Die wilde Reise des unfreien Hans S.. Martin Arz
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Читать онлайн книгу Die wilde Reise des unfreien Hans S. - Martin Arz страница 8
In der Gruppe vor Schiltberger war der bayrische Ritter Hans Greiff, der als einer der wenigen sich traute, seine Stimme zu erheben. »Gehabt euch wohl«, rief Greiff, »wenn jetzt unser Blut vergossen wird, so sind wir nach Gottes Wille Kinder des Himmels vor dem Herrn!«
Als seine Gruppe schließlich an der Reihe war, durch Blut, Kotze und Pisse zu waten und sich hinzuknien, fühlte Hans eine unendliche Ruhe. Er war schon immer fatalistisch gewesen. Er war bereit, sollte kommen, was kommen musste. Kinder des Himmels. Das wars dann also mit dem Ende der Welt.
Womit er nicht rechnete, war, dass ihm kein Hieb die ewige Ruhe beschwerte, sondern ein Hieb seine Ruhe zerriss: Seine Fesseln wurden zerschnitten. Man ließ ihn aufstehen, und Hans hob fragend den Blick. Vor ihm stand ein prächtig gekleideter türkischer Edelmann, Süleyman Chelebi, der älteste Sohn Bayezids. Was der sagte, begriff Hans erst später. Süleyman kontrollierte die Gefangenen und sortierte alle Burschen unter zwanzig Jahren aus. Die durften dem Ehrenkodex nach nicht getötet werden. Heulend vor Freude und Erschöpfung brachte man Hans zu den anderen Knappen, wo man notdürftig seine Wunden versorgte und ihm ein knielanges einfaches Leinenhemd zum Anziehen gab.
Am späten Nachmittag versammelten sich die türkischen Generäle und wichtigsten Berater und bedrängten Sultan Bayezid, das Töten zu beenden. Es sei genug Rache geübt worden, wenn er weitermache, würde ihn der Zorn Gottes treffen. Bayezid ließ sich erweichen und ordnete an, alle Überlebenden vorzuführen. Dann wählte er aus ihnen seinen Anteil aus und überließ die anderen denen, die sie gefangen hatten. Johannes Schiltberger zählte zu den Gefangenen des Sultans. Die Toten ließ Bayezid nicht beerdigen, sondern auf dem Plateau zu einem Haufen schichten, um sie den Raben und Füchsen zu überlassen.
3 Tricktrack
Hans Schiltberger verbrachte die folgenden Tage mehr oder minder in einem Dauerdämmerzustand. Was um ihn herum passierte, versank in einem Wirbel aus Schmerzen und Schlaf. Manchmal schrie er. Dann kam jemand und gab ihm etwas zu trinken, woraufhin die Schmerzen nachließen und Hans sich ganz leicht fühlte. Jemand fütterte ihn und flößte ihm Wasser ein. Jemand wusch ihn. In wacheren Momenten merkte er, dass er mit anderen Verwundeten in einer Kutsche transportiert wurde. Bayezid hatte die Gefangenen nach Adrianopel in Griechenland geschickt, der Hauptstadt von Rumelien, dem osmanischen Teil Europas. Als einmal die Schmerzen unerträglich waren und Hans brüllend die Augen aufriss, glaubte er, eine Erscheinung zu haben. Der, der ihn versorgte, hatte einen flachsblonden Haarschopf.
»Yorick!«, keuchte Hans.
»Schschsch«, machte der Flame und flößte Hans das schmerzstillende Getränk ein. Dann wechselte er die Verbände.
»Warum machst du das für mich?«, sagte Hans leise, bevor er wieder ins Reich der Träume glitt.
»Weil du das auch für mich tun würdest«, antwortete Yorick. Und damit, das musste Hans zugeben, hatte er verdammt recht.
In Adrianopel lagerten sie zwei Wochen. Dann kam der Befehl, die Gefangenen nach Gallipoli zu bringen, wo man sie in einen Turm sperrte. Die Edlen ebenso wie die anderen. Den Edlen teilte man kleinere, komfortablere Zellen zu, wo sie ihrem Status gemäß eine bevorzugte Behandlung und Versorgung genossen. Die restlichen mussten sich große, mit Stroh ausgelegte Quartiere teilen. Licht fiel nur durch kleine, vergitterte Schlitze herein.
Zu Hans’ Überraschung kam zweimal täglich eine kleine Delegation von Männern, die sich um die Verletzten kümmerte. Ihr Anführer war offensichtlich ein Heilkundiger, ein Arzt, der sich alle Wunden genau besah und seinen Männern Anweisungen zur Pflege und Versorgung gab. Der Unterschied zu den Quacksalbern und Brechbadern, die Hans aus seiner Heimat kannte, hätte nicht größer sein können. Der Arzt entdeckte, dass in Hans’ eiternder Schulterwunde noch die Pfeilspitze steckte. Wieder bekam Hans einen Trank, der ihn schweben ließ. Als er zu sich kam, hockte Yorick neben ihm und hielt ihm freudestrahlend die Spitze entgegen, die sie aus der Schulter geholt hatten. Die Spitze wurde ihm später weggenommen. Man musste den Gefangenen nicht unnötig potenzielle Waffen überlassen. Nur eine kleine Pfeilspitze, aber dennoch. Gegen Abend kam jeden Tag ein Mann, der an einer langen dünnen Kette einen kleinen Kessel schwenkte, in dem stark riechende Kräuter brannten und räucherte die Zellen aus.
Der junge Bursche, der sich im Auftrag des Arztes auch um Hans kümmerte, zeigte Yorick, wie er die Wunden fachmännisch reinigen und neu verbinden konnte. Er war ein fröhlicher Kerl, der gerne lachte, worüber, konnten sich weder Hans noch Yorick erklären. Schließlich sagte der Bursche eines Tages: »Benim adım Cem.« Er wiederholte es langsam und deutete auf sich. »Cem. Benim adım Cem.« Dann deutete er auf Hans und Yorick.
Hans begriff als erster: »Hans. Benim adım Hans.«
»Hans! Bu komik bir isim.« Das sollte Hans später noch öfter hören – Hans, was für ein komischer Name. Cem lachte, als auch Yorick sich auf Türkisch vorstellte. »Cerh«, sagte Cem und deutete auf die drei Wunden. »Ciddi yaralar, Hans.«
»Ja, schwere Wunden«, seufzte Hans, ohne zu wissen, dass Cem genau das gesagt hatte. Und so begannen Hans und Yorick während der Gefangenschaft in Gallipoli Türkisch zu lernen. Dank der guten Versorgung machte die Genesung rapide Fortschritte. Sie bekamen kräftige Suppen mit gekochtem Gemüse, dazu eine körnige gelbliche Masse, die Hans zunächst für eine Art Hirse hielt. Später sollte er lernen, dass es Bulgur war. Neben Suppen gab es Linsen- und Bohnengerichte. Oft erhielten sie sogar gekochtes Fleisch, meist Pferd, denn viele Tiere waren schwer verwundet aus der Schlacht hervorgegangen und mussten getötet werden. Seltener kam Hammel in die Näpfe, einmal sogar Huhn.
Eines Tages brachte Cem ein schweres Stück Holz und ließ Hans damit Greifübungen mit der linken Hand machen. Hans verstand, dass seine Beweglichkeit wieder hergestellt werden sollte. Als das Greifen gut funktionierte, packte Cem Hans am Handgelenk und wies ihn an, mit Kraft dagegenzuziehen. Cem freute sich über jeden Fortschritt mindestens ebenso wie Hans und Yorick.
Bald konnte Hans mit Yorick Tricktrack spielen, wofür sie sich das Spielbrett auf den staubigen Boden malten und kleine grüne und schwarze Früchte als Spielsteine nutzten. Die komischen kleinen Früchte, die hauptsächlich aus einem großen Kern im Inneren zu bestehen schienen, bekamen sie täglich mit der Essensration. Hans mochte höchstens die schwarzen, die erinnerten ihn zwar an große Hasenköttel, aber die schmeckten weniger sauer als die grünen, doch meist verzichtet er ganz darauf. Oliven – den Namen lernte er erst später. Dass er ihren Geschmack einmal lieben und noch später vermissen würde, konnte er da noch nicht ahnen. Das Spiel Tricktrack, das in leicht abgewandelter Form unter dem Namen Backgammon in ferner Zukunft weltweit bekannt werden sollte, mochte Hans schon seit seinen Münchner Tagen. Er hatte es immer in den Badehäusern gespielt, wenn er auf seinen Vater warten musste. Die Würfel hatte ihnen Cem mitgebracht. Immer wenn er würfelte, sagte Hans »Puff«, wie er es als Bub gemacht hatte. Bis Yorick sagte, das Puff nerve ihn total und überhaupt: Was solle das denn sein?
»Das machen wir bei uns so«, erklärte Hans. »Weil die Würfel beim Fallen eben Puff machen.«
»Würfel machen nicht Puff«, entgegnete Yorick.
»Machen sie wohl! Puffpuffpuff. Das spielt man bei uns in den Badehäusern. Mein Vater hat immer gesagt, dass er nun zum Puff geht. So populär ist das bei uns.«
Yorick war ein passabler Gegner, der von Tag zu Tag besser spielte. So vergingen die Tage. Wenn Cem kam, sammelten sich immer mehr Burschen um Hans, denn auch sie wussten, dass es besser wäre, die Sprache ihrer neuen Herren zu lernen. Auch die