» verringern, und was verpassen sie in dieser Aufholzeit? Oder umgekehrt gefragt: Weshalb können schwere Legastheniker Unternehmen führen und Spitzenpolitik betreiben?

      Konzepte gegen Lernhemmnisse

      Wer schnödend in Kochtöpfen stochert, in denen überlieferte Gerichte zubereitet werden, sollte dafür einen Grund anführen können. Ich versuche mich zu erklären. Vorausschicken möchte ich, dass ich nicht alles, was in diesen Töpfen traditionellerweise gekocht wird, für ungeniessbar halte. Möglicherweise sind die Gerichte sogar für einen namhaften Teil der Speisenden bekömmlich oder doch zumindest ohne unerwünschte Nebenwirkung. Der Grund liegt im Fokus auf die sogenannt schwächeren Lernenden, deren «Lernschwächen» weder als Persönlichkeitsmerkmal noch als Folge eines bestimmten Sozialstatus zu werten sind, sondern primär darin liegen, dass für sie viele der bisher aus der Bildungsküche servierten Gerichte nicht zuträglich waren.

      Pädagogische Lernförderung

      Das Rezept, um Förderfallen zu umgehen, liegt in der förderpädagogischen Kernforderung: Ressourcen fördern statt Defizite bearbeiten. So verbreitet diese Forderung ist, so selten findet man eine konsequent umgesetzte Praxis in unseren Berufsfachschulen. In den Diagnose-Förder-Karussellen hat die Ressourcenförderung jedenfalls keinen Platz. Wohl gerade, weil sie so einleuchtend, so unbestritten und tausendfach wiederholt ist, verkommt die Proklamation vom Primat der Ressourcenförderung zur hohlen Phrase, dient oft nur noch als Köder in den Fallen der Früherfasser. Bekanntlich hat ein Köder keine Bedeutung mehr, sobald die Falle zugeschnappt ist. Nachdem die Diagnose gemacht ist, folgen dem Bekenntnis zur Ressourcenförderung in den meisten Fällen keine entsprechenden Taten. Nicht aus bösem Willen, sondern weil die bereitgestellten Verfahren und Instrumente in aller Regel als Reparaturset für die Mängelbehebung konzipiert sind: Man kennt den Mangel, hat Angebote in Form von Förderkursen zu dessen Behebung und schliesst kurz, dass jeder und jede am Ende eines standardisierten Förderkurses sein oder

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