Die wilde Reise des unfreien Hans S.. Martin Arz

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Die wilde Reise des unfreien Hans S. - Martin Arz

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Wie in einem strengen Mönchsorden durften die Janitscharen während der Ausbildung die Kaserne nicht verlassen.

      »Mein Geheimnis«, schmunzelte Yorick. »Da draußen ist eine Welt und zu der gibt es verschiedene Kontaktmöglichkeiten.«

      »Sag schon!«

      Yorick schüttelte lachend den Kopf. »Willst du nun spielen?«

      »Und wenn uns einer verpfeift?« Hans sah sich im Saal um, aber kaum einer schenkte ihnen Beachtung. Im Gegenteil, erst jetzt fiel Hans auf, dass auf mehreren Betten offenbar gespielt wurde. Leise und unauffällig, mit Würfeln und Spielbrettern.

      »War das gestern auch schon so?« Hans zog die Stirn kraus.

      »Vielleicht«, sagte Yorick unbestimmt. »Ich glaube, heute kam eine Großlieferung. Und wenn uns einer verpfeift, dann lassen wir Max auf ihn los.« Yorick deutete zu ihrem stillen Freund, der kerzengerade ausgestreckt auf seinem Bett lag und zur Decke starrte.

      Hans gluckste. »Die Rache des Untoten.« Dann kniff er die Augen zusammen. »Steckst du dahinter?« Er machte eine ausladende Geste in den Saal.

      »Vielleicht. Kann sein, dass ich heute wie auch immer an fünf Spiele gekommen bin. Und die gegen einen kleinen Obolus verteilt habe. Kann aber auch nicht sein.«

      »Yorick van Nazareth, du wirst mir langsam ein wenig unheimlich.«

      »Gut so«, lachte Yorick.

      »Ich dachte, du bist mein Freund. Jetzt sag schon, wie du das gemacht hast.«

      »Ich bin dein Freund, und darum ist es besser, ich sage es dir vorerst nicht.«

      Ein Tumult entstand in der hinteren Ecke. Don Juan stritt sich mit einem anderen um ein Spielbrett.

      »War klar«, kommentierte Yorick, »ich habe Don Juan keins gegeben.«

      Der Kastilier versetzte seinem Kontrahenten einen Faustschlag ins Gesicht. Pech für Don Juan Gonzáles de Clavijo, dass der für ihre Orta zuständige Koch den Zank mitbekommen hatte, das Spiel konfiszierte und Don Juan zu einer Woche Küchenarrest verdonnerte.

      Am nächsten Tag unterbrach der kommandierende Suppenkoch der Orta Schiltbergers Training mit dem Schwert und winkte ihn zu sich. Hans überlegte fieberhaft, ob er sich etwas zuschulden hatte kommen lassen. Es fiel ihm nichts ein. Doch! Das Tricktrack. Am Vorabend hatten alle ihre Spiele schnell verschwinden lassen, als der Koch sich den Kastilier vorknöpfte. Bestimmt hatte Don Juan ihn verpfiffen. Na bitte, nun würde die Strafe folgen.

      »Hans, du bist ein guter Schwertkämpfer«, begann der Suppenkoch, der Bahadir hieß.

      »Ihr seid zu gütig, Herr.«

      »Sehr gut mit dem Schwert und gut mit der Axt. Mit dem Bogen hapert es allerdings noch etwas.«

      »Ihr habt eine genaue Beobachtungsgabe, Herr.«

      »Und du bist nicht dumm.«

      Als Hans wieder devot antworten wollte, unterbrach ihn Bahadir ungeduldig. »Du musst mir keinen Honig ums Maul schmieren. Ich war auch einmal in deiner Situation. Ja, ich war fast genau wie du, als ich hier angefangen habe. Sprich gefälligst offen zu mir.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und ließ den mächtigen Schnurrbart erzittern. Dann deutete er ernst hinüber zu Max. »Was ist mit deinem Freund los?« Er gab dem Übungsleiter ein Zeichen, und Max wurde zu ihm gebracht.

      »Ich würde gerne wissen, was da drin vorgeht.« Bahadir klopfte mit seinen Fingerknöcheln gegen Max’ Stirn. Der Bursche verzog wie üblich keine Miene. »Er kämpft wie ein Löwe, kann die Waffen bedienen. Er kann alles! Er isst, trinkt, schläft, aber warum lebt er nicht?«

      »Er lebt doch, Herr. Er kann nur nicht reden …«, sagte Hans schnell.

      »Hat er keine Zunge?«

      »Genau, Herr.« Hans sog sich eine Geschichte aus den Fingern. »Man hat ihm unmittelbar nach der Schlacht von Nikopolis die Zunge herausgeschnitten. Das hat ihn so betrübt, dass er nun gar nicht mehr reagiert.«

      »Hat er gelogen? Warum sollte man ihm sonst die Zunge herausschneiden?«

      »Ich glaube nicht. Max lügt nicht. Aber es muss ja wohl so sein …« Hans zuckte mit den Schultern.

      Bahadir streckte seine rechte Hand aus und schob Max zwei Finger zwischen die Lippen. Der öffnete den Mund.

      »Warum lügst du mich an, Hans?«, sagte er scharf. »Er hat eine Zunge. Willst du deine verlieren?«

      »Nein, Herr, verzeiht, Herr. Ich wollte nur meinen Freund schützen.«

      »Das ehrt dich.« Bahadir gab Max einen Wink, zu seinem Schwerttraining zurückzugehen.

      »Er ist ein Baschi-Bozuk, ein kaputter Kopf«, sagte Hans. »Er hat im Krieg zu viel gesehen.«

      Bahadir nickte. »Das haben wir alle. Und du? Hat dich das, was du gesehen hast, nicht auch zum Baschi-Bozuk gemacht?«

      »Manchmal verwirrt im Kopf zu sein, gehört doch zum Leben.«

      Bahadir lachte laut auf. »Der Philosophieunterricht scheint dir gutzutun. Und dennoch willst du nicht die einzig wahre Religion annehmen?«

      »Wenn Ihr es wünscht, dann mache ich das.«

      »Das ist Unsinn. Wenn ich es wünsche! Unsinn. Du musst es wünschen. Das Problem mit euch allen hier ist, dass ihr zu alt seid. Ihr seid hier oben«, nun klopfte er mit den Fingerknöcheln an Hans’ Stirn, »schon zu weit. Vergiftet von der falschen Lehre vom falschen Gott. Das Geschwätz eurer Pfaffen hat eure Hirne zerfressen. Ihr seid nicht mehr formbar genug. Das ist nicht eure Schuld. Unser Vater, Sultan Bayezid, duldet es, solange ihr gute Kämpfer seid. Wir bekommen aber einfach zu wenige Kinder als Gefangene, aus denen man gute, überzeugte Moslems machen kann. Weißt du, nein, du weißt es nicht, aber ich erzähle es dir jetzt, dass ich auch mal Christ war. Mein Geburtsname ist sogar Christos, ich war Grieche, bevor ich Janitschar wurde und Sultan Bayezid als meinen Vater anerkannte.«

      »Also funktioniert das System doch«, antwortete Hans.

      »Du bist frech, das gefällt mir.« Bahadir hob warnend die Hand. »Aber nicht zu sehr! Ja, manchmal gibt es Männer wie mich, die den wahren Glauben erkennen. Es ist nie zu spät.«

      »Wenn man mehr Kinder für die Janitscharen bekommen möchte«, sagte Hans nachdenklich, »dann müsstet ihr sie von den Völkern nehmen, die ihr unterwerft.«

      »Das machen wir bereits.«

      »Offenbar nicht effektiv genug. Es reicht wohl nicht, eine Handvoll Knaben mitzunehmen. Man müsste es systematisch machen. Wie eine Weinlese. Eine Knabenlese.«

      »Knabenlese«, wiederholte Bahadir. »Das gefällt mir.«

      »Es hätte noch einen weiteren Vorteil. Jetzt entreißt Ihr den weinenden Müttern die Buben aus den Armen. Wenn die Kinder hier eine gute Ausbildung bekommen und sogar eine gesicherte Zukunft vor sich haben, dann werden sich die Familien darum reißen, ihre Söhne zu den Janitscharen zu schicken.«

      »Du bist wirklich nicht dumm, Hans.« Bahadir

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