Am Himmelreich ist die Hölle los. Ilka Silbermann
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Читать онлайн книгу Am Himmelreich ist die Hölle los - Ilka Silbermann страница 6
„Ja, danke! Abgesehen vom Gestank eines überfahrenen Stinktiers haben wir uns tapfer hierhergeschaukelt.“
Die junge Frau lachte und reichte die Hand zur Begrüßung. „Daran gewöhnt man sich, wenn man hier länger lebt. Ich bin Vera. Wenn ihr etwas wissen wollt oder etwas braucht, könnt ihr mich jederzeit fragen. Möchtet ihr zuerst eure Cabaña sehen? Oder sofort die Anmeldung vornehmen?“
„Ich würde gerne so schnell wie möglich ins Meer springen“, sagte Gerda und pustete eine vorwitzige Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Na, dann kommt.“ Sie schaute auf die Uhr, die hinter ihr an der Wand hing. „Ja, dann solltet ihr euch beeilen, ab 17.00 Uhr wird es regnen.“
„Oh, ist der Regen hier immer so pünktlich?“, staunte Gerda.
„Ja, tatsächlich. In der Regenzeit kann man davon ausgehen, dass sich ab 16.30 Uhr der Himmel zuzieht, und spätestens um 17.00 Uhr beginnt es zu regnen und kommt mitunter auch zu Gewittern. Ich will euch keine Angst machen, aber auch Hurrikans sind in dieser Zeit möglich. – Habt ihr schon mal tropischen Regen erlebt?“, versuchte sie die beiden abzulenken, als sie Rolfs bedenklichen Gesichtsausdruck bemerkte.
„Nein, noch nicht.“
„Ist ein tolles Schauspiel, das ihr von eurer Veranda aus genießen könnt.“
„War doch richtig schön, gestern Abend.“ Gerda räkelte sich genüsslich im Sand in der kleinen Bucht, die sie und Rolf auf ihrer Fahrt mit dem gemieteten Motorboot entdeckt hatten. Sie war menschenleer und traumhaft schön. Möglicherweise war sie vom Land aus unzugänglich. Laut Vera, der Besitzerin von „El Paraíso“, gab es noch undurchdringlichen Dschungel in dieser Gegend. Schlangen, Skorpione und sogar Jaguare lebten hier. Ebenso Leguane, die ihnen ständig auf ihren Wegen begegneten.
„Schön war vor allen Dingen, dass sich unsere Kleine aufrichtig gefreut hat, uns zu sehen“, schwärmte Rolf. „Aber sag, was hältst du von diesem Dave?“ Rolf merkte man bereits an, dass er nicht sehr begeistert war.
„Ist okay! Hauptsache, Sabrina lässt sich emotional nicht zu sehr auf ihn ein. Er ist ein Abenteurer. Dennoch wird er bei ihrer weiteren gemeinsamen Tour gut auf sie aufpassen, und das sollte uns eine Beruhigung sein. Aber ein Mann fürs Leben ist ER sicher nicht!“
„Das Gefühl hatte ich auch!“ Rolf schien erleichtert. Seine Kleine war viel zu jung für eine feste Bindung.
„Meinst du nicht, dass wir so langsam zurückfahren sollten?“ Gerda stützte sich auf die Ellenbogen, als sie sich aufrichtete und zum kleinen Motorboot hinüberschaute. Ein offenes Sportboot mit Außenbordmotor, das sie sich unweit ihrer Anlage geliehen hatten.
„Wie spät mag es denn sein?“, fragte Rolf zurück.
„Keine Ahnung, vielleicht vier Uhr? Dem Glücklichen schlägt keine Stunde, mein Schatz.“
„Na dann komm mal her, du Glückliche. Bist du schon mal an einem Strand in der Karibik vernascht worden?“
„Rolf! Wir sollten wirklich los“, lachte Gerda.
„Du hast mir honeymoon versprochen“, entgegnete Rolf und zupfte sanft mit seinen Lippen an ihrem Ohrläppchen.
„Schatz, der Regen …“, hauchte sie halbherzig.
„Wie aufregend“, flüsterte Rolf.
Als sie später das Boot ins Wasser schoben, lächelten sie sich glücklich an.
Das Meer zeigte sich kristallklar, als das Boot die Wasseroberfläche zügig durchschnitt. Gerda stand neben ihrem Mann am Ruder und genoss die Fahrt.
Als sie sich umdrehte, um einen letzten Blick zur Bucht zu werfen, erschrak sie. Hinter ihr baute sich eine Wetterfront tiefschwarz auf. Das Meer unter ihr verdunkelte sich beängstigend.
„Rolf!“, rief Gerda beunruhigt und deutete nach hinten.
„Das schaffen wir. Mach dir keine Sorgen.“
Doch gleich darauf wurde die See unruhig.
Gerda suchte ihren Anleger auszumachen, um die Entfernung abzuschätzen. Er schien noch entsetzlich weit entfernt. Wieder drehte sie sich um. Die dunklen Wolken kamen rasch näher. Der Wind frischte weiter auf, und die Wellen wurden immer höher.
Gerda biss sich auf die Unterlippe. Nur nicht in Panik verfallen. Das würde ihnen jetzt auch nicht weiterhelfen.
Das Wasser hatte augenblicklich ringsherum eine bedrohliche Ausstrahlung angenommen. Das kristallklare Smaragdgrün hatte sich in undurchsichtiges Dunkelgrau verwandelt. Das Boot wurde durch die entgegenkommenden Wellen emporgehoben, so dass der Außenborder auf deren Kamm ins Leere drehte, um dann mit einem Klatschen wieder auf der Wasseroberfläche zu landen. Gischt spritzte ihnen entgegen und durchnässte sie.
„Halt dich gut fest!“, versuchte Rolf den Sturm zu übertönen. Unaufhaltsam rückten die Wolken wie eine Wand immer näher, während das gewaltige Tosen der Wellen das Boot wie eine lächerliche Nussschale behandelte. Weit oben durchzuckte ein Blitz den Himmel.
„Scheiße, Rolf! Gewitter!“, schrie Gerda. Um sie herum türmten sich die Wassermassen auf und der Strand war nur noch von den Gipfeln der Wellen aus zu sehen.
Rolf als erfahrener Bootsmann schaffte es, ihn nicht aus den Augen zu verlieren, und steuerte stetig darauf zu.
„Sollen wir nicht lieber vorher an Land gehen?“, rief Gerda und blickte Rolf ängstlich an.
„Geht nicht! Da sind überall große Steine im Meer“, schrie Rolf zurück und behielt eisern den Kurs.
Die nächste Welle brachte Gerda zu Fall. Hilflos lag sie zu Rolfs Füßen.
„Bleib liegen und halte dich da unten fest!“, befahl Rolf, der breitbeinig versuchte, das Schaukeln auszugleichen. Das Ruder hielt er mit beiden Händen fest umklammert.
Im nächsten Moment brach der Regen über sie herein. Ein tropischer Guss, der Massen an Wasser mit sich führte.
Gerda lag mit geschlossenen Augen auf dem Boden, als sich das Geräusch des Motors veränderte. Rolf drehte offensichtlich bei, die Wellen dienten jetzt als Beschleuniger und kurze Zeit später knirschte Sand unter dem Boden. Rolf schaltete den Motor aus und sprang auf den Strand. Kräftig zog er das Boot an Land.
„Kannst du aufstehen oder hast du dich verletzt?“, rief er.
„Ich komme.“ Mit wackeligen Beinen erhob sich Gerda, und Rolf streckte ihr die Hand entgegen. Sie kletterte aus dem Boot, und beide lagen sich in den Armen, während der Regen unablässig auf sie herniederprasselte.
„Wir haben es geschafft!“, jubelte sie. Rolf ließ sie nicht mehr los. „Komm! Wir müssen hier verschwinden.“
Hand in Hand rannten sie in Richtung Unterkunft, als plötzlich ein greller Blitz in den Boden einschlug, der mit seinem gleichzeitigen Donner das Ende verkündete – ihr Lebensende.
***