Die wilde Reise des unfreien Hans S.. Martin Arz

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Die wilde Reise des unfreien Hans S. - Martin Arz

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schützend in die Mitte genommen hatte. Bis auch die Leibgarde am Ende ihrer Kräfte war. Die überlebenden Männer warfen die Waffen weg und sich selbst auf den Boden als Zeichen der Kapitulation. Johann Ohnefurcht, klein und mager von Statur, ließ sich zitternd vom Pferd gleiten und rollte sich am Boden ein, den tödlichen Streich erwartend. Ein türkischer Hauptmann nickte wohlwollend, gab seinen Männern ein Handzeichen. Ohnefurcht wurde aufgelesen, gefesselt und als Gefangener fortgebracht.

      Unten im Tal starrten entsetzte Deutsche, Ungarn, Johanniter, Walachen und Siebenbürgen auf das, was sich nun den Hügel hinunter auf sie zu ergoss – ein wilder Haufen aus strauchelnden französischen Rittern, die sich verzweifelt ihrer Rüstungen zu entledigen versuchten, um schneller laufen zu können. Dazwischen eine Stampede von zum Teil verwundeten reiterlosen Pferden. Dahinter Tausende türkische und serbische Reiter, die Säbel und Schwerter wie Sensen schwingend. Mit ihnen rollte ein Regen aus abgeschlagenen Körperteilen und Blut den Hang hinunter.

      Walachen und Siebenbürgen desertierten und flohen.

      Angeführt von König Sigismund und dem Großmeister der Johanniter versuchten die restlichen Kreuzritter in einem Akt der Verzweiflung, gegen die Osmanen anzutreten. Hans wartete bebend vor Adrenalin bei den anderen Knappen. In seinen Ohren rauschte es. Vorhin, als sie aufgesessen hatten, hatte Max noch »Bis ans Ende der Welt!« gerufen. Ob nun Max oder Josef oder Yorick in seiner Nähe waren, ob sie ritten, kämpften oder schon tot waren, in diesem Moment dachte Hans nicht einmal an sie. Mit Tunnelblick blieb er ganz auf seinen Herrn konzentriert. Hans spürte kaum, wie ein türkischer Pfeil seine linke Schulter durchbohrte, denn das Pferd des Herrn schien schwer verletzt und würde nicht mehr lange durchhalten. Ein Lanzenstoß traf Leinhart Richartinger so hart, dass er vom Pferd, inzwischen mit blutigem Schaum vorm Maul, stürzte. Hans gab seinem Pferd die Sporen. Links die Kriegskeule, rechts das Schwert, das Pferd lenkte er mit dem Druck seiner Beine. Hieb mit Schwert und Keule nach allem, was türkisch aussah. Da. Sein Herr am Boden. Stand auf. Ein Schwerthieb traf Hans Schiltberger am linken Oberschenkel, doch es gelang ihm, seinen Herrn auf sein Pferd zu ziehen. Als Leinhart fest im Sattel saß und die Lanze wieder in die Halterung legte, sprang Hans ab. Er schnappte sich ein herrenloses Pferd, dem Zaumzeug nach türkisch, und ritt damit zurück zu den Knappen. Keule links, Schwert rechts. Wie viele Feinde er erwischte, zählte er nicht mit. Er zog sich am linken Oberarm den Axthieb eines Franzosen zu, der, vom Schlachten wahnsinnig geworden, in seiner wilden Panik nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden konnte.

      Etwas riss Hans aus seinem Tunnel. Flachsblonde Haare links neben ihm. Yorick ging zu Boden, ein Türke über ihm, das Schwert zum tödlichen Hieb gehoben. Hans durchbohrte den Angreifer mit seinem Kurzschwert, zog Yorick hinter sich auf das Pferd und preschte zurück. Der Flame klammerte sich zitternd an ihn und weinte tränenlos. Weil Yorick nicht loslassen wollte, überlegte Hans, ihn vom Pferd zu stoßen, damit er sich wieder um seinen Herrn kümmern konnte. Doch wo war sein Herr? Dort, der Helm, der Federbusch, triumphierend hochgehalten von einem Türken. Blut tropfte und rann an dem siegreich hochgestreckten Arm entlang. Johannes Schiltberger aus München hatte keinen Herrn mehr.

      Das Gemetzel fand schließlich ein Ende, als Sigismund einsah, dass seine Mannen von serbischen Panzerreitern und türkischen Sipahis in die Zange genommen waren. Der ungarische König und der Johannitergroßmeister suchten ihr Heil in der Flucht – mit ihnen Tausende Ritter, Fußsoldaten, Knappen und Bogenschützen. Die Gaukler, Huren, Pfaffen, Wäscherinnen, Köche und Marketender – kurz der ganze Begleittross aus nicht waffenfähigen Männern hatte schon längst das Weite gesucht. Mit sorgenvollen Gesichtern hatten sie den Rückzug der Franzosen beobachtet, und als die Walachen unter Mircea dem Alten davonrannten, war das auch für sie das Startsignal, den Eseln und Ochsen die Peitsche zu geben. Die Karren hatte man sicherheitshalber ohnehin schon gepackt. Ein paar, von den Fliehenden für völlig verrückt erklärte, Geistliche blieben zurück, weil sie es für ihre gottgegebene Pflicht hielten, den Verwundeten später Trost zu spenden.

      Getrieben von den Türken schwappte die Welle der Flüchtenden ans Donauufer. Wer kein Boot bekam, versuchte zu schwimmen, um irgendwie die Schiffe der Venezianer zu erreichen. Viele ertranken elendiglich. Selbst wer ein Schiff erreicht hatte, konnte sich der Rettung nicht sicher sein. Die Edelmänner von Rang hatte man noch an Bord gelassen, dann die erste Welle von weiteren Männern, aber als die Kapitäne ihre Schiffe für voll hielten, gaben sie die Order aus, die Verzweifelten zurück ins Wasser zu stoßen. Und wenn das nicht mehr half, allen, die sich an die Reling klammerten und nicht freiwillig losließen, einfach die Hände abzuhacken.

      Diejenigen, die durch die Donau zum anderen Ufer schwammen, mussten sich nun zu Fuß durchschlagen. Ihre Hoffnung, sich die Rückreise halbwegs komfortabel gestalten zu können, zerschlug sich, sobald sie die ersten Siedlungen erreichten. Die desertierten Walachen hatten auf ihrem Rückzug ganze Landstriche verwüstet und geplündert. Zu Bettlern degradiert, zogen die Männer entkräftet durch die Wälder. Von Wegelagerern ihrer letzten Habseligkeiten beraubt, verhungerten die meisten. Zu den Glücklichen, die tatsächlich den entbehrungsreichen, monatelangen Weg nach Hause schafften, gehörte der einundzwanzigjährige Wittelsbacher Pfalzgraf Rupert Pipan. Nur noch in Lumpen gehüllt und komplett ausgezehrt, erreichte er im Januar 1397 sein Schloss in Amberg. Seine Gattin Elisabeth von Sponheim-Kreuznach fiel bei seinem Anblick in Ohnmacht und versenkte sich nach dem Wiedererwachen sofort ins Gebet, um für die Rettung zu danken und um schnelle Genesung zu bitten. Rupert Pipan starb nur wenige Tage später an Entkräftung.

      Später am Tag ließ sich Sultan Bayezid in Begleitung seiner Söhne über das Schlachtfeld führen. Gelegentlich befahl er seinen Männern, einen Leichnam umzudrehen, doch den Gesuchten fand er nicht. Bayezid gab schließlich die Hoffnung auf, sein ärgster Feind König Sigismund sei gefallen.

      Als die Nacht sich über Nikopolis legte und die Sieger in ihr Lager zurückgekehrt waren, öffneten sich die Tore der Stadt. Erst huschten nur ein paar Gestalten heraus, dann mehr und mehr. Zerlumpte Bettler ebenso wie angesehene Handwerker, noble Bürger mit pelzverbrämten Krägen ebenso wie Markthändlerinnen, Geistliche ebenso wie Kinder. Wie Nachtmahre wateten sie gebückt im Mondlicht durch den blutgetränkten Matsch zwischen den zerfetzten Menschenkörpern umher und rafften alles an sich, was sie für wertvoll oder wiederverwertbar hielten. Natürlich hatten die türkischen Truppen sich bereits genommen, was sie wegtragen konnten, doch für die ausgehungerten Städter gab es genug. Wer Glück hatte, fand vielleicht noch einen kostbaren Ring – und wenn die Hand des Toten zu verkrampft war, um ihn abzuziehen, dann schnitt man eben den Finger ab. Den Kindern drückte man Messer in die Hand, damit sie von den gefallenen Pferden Fleisch mit nach Hause bringen konnten. Endlich wieder satt essen.

      Am nächsten Morgen ließ Bayezid alle Gefangenen antreten. Zu seiner Überraschung erkannte er darunter den französischen Ritter Jacques de Helly, der einst unter Bayezids Vater Murat gedient hatte. Er ließ Helly zu sich kommen und befahl ihm, die Edlen und Prinzen zu identifizieren. Coucy, Bar, d’Eu, Gui de la Tremoille, Johann Ohnefurcht und einige weitere fanden sich bald separiert von den anderen. Man würde sie für hohe Lösegelder ihren Familien zurückgeben. Bayezid befahl den Edlen, das nun Folgende von Anfang bis zum Ende anzuschauen.

      Alle anderen Gefangenen mussten sich nackt ausziehen, dann fesselte man ihre Hände, band sie in Dreier- oder Vierergruppen zusammen, und ließ sie vor den Sultan treten. Sie mussten vor dem Sultan knien, dann schlugen ihnen die Henker die Köpfe ab. Männer standen bereit, die Leichen wegzutragen, damit nachgerückt werden konnte. Hunderte, Tausende. Das Schlachten dauerte vom ersten Hahnenschrei bis zum Spätnachmittag.

      Hans Schiltberger betete zum heiligen Johannes, seinem Namenspatron, schließlich war er am Johannistag, am 24. Juni, geboren. Früher hatte er zur Muttergottes gebetet, aber die Gebete waren ihm nutzlos erschienen, offenbar erhörte sie ihn nicht. Seit er zu Johannes betete, fühlte er sich wohler. Die Schmerzen waren nach der Schlacht wie eine Welle über ihn hereingebrochen. Seinen linken Arm konnte er nicht mehr bewegen, und durch die Beinverletzung humpelte er. Die anderen drei Männer, mit denen er an einem Seil zusammengebunden war, kannte er nicht. Was mit seinen

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