Sonnenwarm und Regensanft - Band 4. Agnes M. Holdborg
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Am liebsten hätte Lena ihre kleine Schwester einfach in den Arm genommen, um ihr diese schmerzvollen Empfindungen zu nehmen. Aber das hatte Loana bereits vor einiger Zeit getan. Die Angst vor ihrem Peiniger hatte Anna dadurch beinahe überwunden. Ihre anderen Ängste allerdings saßen sehr viel tiefer und bedurften daher weitaus größeren Zuspruchs.
»Okay, du hast recht«, lenkte sie schließlich ein und zog Sentran hinter sich her.
Sie gab allen einen kleinen Wangenkuss, auch Vitus, der ihr stets gehörigen Respekt einflößte. Danach stellte sie sich an der Küchentheke ein Frühstück zusammen und setzte sich damit an den Tisch.
Ihr entging nicht, wie Sentran ihren Teller wieder einmal kritisch beäugte, während er neben ihr Platz nahm. Noch bevor er den Mund richtig aufmachen konnte, stoppte sie ihn: »Kein Wort über meine Essgewohnheiten, Wachmann.«
Energisch auf ihren Teller deutend, blitzte sie zudem sämtliche Männer am Tisch gekonnt an, sodass selbst Vitus seinen bereits geöffneten Mund mit einem widerwilligen Gesichtsausdruck wieder zuklappte. »Dies ist mein Teller, mit meiner Portion Rührei und meinem Marmeladenbrötchen. Und danach werde ich pappsatt sein, basta! Also spart euch eure Kommentare, ja? Es wäre wirklich schön, endlich mal eine Mahlzeit mit euch zu erleben, bei der ihr mich, Anna oder Loana nicht ständig anmeckert, von wegen, wir würden zu wenig essen und seien viel zu zart und zu dünn.«
»Gut gebrüllt, Löwe«, hörte sie Anna murmeln und anschließend glucksen.
»Ich meckere nicht und werde auch nicht angemeckert«, meldete sich Viktoria zu Wort. Weil nicht nur Lena, sondern auch Anna und Loana sie für diesen Beitrag mit strengen Blicken straften, so, als wären sie von ihr verraten worden, senkte sie reumütig den Kopf und versuchte sich an einem verbalen Rückzieher: »Jaja, okay, ich bin ein bisschen größer als ihr. Deswegen muss ich eben etwas mehr essen, oder?« Sie gab sich zerknirscht, während sie nach rechts und links schielte, musste angesichts des missbilligenden Kopfschüttelns ihres Freundes Ketu schließlich doch schwach grinsen.
Lena quittierte Viktorias Einwand mit einem weiteren Augenfunkeln, ließ die Sache dann aber auf sich beruhen. Stattdessen schob sie sich genießerisch die erste Fuhre Rührei in den Mund und nahm Viktors Schwester währenddessen näher in Augenschein.
Man sah Viktoria die Halbelfe deutlich an, dachte Lena, war die ihrem Bruder doch sehr ähnlich, mit der großen, schlanken Statur und dem dunkelbraunen Haar. Der kurze pfiffige Haarschnitt stand ihr ausgesprochen gut und hätte durchaus von Lenas Schere stammen können. Als angehende Frisörin hatte sie einen geübten Kennerblick für derartige Dinge.
Die ungeheure Ähnlichkeit der Zwillinge faszinierte Lena immer aufs Neue. Jeder der zwei wäre irgendwie die Ausgabe des anderen, fand sie, – der eine halt auf sehr männliche, der andere auf sehr weibliche Art.
Mit einem Mal stieg ihr der aromatische Duft eines Apfels in die Nase. Offenbar hatte Sentran, ohne groß auf das vorherige Geplänkel wegen der Esserei zu achten, den Apfel aus der reich bestückten Obstschale gepflückt und ihn demonstrativ neben Lenas Teller gelegt. »Für später«, murmelte er knapp. Wie es aussah, musste er sich ein Lachen verkneifen, als er Lenas tiefen Seufzer vernahm.
Etwas später stand Anna ohne viel Federlesens auf und zog Viktor gleich mit hoch. Der Teller mit dem fast unberührten Nutellabrötchen zeigte Lena, dass der anstehende Strafprozess ihrer Schwester sehr wohl auf den Magen geschlagen war. Außerdem hatte Viktor, ganz entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten, kein Wort darüber verloren. Jedem war klar, dass Anna an diesem Morgen so gut wie keinen Bissen herunterbrachte, und wenn sie noch so cool tat.
»Wir müssen langsam los. Wünscht uns Glück und macht euch ansonsten keine Sorgen«, gab Anna sich betont munter und richtete sich danach an Viktor: »Wenn Lena heute noch einmal bei Sentran übernachtet, könntest du das ja vielleicht bei mir daheim tun. Was meinst du? Das hast du schließlich noch nie gemacht. Es wäre vielleicht gut, wenn wir heute Abend zu Hause bei Mama und Papa blieben. Sie werden über den Prozess reden wollen, denke ich. So etwas ist wichtig für sie.«
Vitus antwortete anstelle seines Sohnes: »Viktor hat hier über drei Wochen lang die Stellung gehalten und das wirklich ausgesprochen gut. Natürlich wird er heute bei dir bleiben, Tochter.« Daraufhin stand auch er auf, ging zu Anna, die er wie Viktorias Freund Ketu oft als »sein Kind« bezeichnete und nahm sie in den Arm.
… Sie sollte nicht immer so ein mulmiges Gefühl haben, wenn sie in seiner Nähe war, dachte Lena, nun, da sie erneut beobachten durfte, wie herzlich Vitus sein konnte. So viel Macht und Autorität er auch ausstrahlte, er konnte ebenso viel Wärme und Liebe geben.
Sie überlegte: Vitus war größer als Viktor und ziemlich muskulös. Vielleicht fühlte sie sich ja deshalb oft so eingeschüchtert in seiner Nähe. Aber ihr eigener Freund Sentran übertraf den Elfenkönig bei Weitem an Größe und Stärke. Das konnte es also nicht sein.
Oder lag es eventuell an seinem äußerst attraktiven Gesicht, mit den scharf geschnittenen Zügen, schön geschwungenem Mund und der schulterlangen rabenschwarzen Mähne? Nein, hier saßen ausschließlich gutaussehende Elfen. Das schied also auch aus. Selbst Vitus‘ energisches Kinn mit dem männlichen Grübchen in der Mitte fand Lena einfach nur sexy und keinesfalls angsteinflößend. Genau wie sein Lachen, weil er dann aufgrund der Grübchen auf den Wangen seinen Kindern so ähnlich sah.
Nein, es war wohl doch eher seine machtvolle Aura, die ihr diesen Respekt einflößte. …
Als Lena zudem beobachtete, wie Vitus ihre Schwester mit einem liebevollen Blick bedachte, nahm sie sich vor, ihre Vorbehalte endgültig ad acta zu legen.