Am Himmelreich ist die Hölle los. Ilka Silbermann
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Читать онлайн книгу Am Himmelreich ist die Hölle los - Ilka Silbermann страница 4
„Die haben offensichtlich nur Schlickerkram zu Abend gegessen“, flüsterte Gerda. „Sehr merkwürdig. Sie haben doch genug Geld, um essen zu gehen. Warum haben sie es nicht gemacht?“
„Vielleicht waren sie nach der Radtour einfach zu müde“, mutmaßte Rolf. „Ich verstehe wirklich nicht, warum du alles so genau wissen willst.“
„Na, die beiden sind doch nicht sauber. Das sieht ja ein Blinder! Ich will wissen, was die vorhaben. Nicht, dass unserer Sabrina etwas passiert!“
Rolf wurde beim letzten Satz hellhörig. „Was sollte ihr denn passieren?“ Seinem „Augapfel“ durfte nichts geschehen.
„Was weiß ich? Da gibt es genug Möglichkeiten. Entführung. Verge…“ Sie brach ab, dieses Wort konnte sie einfach nicht aussprechen. „Gewalt eben!“
„Aber was können wir denn machen?“ Rolf wurde nun doch unruhig.
„Als Erstes müssen wir herausbekommen, was die vorhaben. Ich glaube im Leben nicht, dass sie harmlose Feriengäste sind.“
„Schön und gut, aber wie? Wir verstehen doch kein Wort!“
„Wir müssen an ihnen dranbleiben, sie nicht mehr aus den Augen lassen.“
„Du meinst, uns von hier entfernen, um sie zu verfolgen?“
„Ja, es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben.“
„Meinst du, das geht?“, warf Rolf ängstlich ein.
„Wir müssen es einfach versuchen, Rolf.“
„Psst. Ich glaub, da kommt jemand!“
„Wohin jetzt so schnell?“ Gerda blickte sich suchend um.
„Rasch in die Dusche!“ Rolf war in Sekundenschnelle hinter dem Vorhang in der Badewanne verschwunden. Sogleich war Gerda an seiner Seite.
„Glaubst du, dass das eine gute Idee ist?“, zischte sie ihm zu. „Die werden doch als Erstes ins Bad gehen. Und aufs Klo!“ Gerda verdrehte die Augen.
„Ruhe! Jetzt ist es zu spät!“
Im nächsten Augenblick kam tatsächlich Igor oder Iwan, wie immer er auch hieß, ins Bad. Was sich dort dann abspielte, blieb zu Gerdas Erleichterung verborgen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit klappte endlich die Tür hinter ihm zu.
„Mann, kann der nicht das Fenster öffnen?“, empörte sich Gerda. „Männer!“
Rolf grinste.
Schon öffnete sich wieder die Tür, und Anton betrat das Bad. Kurz darauf lief das Wasser aus dem Hahn.
Gerda konnte der Versuchung nicht widerstehen, an der Seite des Vorhangs vorbeizulinsen.
Grinsend stieß sie Rolf an, als sie den jungen Mann, nur in Unterhose bekleidet, vor dem Waschbecken stehen sah.
Ihr Mann verzog pikiert das Gesicht.
Mit einem Mal schien sich Anton unbehaglich zu fühlen. Mittendrin stoppte er seine Katzenwäsche, drehte sich um und rief dann laut nach seinem Freund.
„Hab ich doch gesagt, Iwan heißt er und nicht Igor!“, flüsterte Gerda ihrem Mann zu.
„Hat er was gemerkt?“ Rolf wurde unruhig.
Iwan kam ins Bad und schien Anton etwas zu fragen. Dieser machte eine Kopfbewegung Richtung Dusche.
Ein Schritt, dann eine rasche Handbewegung, und der Duschvorhang wurde zur Seite gerissen.
***
Vier Jahre zuvor
„Mir fehlt unsere Kleine, Rolf.“ Gerda betrachtete seufzend das Foto einer stimmungsvollen Nachtaufnahme auf ihrem Handy. Braungebrannt stand dort ihre Tochter Sabrina in kurzen hellblauen Hosen, pinkfarbener bestickter Bluse und mit einem breitkrempigen Strohhut auf ihrem Kopf, unter dem ihr langes, eigentlich mittelblondes Haar herausragte und vom Wind spielerisch bewegt wurde. Die Sonne hatte es heller werden lassen. Mit der einen Hand hielt sie den Hut auf ihrem Kopf fest und mit der anderen ein exotisch dekoriertes Cocktailglas, das sie dem Fotografen prostend entgegenstreckte.
In der dunklen Umgebung war die helle Gischt, die den Strand benetzte, nur ansatzweise zu erkennen sowie eine spärlich beleuchtete Strandbar, eine sogenannte Palapa, mit Palmendach. Das Blitzlicht hob das glückliche Strahlen ihrer Augen hervor.
„Wem sagst du das?“, erwiderte Rolf niedergedrückt. „Wo ist sie gerade?“
„An der mexikanischen Karibikküste. Schau nur, wie unbeschwert sie aussieht.“
Rolf warf beinahe widerwillig einen Blick aufs Handy. Es schmerzte ihn, seine Tochter zu sehen, auch wenn er ihr diese Erlebnisse von Herzen gönnte. Doch vermisste er sie mehr, als er es zugeben würde. „Hm“, brummte er deshalb nur. „Und wen strahlt sie da so an? Doch nicht uns, sondern wohl eher den Fotografen.“
„Das hab ich mich auch schon gefragt.“ Gerda machte ein nachdenkliches Gesicht. Sie hoffte nur, dass ihre neunzehnjährige Tochter vorsichtig genug war.
Damals, zu ihrer Zeit, in dem Alter ihrer Tochter, hätte sie sich so eine Möglichkeit gewünscht, darum hatte sie diese Reise unterstützt. Aber sie hatte nicht geahnt, wie sie sich selbst damit fühlen würde – als zurückgelassene Mutter. Nur mit spärlichen Informationen gefüttert. Das war sie nicht gewohnt. Bisher war sie stets über die Unternehmungen und sogar über Sabrinas Empfindungen unterrichtet gewesen, so dass sie mitunter das Gefühl hatte, nicht nur ihr eigenes Leben zu führen, sondern auch das ihrer Tochter.
Nun befand sie sich wie in einem Vakuum.
Rolf erging es nicht viel besser, nur dass er diese Gefühle nach Möglichkeit vor seiner Frau Gerda verschwieg. Schließlich war er kein Weichei.
„Was hältst du davon, wenn wir einfach in den Flieger steigen und sie in Mexiko überraschen?“, schlug Gerda vor.
Sie war geradezu begeistert von ihrer spontanen Idee, und Lebensfreude flammte endlich wieder in ihr auf.
Rolf sah sie zweifelnd an.
„Das könnten wir doch machen“, beharrte Gerda. „Wir haben keine Feriengäste mehr, die nächsten kommen erst Ende Oktober. Also genug Zeit. Und so ein kleiner Urlaub würde uns doch auch sehr guttun.“
Ihr Mann schwieg, noch nicht überzeugt, und so fuhr sie fort: „Natürlich werden wir ihr nicht auf die Nerven fallen. Nur einmal ‚Hallo‘ sagen, und wir spielen in der restlichen Zeit ‚Honeymoon‘.“ Erwartungsvoll schaute sie ihm ins Gesicht. „Erinnerst du dich noch?“, lächelte sie verführerisch.
Langsam und lockend ging sie auf ihn zu, umfasste zärtlich seinen Kopf und hauchte in sein Ohr: „Nun, was hältst du davon?“