Lernen ist meine Sache (E-Book). Dagmar Bach

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Lernen ist meine Sache (E-Book) - Dagmar Bach hep praxis

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oder erstrebenswert scheint. Selbstbestimmtes Lernen halt, um des Könnens willen und nicht um des Lernens willen. Solche unspektakulären Aussagen sind so oft in der Literatur zu finden, dass allein die entsprechenden Quellenhinweise wohl Dutzende von Seiten füllen würden. Entscheidend und deshalb spektakulärer ist die Folgerung für die pädagogische Professionalität: Pädagogisches Handeln setzt den unerschütterlichen Glauben voraus, dass man es mit lernwilligen Subjekten zu tun hat. Und sollten doch mal Zweifel aufkommen, ersetze man das Wort lernwillig mit dem Synonym entwicklungswillig.

      Und gleich noch ein Tipp in Bezug auf den Sprachgebrauch: bitte sparsame Verwendung des Begriffs «Lernen» in Programmansagen an die Adresse von Schülerinnen und Schülern. Angesichts der Vorstellung, dass ich mich den nicht vorhersehbaren Mühen des Lernens aussetzen muss, sind Lernhemmungen ein urmenschlicher Reflex auf eine Lernerwartung, die von aussen an mich herangetragen wird. Viel unbeschwerter lässt sich der Begriff rückblickend verwenden. Über einen Lernerfolg freue ich mich auch dann, wenn mich der anfängliche Lernauftrag nicht in helles Entzücken versetzen konnte.

      Lernbehinderungen sind, bildhaft ausgedrückt, die Stolpersteine auf dem Weg zum Lernerfolg. Die Beseitigung dieser Steinbrocken, das Ebnen des Lernwegs oder aber die Wahl einer anspruchsvollen Route durch den Steinbruch, abgestimmt auf das Können und die Lust auf Herausforderung, zählen zu den wesentlichsten pädagogischen Aufgaben. Lehren heisst nicht für andere Lernen planen, sondern Lernen ermöglichen, Bedingungen schaffen, damit Lernen geschieht – oder auch nicht oder anders als vorgesehen, aber dennoch.

      Lehr-Lern-Irrtümer durchschauen

      Besonders gewagt sind weder diese zwei an sich gegensätzlichen Thesen noch die Behauptung, dass der scheinbare Widerspruch im Alltag locker geschluckt wird: 1. Unterrichtsprofis sind sich der gängigen Lehr-Lern-Irrtümer mehr oder weniger bewusst. 2. Lehr-Lern-Irrtümer sind weit verbreitet und prägen den Unterrichtsalltag auf allen Stufen. Ich stütze mich bei meiner Behauptung auf langjährige Selbst- und Fremdbeobachtungen. Solche Irrtümer prägen den Schulunterricht und erschweren dadurch erfolgreiches Lernen – unbeabsichtigt, aber höchst wirksam. Weshalb trotz guter Bekanntheit solchen Dysfunktionalitäten nicht beizukommen ist, wäre eine nicht uninteressante Forschungsfrage.

      Lehr-Lern-Irrtümer werden sich wohl nie ganz ausrotten, allenfalls auf ein erträgliches Mass schrumpfen lassen, indem man sie aufspürt und nach Möglichkeit aushebelt beziehungsweise aushält.

      Aushalten der Lehr-Lern-Irrtümer – oder vielmehr der Frustration beim meist verspäteten Gewahrwerden – könnte heissen, eigene Erwartungshaltungen mit der lernpsychologischen Erkenntnis in Einklang zu bringen, dass sich Lernen nicht von aussen steuern lässt. Als Lehrperson sollte man Abstand nehmen von der Vorstellung, alles Gelehrte müsse als exakte Kopie beim Lernenden abrufbar, das Lehrmittel müsse vollumfänglich verstanden sein. Es braucht eine Blickerweiterung, die Lernerfolg nicht ausschliesslich bezogen auf einen maximalen Wissensstand bemisst, die auch Lernfortschritte und die Qualität der individuellen Lernprozesse wertschätzt, die unerwartete Lernschritte und -ergebnisse erkennt, auch unbeabsichtigte, fragmentarische. Eine vollständige Reproduktion des vermittelten Stoffes in den Köpfen der Lernenden ist weder der Gradmesser für erfolgreiche Lehrtätigkeit noch notwendig für das Bestehen der jeweiligen Ausbildungsanforderungen. Wer daran zweifelt, erinnere sich an Abschnitte in der eigenen Bildungsbiografie, an den persönlichen Wissensstand im Verhältnis zum jeweils vermittelten Stoff – und trotzdem hat es geklappt!

      Wie lassen sich solche Irrtümer aushebeln? Indem man die eigene Wahrnehmung justiert und trainiert und indem man Gewichtungen ändert. Beispielsweise kann das eine stärkere Fokussierung auf Lösungswege und Lösungsvarianten sein, zusätzlich betont und verstärkt mittels entsprechender Bewertung/Benotung: wenn ein Lernprozess oder eine Problemlösungsstrategie gleich oder höher wertgeschätzt und/oder bewertet wird als die Wiedergabe von auswendig Gelerntem, wenn Lehrerfeedback in Bezug auf Originalität und Eigenleistung im Zentrum steht anstelle von Kommentaren zu Fehlern oder erteilten Noten. Das ist eine bewusste Anspielung auf sogenannte Notenbesprechungen – eine Zeitverschwendung insofern, als Noten nichts anderes als chiffrierte Verbalaussagen sind (5 = gut, 3 = ungenügend usw.) und keines Kommentars bedürfen, solange sie valide sind. Besser eingesetzt als für rückwirkende Schelte und Mahnung wäre diese Zeit zukunftsgerichtet, für personalisierte Lernplanung.

      Lerngespenster entzaubern und einspannen

      Motivation der Schülerinnen und Schüler ist keine Kernaufgabe der Lehrperson und liegt insofern nicht in deren Lehrauftrag, als man sich gemäss namhaften Fachautoren (vgl. z. B. Sprenger 2014) nur selbst motivieren kann. Zutreffend ist das sicher für die intrinsische Motivation, da «jeder Mensch immer irgendwelche Motive hat, immer motiviert ist», nur passen diese Motive nicht zwingend zu dem, was im Unterricht gerade verlangt wird. Und bei fehlender Passung «kann man nichts machen, denn Motive lassen sich nicht von aussen erzeugen» (Kaiser, 2004). Die Frage «Wie motiviere ich meine Klasse?» muss anders gestellt werden: «Was kann ein Lehrer oder eine Lehrerin tun, um die Lernenden dabei zu unterstützen, sich selbst zu motivieren?» (Bastian, 2014, S. 6). Das bedeutet erstens, dass sich der Auftrag an die Lehrperson auf eine optimale Versuchsanlage beschränkt und nicht schon den Erfolg voraussetzt. Und zweitens wird klar, dass Motivation bei den Individuen ansetzt und nicht oder höchst selten bei ganzen Klassen.

      In der Null-Bock-Haltung schwingt die verdeckte Botschaft, dass das Interesse woanders liegt als beim gerade Verlangten, und keinesfalls, dass null und kein Interesse für irgendwas angenommen werden kann. Klar, gelegentlich «empfinden Jugendliche den Unterricht eher als eine mühsame Unterbrechung der Freizeit, in der man sich Computergames, Sport und Hobbys widmen kann» (Guggenbühl, 2014). Das zeigt doch zweierlei: Interesse ist vorhanden, aber auch ein Interessenkonflikt zwischen Lernenden und Lehrenden. Interessenkonflikte lassen sich aber thematisieren, im besten Fall sogar klären oder zumindest durch Priorisierung entschärfen. Die Standardlösung aufgrund des Machtgefälles ist jedoch, solche Interessenkonflikte gar nicht zur Kenntnis zu nehmen oder zu übergehen, was allerdings viele Lernende dazu veranlasst, sich geistig definitiv aus dem Unterricht abzumelden. Das ist eine (weitere) verpasste Lerngelegenheit, notabene für beide Seiten, hat die Lehrperson doch eine Gelegenheit ausgelassen, zur Lebenswelt und den Interessen ihrer Lernenden vorzudringen.

      Eine negative Klassendynamik, in welcher Form auch immer (passiver Widerstand, Verweigerungen, organisierte Störungen ...), belastet eine Lehrperson, oft längst bevor sie das Klassenzimmer betritt, und die Eskalation ist fast unvermeidlich, wenn man sie persönlich nimmt. Aber aus Distanz betrachtet: Steckt in einer dynamischen Klasse nicht auch Potenzial im Vergleich zu einer lethargischen, lässt sich allenfalls deren Solidarität und Gestaltungswille für ein gemeinsames Vorhaben einsetzen, das der Klasse sinnvoll erscheint? Einer Schulklasse junger Menschen zu unterstellen, dass sie Destruktion sinnvoll findet, grenzt schon an pädagogischen Nihilismus. Umgekehrt gehört das Wissen, dass die Sinnfrage untrennbar mit menschlicher Entwicklung, mit Lernen verbunden ist, zum professionellen Grundrepertoire.

      Wer Leistungsunlust beklagt, verkennt möglicherweise zwei wichtige Faktoren. Leistung ist meist mit Anstrengung verbunden, und Anstrengung selbst ist in aller Regel nicht das Ziel, sondern eine Voraussetzung zur Zielerreichung. Zudem müssen Ziele lohnend und in subjektiver Reichweite sein, damit sie attraktiv sind. Zweiter Faktor ist die Tatsache, dass wir längst in einer Erfolgsgesellschaft und nicht in einer Leistungsgesellschaft leben. Der vorzeigbare, materialisierte Erfolg ist das, was zählt, und nicht der betriebene Aufwand. Belege dafür? Statussymbole jeglicher Couleur garantieren für das Prestige, unbesehen davon, welche Leistung dazu aufgebracht wurde. Der teure Flitzer, das Finisher-T-Shirt, das Gipfelfoto stehen für den Erfolg. Der Weg dahin, die Eigenleistung ist oft zweitrangig, nicht selten auch ein sorgfältig gehütetes Geheimnis, besonders dann, wenn sie die Strahlkraft des Erfolgssymbols beschädigen würde (kreditfinanzierter Autokauf, geborgtes T-Shirt, Gipfelaufstieg mit fremder Hilfe). Wenn die Hypothese stimmt, dass die Pädagogik die Werteverschiebung in grossen Teilen der Gesellschaft vom Leistungsstreben zum «Erfolg-ist-geil-Primat»

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