Nachrichten aus dem Garten Eden. Beate Morgenstern
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Читать онлайн книгу Nachrichten aus dem Garten Eden - Beate Morgenstern страница 10
Der Vater und ich arbeiteten weiter. Hermann ging zum Schulzen hoch in die Gasse oberhalb des Görlitz-Borns. Der hieß so, war aber der Gemeindebrunnen. In der Gasse wohnte der Schulze mits Franke seiner Tochter, und da war die Post, wie gesagt, vom Franke dem SPD-Mann her. Hermann wollte einer Anschwärzerei von Astel-Knastel begegnen. Wie man sich denken konnte, saß der schon in der Wohnstube des Schulzen. Iche verstehe jor nischt, sagte der Schulze zu Hermann. Iche denke, de LPJe »Rote Scholle« hattn Hoff üwwernomm! Die muss doch aach das Viehzeuchs versorchn. Wie kannen so was passiern!
Wennern Hoff versiejelt, wer traut sichn da rain!, erwiderte Hermann.
Un warum haste den Hoff versiejelt?, erkundigte sich der Schulze beim Schandarmen. Haste noch alle Dassen im Schranke? Der Astel-Knastel zwinkerte dem Schulzen zu, als sei der sein Allerliebster. Aber der wollte nicht verstehn.
Das war im Staatsinderesse!, sagte der Schandarm schließlich.
An Strick haste uns drehn wolln, entgegnete Hermann. Wail mir noch Bauern sin un Verantwortunk fiehln! Darauf haste jesetzt! Hermann erzählte dem Schulzen, welches Angebot Astel-Knastel ihnen gemacht hätte. Der Schulze sahk Astel-Knastel an. Hermann kam der Eindruck, der Schulze müsse sich sehr anstrengen für ein Amtsgesicht, als hätte er auch so seine Gedanken über seinen Genossen Volkspolizisten, was dann später der ABV wurde, Abschnittsbevollmächtigter, in Nach-Astel-Zeiten. Da biste zu wait jejang!, sagte der Schulze. Das is wie zu ner Straftat anstiftn. Mache mir de Bauern niche verrickt! Das is niche im Sinne des Janzen! Mer solln de Bauern jewinn un niche jejen uns aufbringen. Schließlich sin mer an Arwaiter-un-Bauern-Staat! Das lasse man niche ausm Auge, Jenosse Astel! Weil sich beide in der Einheits-Arbeiter-Partei aufhielten, redete der Schulze den Astel-Knastel als seinen Genossen an. Der Schulze hielt also eine Ansprache an seinen Genossen, und Hermann merkte sich alles und erzählte es uns, als er vom Schulzen zurückkam.
Der Astel-Knastel aber nahm sich die Worte des Schulzen nicht sehr zu Herzen. Er war nun mal der, der er war. In seinem Amte hatte er Freundlichkeit von den Leuten sowieso nicht zu erwarten. Da sollte man ihn wenigstens fürchten. Denn er hatte die Macht, dachte man wenigstens damals, aus einem Mann, der frühs in eigenem Federbette aufwachte, einen zu machen, der von einer Gefängnispritsche aufstehen musste, mits Trillerpfeife geweckt oder wie auch immer in unfreundliche Tage hinein.
Wie war es denn gewesen mits dem vorchten, dem vorigen, Sylkener Schulzen und seinem Arnröder Stellvertreter und dem Buchhalter und deren Verhaftung, die Astel so ein übermäßiges Ansehen gab?
Ich will es euch jetzt sagen, wie es mir meine Tante Hildegard gesagt hat, die Frau Erb, die Frau vom vorchten Schulzen. Die ging mits ihren drei Töchtern, die eine etwas älter als ich, die beiden anderen um weniges jünger, nicht in den Westen wie Evchens Mutter und Evchen und deren viel älterer Bruder. Sie lebte mits ihnen weiter auf dem Hof von ihrem Vater, unsem Großonkel Ernst. Frühs brachte sie der Bus um sechs ins Aserschlehmer Krankenhaus, wo sie als Krankenschwester arbeitete. Kam sie nach Hause, wartete der Hof. Ob ein Bauer tagsüber auch in der Stadt arbeitet, Feierabend ist für ihn erst, wenn das Vieh versorgt ist. Und beim Dreschen gehts, bis das Licht nicht mehr ausreicht. Nachhert hatte sie mits Haushalt und ihren Mächen zu tun, denn alles konnte die Oma dort auch nicht. Sie arbeitete, bis sie ins Bett fiel. Nach dem Tod von ihrem Vater übernahm die LPG ihr Land. Sie durfte weiter in der Stadt arbeiten. Bei uns verhungerschte, hatten die von der LPG gesagt. Als Ausgleich hätte ihr Deputat zugestanden, was sie nicht in Anspruch nahm, weil sie keine Tiere mehr halten wollte. Woanderschert hat man für das Land, was man in die LPG einbrachte, 50 Marks je Hektar im Jahr bekommen. Das ging bis 15 Hektar. Ob das bei uns auch so war, ich habe es vergessen und Tante Hildegard auch.
Darüber, wie sich die Sylkener verhielten, als Astel-Knastel ihren Mann, den Sylkener Schulzen, abholte, habe ich zwei unterschiedliche Auskünfte. Von Sieglinde, was ihre mittelste Tochter ist. Die kommt manichmal nach Siehleken, ihre Mutter zu besuchen, deschertwejen man sich auf der Straße trifft und Worte wechselt. Sieglinde sagt, die Mutter hätte alle Nappern gemieden, und die Nappern mieden sie. Denn Unglück hafte wie Pech, warum man sich möglichst das anderer nicht an eigene Hände klebt. Die drei Töchter hätten auf dem Hof wie eingesperrt gelebt und wären bloß zu den Mächen vom Paschtern hin, die in dieselbe Klassen gingen und die nichts von ihrer Geschichte wussten und sie nicht aushorchten. Das Dorf schwieg zu Außenstehenden, wie es der gerade zugezogene Paschter einer war. Nicht einmal Margarete wusste, dass die Freundinnen ihrer Schwestern einen Vater hatten, dem es so wie Evchens Vater aus Arnrode ging und dass er in die ganze Geschichte verwickelt war.
Tante Hildegard dagegen sagt, sie habe ehmt bloß viel Arbeit gehabt, und Tanz sei ja gar nicht mehr gewesen außer zum »Tag des Genossenschaftsbauern« im Mai, wo sie aber nicht geladen war. Das Schützenfest zu Pfingsten mits Tanzerei und die Feiern sonst und die Geselligkeit wären zum Erliegen gekommen. So hätte sie sich nicht groß unter Leute begeben können. Aber das Dorf hätte sie sehr wohl unterstützt. Man hätte Unterschriften gesammelt wegen der zu hohen Haftstrafe, und sie sei dann mits den Unterschriften hin zum Kreis, wo man gesagt hätte, sie wolle wohl betteln. Aber betteln hätte sie nie gewollt, was ich unterstreichen kann. Tante Hildegard ist eine sehr stolze Frau. Awer niemand niche is mir zu nahe jeträtn!, sagt sie. Se hawwen mane Mainunk jewusst, die hawwe ich ihnen offen ins Jesicht jesaacht. Un so was war dän draimal liewer wie die, die wo dän zum Maule jeredet ham. Und sie hätte ja auch Verwandtschaft genug gehabt in Sylken, in Arnrode, in Alterode. Un iche hawwe ja aach öwwer mane Arwait jar kane Zait zum Jrüweln jehabt, sagt sie.
Aber vielleicht hat meine Tante aus ihrem Gedächtnis weggedrängt von dem, was sie doch auszustehen gehabt hat. Denn weil die Geschichte andauerte, hörte auch die Neugier nicht auf. Viel war darüber mits den Nappern zu überlegen, wie es um sie stünde mits einem Mann im Westen und sie hier mits drei Mächens und ob sie denn nicht wohl doch nach dem Westen machen wolle und wie sie es hier mits Männern hielte, denn sie war eine so schöne Frau wie keine weit und breit, schwarzhaarig, schwarzäugig, feines Gesicht und zierlich. Sieglinde sagt, die Männer im Dorfe, ob auch verheiratet, hätten keine Ruhe gegeben, besonderst einer. Weil sie nicht erhört wurden, erfanden sie und prahlten aus Rache mits was, was gar nicht gewesen war. Es gab ein Getratsche. Sie hätte sich mits keinem Manne sehen lassen dürfen, und kein Mann durfte ihr auf den Hof. Und wie ihr Mann drüben gestorben war und sie täglich, jährlich Beweise für ihre Unzugänglichkeit geliefert hatte, wetzten die Nappern erneut die Zungen. Denn nun hatte ihre Älteste einen Franzosen geheiratet. Einen Kommunisten. Was anderes ließen sie ja nicht in unser Land rein. Sie und ihre beiden jüngeren Töchter durften hin nach Frankreich reisen. Nicht nur ein Jahr, sondern das Jahr darauf wieder und noch wieder. Wo gab´s denn so was! Was sollte man sich da denken! Ob sie doch umgedreht war? Ich meine auch, so frei war sie nicht, wie sie heute denkt. Vielleicht hatte sie zunächst Unterstützung vom Dorf erfahren, waren die Sylkener so feige Hunde doch nicht, aber dann hat ihr die Neugier und das Getratsche sehr zugesetzt. Und wenn sie über der Arbeit zu keinem Nachdenken gekommen ist, so haben es doch ihre drei Mächen deutlich gespürt.
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Nach der Kehrtwende marsch-marsch genau anderschtrum bin ich eines Tages hingesandt worden zu ihr. Die Idee war, eine Dorfchronik solle geschrieben werden. Es kam uns nach der Tausendjahrfeier im Wendejahr 90 ein, uns fehle so eine und wir ja noch ganz im Überschwang darüber, dass sich der Wohlstand in Ausmaßen ergießen würde über uns, wie wir ihn bis dahin noch nicht gekannt hatten. Trotzdem auch schon Nachdenklichkeit herrschte. Aber die wurde von schwarz-rot-gelben-CDU-Plakaten überklebt. In die Ortschronik sollten nun jene Jahre in der Diktatur, im Unrechts-Regime, hinein und wie man das noch betituliert, was für uns vorher bloß »bei uns« hieß oder »bei uns in der DDR«. Jehe du man bei ihr, frächst se, wie sich das domals werklich verholtn hat, sagte man zu mir im Wissen, ich war verwandt mits ihr.
Meine Tante Hildegard hat ihren Hof vom Vater her oben am Barch. Nach dem Kirchberg steigt Sylken