Am Himmelreich ist die Hölle los. Ilka Silbermann
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Vor Freude hopsend begleitete Orko sie laut bellend bis zur Hütte.
Sabrina stieg ab und streichelte ihn flüchtig. „Ist schon gut, mein Junge. Bin ja wieder da. War alles in Ordnung?“, fragte sie und schaute dabei kurz zur belegten Ferienwohnung. Gleich darauf widmete sie sich dem Rad und ihren Einkäufen. Auch der Rottweiler wandte den Kopf in dieselbe Richtung und ließ ein leises Knurren vernehmen. Im nächsten Augenblick zog er jedoch die Nase kraus und fletschte die Zähne.
Sabrina drehte sich überrascht noch einmal um.
Der Jüngere, Anton, hatte die Wohnung verlassen und kam auf sie zu. Schüchtern lächelte er ihr entgegen.
Eigentlich sieht er gar nicht so unsympathisch aus, dachte Sabrina.
In gebührendem Abstand blieb er stehen: „Darf ich?“, fragte er, da er sich offenbar nicht näher an sie herantraute.
„Aus, Orko! Ist schon gut“, beruhigte sie ihren Hund. „Kommen Sie!“, rief sie dem jungen Mann zu.
„Einkaufen?“, fragte er und wies auf die gefüllten Taschen.
„Ja. Ihr Frühstück und Abendessen. Bier und Wodka“, zählte Sabrina auf.
„Ah – gut! Ich helfe.“ Anton schnappte sich die Taschen und zog sie aus den Fahrradkörben.
Sabrina nickte nur und brachte das Rad wortlos in den Schuppen, während Anton auf sie wartete und den Hund ängstlich beobachtete.
Orko seinerseits ließ ihn nicht aus den Augen. Man merkte ihm an, dass er nur auf einen Fehler des jungen Mannes wartete. Dann könnte er ihm zeigen, wer hier das Sagen hatte.
Gleich darauf ging Sabrina zum Wohnhaus, während Anton ihr folgte, sperrte die Hintertür auf und trat ein.
Der lange, dunkle Flur führte direkt zum vorderen Hauseingang. Kurz davor befand sich rechts vor dem Treppenaufgang das kleine Büro und gegenüber die Wohn-Küche, deren Tür Sabrina nun öffnete.
In dem großzügigen Raum im ostfriesischen Stil gab es nicht nur im Essbereich das typische Ostfriesensofa, sondern auch noch einen ursprünglichen Stangenofen, der mit Holz oder Kohle befeuert wurde. Damit wurde schon früher, vor allem in der kalten Jahreszeit, gerne gekocht und gebacken. Gleichzeitig verbreitete er eine wohlige Wärme.
Einige Schritte vom Essplatz entfernt befand sich eine einladende Couchgarnitur. Auf einem flauschigen Teppich stand ein rechteckiger kniehoher Wohnzimmertisch, groß genug für Getränke, Gläser sowie Knabbereien, der schon einigen Geselligkeiten gedient hatte.
Vor den gekippten Wohnzimmerfenstern mit Blick auf die private Terrasse zur einen Seite und zum Garten zur anderen bauschten sich zarte, bodenlange Gardinen, als die Tür geöffnet wurde.
„Stellen Sie die Tüten bitte auf den Tisch. Das Frühstück ist pünktlich fertig. Ich bringe es Ihnen dann in Ihre Wohnung.“
„Nein, haben Sie einen anderen Raum?“ Anton fühlte sich unbehaglich, das sah man ihm an. Er schaute erwartungsvoll zum Küchentisch.
„Nein, hab ich nicht. Hier können Sie nicht essen. Kommt nicht in Frage.“
„Wir zahlen“, wandte er halbherzig ein, schon ahnend, dass er auf Widerstand stoßen würde.
„Nein! Auf keinen Fall! Sie können draußen essen. Holen Sie die Möbel aus dem Schuppen und stellen Sie sie in den Hof. Mehr können Sie nicht von mir erwarten. Warum nicht in Ihrem Zimmer?“
„Männer …“, lächelte Anton schief.
„Unordnung macht mir nichts aus. Sie müssen darin leben – nicht ich. Solange Sie mir nicht einen Schweinestall hinterlassen, wenn Sie wieder abfahren, ist es mir egal.“
„Gut, dann draußen.“
Der junge Mann drehte sich auf dem Absatz um und verschwand.
Sabrina begann den Einkauf zu verstauen und hoffte inständig, dass diese Gäste schon bald wieder abfahren würden.
Plötzlich stutzte sie. Abfahren? Ja, womit denn? Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie kein Fahrzeug gesehen hatte. Wie waren sie hierhergekommen? Oder hatte sie es übersehen?
Diese Frage ließ ihr keine Ruhe. Sie nahm den Hausschlüssel, rief Orko und ging zur Vordertür hinaus.
Auf ihrem kleinen Abstellplatz stand kein Wagen. Der wäre ihr auch bestimmt vorhin aufgefallen, als sie zum Einkaufen fuhr. Kam nur ein Taxi in Frage. Aber warum zu ihr? War es Zufall? Hatte man sie empfohlen? Oder hatten sie ganz gezielt eine abgelegene Bleibe im Internet gesucht? Wenn ja – wozu?
***
Marks Ausbruch war vorüber. Er starrte auf die umgeworfenen Möbelstücke. Immerhin hatte er sich beruhigt, bildete er sich ein. Doch eigentlich fühlte er sich eher wie betäubt. Kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
Mit hängenden Schultern trat er ans Fenster und schaute hinaus, ohne etwas von der Aussicht wahrzunehmen.
Der grau verhangene Himmel legte sich langsam beruhigend auf sein Gemüt. Kein Geräusch drang von außen zu ihm. Die Mehrfachverglasung schirmte ihn völlig ab.
Wie auf einer einsamen Insel, dachte Mark und glaubte plötzlich keine Luft mehr zu bekommen.
Nein, auf einer Insel würde er Naturgeräusche wahrnehmen.
Mit seinen Eltern war er einmal als kleiner Junge während der Sommerferien auf einer Insel gewesen.
Aus seiner Heimatstadt im westfälischen Münster waren sie nach Ostfriesland aufgebrochen. Seitdem verbrachten sie dort jede Sommerferien. Einmal hatten sie sich eine Tagesfahrt nach Langeoog gegönnt.
Dieser Tag war ihm in lebhafter Erinnerung geblieben. Es war ein ausgesprochen schöner Sommertag gewesen, als sie morgens in Bensersiel die Überfahrt mit der Fähre antraten.
Der Morgen roch frisch und würzig. Noch war die Luft kühl, doch die strahlende Sonne ließ bereits einen heißen Tag erahnen.
Obwohl ihnen Bensersiel vertraut war, sie ihre Ferien insbesondere am Strand verbrachten, fühlte sich die andere Seite des Hafens am Fähranleger neu und aufregend an.
Die Möwen zogen kreischend ihre Bahnen und schienen ungeduldig darauf zu warten, dass die Fähre ablegte.
Dann würden sie ihr Spiel beginnen, wer sich am weitesten vom Festland forttraute, ohne sich auf der Fähre auszuruhen.
Kaum, dass die Fahrt begann, spendierte der Vater eine heiße Bockwurst mit einem Getränk. Diesen Geschmack würde er nie vergessen. Es schien, als wäre dieser Snack etwas ganz Besonderes. Ferien, Freiheit, Sorglosigkeit und Geborgenheit – all das schien dieser Imbiss zu beinhalten.
Dann, auf Langeoog angekommen, die Fahrt mit der lustigen bunten Bahn, die alle auf das gemächliche Tempo der Insel einstimmte.
Auf dem Weg zum Strand, ein Eis in der Hand, vorbei am Wasserturm, der die Dünenlandschaft