Karibien. Xaver Engelhard

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Karibien - Xaver Engelhard

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und genoss diese sich über drei volle Tage erstreckende Beschäftigung, was zum einen an der Vorfreude und dem Gedanken an den zukünftigen trägen Luxus unter der Sonne der Karibik lag und zum anderen daran, dass sie sich in eine der Bastelstunden im Kindergarten versetzt fühlte, wo die Welt noch in Ordnung gewesen war und sie nicht unter anstrengenden Lehrern und einer bösen Stiefmutter zu leiden gehabt hatte.

      „Wie in so ‘nem scheiß Märchen, sag’ ich dir.” Sylvie klemmte ihre auffällig helle Zunge zwischen die Lippen und konzentrierte sich ganz auf die Rundungen eines großen S. „Sie quält mich, wo ‘s nur geht. Und ihm ist ‘s egal. Kümmert sich gar nicht mehr um mich! Tut so, als wär’ ich gar nich’ da! Aber das werden die mir büßen! Das hier is’ nur der Anfang.” Sie lachte und ließ die Schere sinken. „Am liebsten ... Ich sollte einfach hingehen und ein Kissen nehmen und es auf ihr hässliches, verschrumpeltes Gesicht pressen und mich drauflegen; und sie zappelt und zuckt, aber es hilft nichts, weil ich sie festhalte und ihr mit dem Ellbogen auf den Hals drücke; und sie will schreien und hat das Maul voll Kissen und wird schwächer und schwächer und kratzt ein wenig, ganz leicht, wie ein Kätzchen nur; und ihr wird kurz schwarz vor den Augen, dann bäumt sie sich noch mal auf, dann wird sie ruhiger und endlich kalt.” Sylvie hatte die Hände auf dem Tisch zu Fäusten geballt und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Langsam kam sie wieder zu sich. Sie schnaufte. „Und ich hätte ja sogar ‘n Alibi, oder? Schließlich bin ich ja entführt!” Sie kicherte und sah kurz zu Rodney.

      Rodney starrte sie entsetzt an.

      „Das einzige Problem is’, dass er immer neben ihr schläft. Immer, immer, immer! Es ist zum Verrücktwerden. Dabei ist sie hässlich und alt und hat Mundgeruch.” Sylvie schüttelte sich. „Wirklich wahr! Wie ‘n alter Hund kurz vorm Einschläfern! Und sie verliert auch das Haar und ist kurzsichtig. Es wäre ‘ne Erlösung für alle Beteiligten!” Ihre Erregung hatte sich gelegt; und sie war zu einem gemütlichen Plauderton und ihrer Handwerksarbeit zurückgekehrt. „Wir hatten doch wirklich alles. Uns ging ‘s richtig gut nach dem ... dem Unfall von meiner Mutter. Waren voll zufrieden! Schon traurig natürlich, war ja echt tragisch, glaubt ja keiner, was so alles passieren kann im Haushalt, aber wir sind damit fertig geworden. Ich hab’ ihn getröstet, obwohl eigentlich eher ich ... ich mein’, ich war es schließlich, die sie gefunden hat, aber ich hab’ alles für ihn gemacht. Ich hab’ sogar angefangen, für ihn zu kochen. Nein wirklich!” Sie sah Rodney an, als hätte der in irgendeiner Form seinen Zweifel geäußert und widersprochen. „Ich hab’ gekocht; und das gar nicht schlecht; und bin nur noch halbtags ins Nagelstudio gegangen, weil ich mehr Zeit für ihn haben wollte und für sein Essen und so.” Ihr Blick verfinsterte sich kurz. „Nicht, dass das nötig gewesen wäre! Er ist ja lieber von zu Hause weggeblieben. Jeden Tag zehn Stunden im Elektrizitätswerk! Als hätten sie ihn da wie so ‘nen Hamster in ‘nem riesigen Rad laufen lassen, wo man Strom mit macht! Und kaum heiratet er wieder, geht er in den Ruhestand! Meint, genug ist genug und er will sein Leben ja auch noch genießen. Als wenn er das mit mir nicht hätte tun können! Und noch dazu mit dieser Hexe! Irgendwas hat sie ihm ins Essen gemischt, da bin ich mir sicher. Eine ehemalige Nachbarin! Ist schon zur Totenwache mit ‘ner Kasserolle angerückt und ist ab da bei jeder Gelegenheit mit was zum Essen vorbeigekommen und hat sich das von mir auch nicht ausreden lassen. Sie hat es sofort auf ihn abgesehen gehabt und kein bisschen Rücksicht genommen auf unsere Trauer. Und in dem Essen war was drin, da möcht’ ich wetten. Sie hatte ja vorher schon den eigenen Mann vergiftet. Wussten alle in der Straße. Alle außer Dad natürlich! Der hat ihren Fraß gierig in sich rein geschaufelt, als müsste er bei mir Hunger leiden. Aber ich nicht! Ich hab’ ihr Essen nicht angerührt. Hab’ sie sofort durchschaut! Vom ersten Augenblick an! Ich hab’ mich geweigert. Auch später, als sie bei uns eingezogen ist! Ich hatte solche Angst.” Tränen kullerten über ihre Wangen und wurden vom Rouge blutrot gefärbt. „Und er hat nix gemacht dagegen. Hat gar nich’ gemerkt, dass sie mich aus ‘m Haus drängen will. Aus meinem eigenen Elternhaus!”

      „Arme Sylvie!” Rodney kaute ratlos auf der Unterlippe. „Willst du einen Pfefferminztee?”

      „Das wäre schön.” Sylvie blickte ihn dankbar an und legte die Schere weg. „Weißt du, du bist ‘n echter Freund. Der einzige Freund, den ich noch hab’! Komisch, was?”

      Rodney nickte beklommen und ging zum Herd. Die Küche war nur durch eine Art Theke, unter der sich die Geschirrschränke befanden, und ein Holzgitter, das mit Plastikpflanzen berankt war, vom Wohnbereich mit seiner zerschlissenen Sitzgarnitur getrennt.

      „Das war voll fies“, fuhr Sylvie fort, als sie die Garfield-Tasse in den Händen hielt, in der ein Teebeutel schwamm. „Und hinterher hätt’ sie sich nich’ zu beschweren brauchen, denn sie hätt’ echt gewarnt sein müssen von wegen meiner Mutter, weil die meinte ja auch, entweder ich reiß’ mich zusammen und tanz’ nach ihrer Pfeife oder sie schmeißt mich raus, obwohl ‘s ja eigentlich Daddys Haus is’ und ich ‘s mal erben werd’ und so, und man sieht ja, das ihr das überhaupt nich’ bekommen is’, dieser Hochmut, und ich sag’ dir, wenn ihr nicht dazwischengefunkt hättet, mir wär’ da schon noch was eingefallen, weil so ‘n Unfall, der passiert schnell mal; und ich hab’ da diesen Film gesehen, was zeigt, dass Fernsehen überhaupt nich’ so schädlich is’ für die Birne, wie meine Mutter immer gesagt hat. In dem Film fahren die zwei im Auto; und sie öffnet heimlich seinen Gurt, und dann fährt sie gegen ‘nen Baum; und er ist tot, was aber vielleicht mit Airbags nicht mehr funktioniert.”

      „Na ja, jetzt ist ja alles gut“, behauptete Rodney lahm. „Du bist sie los und kannst dich hier erholen, und wenn ‘s dir wieder besser geht ...”

      „Nichts ist gut!“, fauchte Sylvie. „Ich hock’ hier in diesem Drecksloch; und sie lässt sich von meinem Dad in meinem Haus verwöhnen; und ich hab’ niemanden, überhaupt niemanden mehr ...”

      „Aber Sylvie, das ist doch gar nicht wahr! Du hast Schmiss und mich zum Beispiel. Wir sind deine neuen Freunde. Hast du doch selbst gesagt.”

      „Hör mir nur mit diesem mongoloiden Nazi auf! Und ich wette, du überlegst dir auch schon, wie du mich loswerden kannst.”

      „Stimmt nicht!”, widersprach Rodney voll schlechtem Gewissen. „Wirklich! Ich find’ es total super, nicht mehr so allein zu wohnen. Es ist immer jemand da, mit dem man sich unterhalten kann.”

      Sylvie warf ihm einen misstrauischen Blick zu.

      „Na gut! Wollen wir mal hoffen, dass das so ist.” Sie lächelte verschmitzt. „Zuzutrauen wär ‘s dir glatt.” Es klang nicht wie ein Kompliment.

      „Ich hab’das Alleinsein echt satt“, murmelte Rodney, überzeugender diesmal.

      „Ist schon gut.“ Sylvie winkte ab und widmete sich wieder den Zeitungsblättern und der Schere.

      Willkommen zu Hause, Waldo! stand auf dem Pappschild, das sie in den wolkenverhangenen Himmel hielten. Sie waren zu dritt: Rodney, Schmiss und Finch, ein vom Leben und seinen Stürmen gezeichneter Seemann, der seine Karriere als Steuermann eines Kühlschiffs beendet hatte, seither im Hafen von Wilbourne auf einem umgebauten Kutter lebte und davon erzählte, wie er mit diesem noch einmal um die Welt fahren würde, aber nie auch nur die leisesten Anstalten traf, tatsächlich den Anker zu lichten. Es regnete; und die Pappe begann, sich zu wellen; und die mit wasserlöslicher Farbe gemalten Buchstaben zerliefen und standen bald auf bunten, dürren Stelzen. Endlich erschien Waldo in der Glastür des Krankenhauses. Er öffnete sie vorsichtig und blieb stehen.

      „Wär’ wirklich nicht nötig gewesen. Das reinste Empfangskomitee!” Er lächelte verlegen.

      „Mein Gott, Waldo, du hast doch nicht etwa abgenommen?”, brummte Finch mit seiner tiefen Stimme. Er war mittelgroß und hager. Er nahm seine schmutzige Kapitänsmütze ab und wischte sich

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