Die letzte Seele. Lars Burkart

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Die letzte Seele - Lars Burkart

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hab damals das Gleiche gesagt. Allerdings erst, nachdem ich mir die Lunge aus dem Hals gehustet hatte. Dieser Schweinehund rückt mit der Mixtur nicht raus! Er hütet sie wie Onkel Dagobert den Kreuzer Nummer Eins!“

      Sie stimmten in ein herzhaftes Lachen ein; sogar Vincent schloss sich ihnen an, obwohl sein Hals brannte wie Hölle.

      Eine halbe Stunde später mischten sie sich wieder unter die anderen Gäste. Man erzählte, scherzte, lachte. Auch Paul amüsierte sich. Der Abend entwickelte sich entgegen seiner anfänglichen Skepsis gut. Der befürchtete Fragenmarathon über den Verbleib von Jeannine blieb aus. Aber war das so überraschend? Schließlich waren die meisten Anwesenden Fremde und die, die er kannte, schienen mit sich selbst zu tun zu haben. Nur von Jerome und seiner Frau ging ein gewisses Risiko aus. Aber die waren mit anderen Gästen beschäftigt. Nur einmal wurde es kurz brenzlig.

      Als sie im Wintergarten saßen, hatte Jerome ihn nach Jeannine gefragt – und da war guter Rat teuer gewesen. Aber obwohl er diesen Augenblick gefürchtet hatte wie der Teufel das Weihwasser, reagierte er mit einer Geistesgegenwart, die ihn selbst überraschte. Es war so einfach. Er setzte einfach ein sorgenvolles Gesicht auf und sagte: „Sie fühlt sich heut Abend nicht wohl.“ Wahrlich keine brillante Ausrede, doch Jerome schien sie zu schlucken. Er bestellte ihr liebe Grüße und gute Besserung, und damit war das Ganze gegessen.

      Paul versenkte gerade den Blick in den Ausschnitt einer jungen Frau. Halt, hier bedarf es einer kleinen Richtigstellung, denn diese Öffnung als Ausschnitt zu bezeichnen, wäre nicht korrekt, schließlich ging sie ihr bis kurz unter den Nabel. Wenn sie sich nach vorn beugte (wie sie es gerade tat) meinte man, ihren schneeweißen Slip zu sehen. Paul war in diesen Ausschnitt versunken. Er war mit den Augen so tief hineingeklettert, dass er Vincent, der hinter ihm stand, gar nicht bemerkte.

      „Paul, hast du nicht Lust, noch ein bisschen von dieser Teufelspisse zu süffeln?“ Vincent hätte gegen eine Wand sprechen können. Amüsiert beobachtete er, wie Paul fast die Augen aus den Höhlen fielen. Als nach zwanzig Sekunden noch immer keine Reaktion erfolgte, versuchte er es noch einmal.

      „He, Paul! Fahr deine Radartüten wieder ein und schlag dir deine schweinischen Gedanken aus dem Kopf! Oder willst du hier mit einer Riesenbeule in der Hose rumlaufen?“

      Tatsächlich, etwas regte sich in Pauls Hose. Er starrte blitzschnell woanders hin, doch in der Eile merkte er gar nicht, dass er längst wieder in ihr Dekolleté glotzte. Was ist nur mit mir los, verdammt? Die Antwort war einfach: Er war hammergeil. Er war scharf auf diese Frau. Er wollte sie haben. Er musste sie haben. Und am besten gleich hier und jetzt. Er wollte zu ihr gehen sie und ansprechen …

      Doch stattdessen tat er das einzig Richtige: Er zwang sich, in eine andere Richtung zu sehen. Und das war bei diesem Bombendekolleté alles andere als einfach. So sehr er auch wegsehen wollte, sein Blick blieb auf den Vorbau gerichtet. Und sein Denken drehte sich nur noch um eins.

      Paul schüttelte den Kopf. Es half nicht. Aber zum Glück gab es ja noch die Schmetterlingbrummer-Methode, und die musste einfach funktionieren. Hinter der Frau mit dem Ausschnitt bis zur Kniescheibe stand noch eine Frau. Und sie war das blanke Gegenteil. Sie war schätzungsweise Anfang sechzig, konnte aber auch gut und gern darüber hinaus sein. Ihr genaues Alter zu schätzen war schwer, wenn nicht unmöglich. Sie war geschminkt bis zum Gehtnichtmehr. Außerdem schien sie mehr als ein dutzend Mal geliftet worden zu sein. Sie war … nun ja, untersetzt. Das Schrecklichste an ihr aber war, dass sie einen Pelzmantel trug. Ob sie Angst hatte, sich zu erkälten? Egal. Sie musste für die Zwecke genügen. Sie war perfekt dafür.

      Obwohl es ihn Überwindung kostete, versuchte Paul, sich die Frau nackt vorzustellen. Anfangs kehrten seine Gedanken immer wieder zurück zu dem Wahnsinnsausschnitt. Es war, als wehre sich sein Hirn. Aber er musste es tun, schließlich war er noch immer ein verheirateter Mann, und was würde Jerome sagen, wenn er dieser Braut nachstellte, während Jeannine mit Fieber oder weiß der Geier was im Bett lag? Also versuchte Paul etwas, was unmöglich schiefgehen konnte: Er stellte sich den alten Drachen nicht nur nackt vor, sondern zog ihr einen Tanga, einen aufreizenden Büstenhalter, feuerrote Lackschuhe und eine durchsichtige Strumpfhose über die runzlige Haut.

      Zugegeben, es war fies von ihm. Aber es half. Und heiligt nicht die Not alle Mittel? Außerdem, warum sollte er ein schlechtes Gewissen haben? Schließlich würde die Frau nie erfahren, wozu er sie missbraucht hatte.

      „Was? Was hast du gesagt?“

      „Ich wollte nur wissen, ob wir uns noch mal an die Teufelspisse wagen wollen.“

      Paul überlegte kurz und fand die Idee genial. Also watschelten sie zu Jerome, damit er ihnen das Gesöff mixte.

      Mittlerweile war es nach Mitternacht. Ein Großteil der Gäste war schon längst verschwunden, und so wurde es im Haus immer ruhiger. Paul und Vincent waren nur noch damit beschäftigt, einen Drink nach dem anderen zu kippen. Auch ihr Gastgeber hatte Mühe, gerade zu stehen.

      „Männers“, lallte er, „einer geht noch!“

      Die Luft roch nach Tabak und Alkohol und erinnerte an eine Hafenkneipe. Auf den Fliesen lagen zertretene Kippen, umgekipptes Bier trocknete neben Schnapsgläsern, und dazwischen pennte eine Schnapsleiche. Leise dudelte die Stereoanlage. Irgendein Schund. Kuschelrock, die Zweimillionste, vermutete Paul.

      Sie saßen auf den Fliesen einander gegenüber, bliesen Qualm in die Luft und hatten Mühe, aufrecht zu sitzen. Die Musik stimmte Paul plötzlich traurig. Sie führte ihm die Ereignisse der letzten Tage in Erinnerung. Nun bedauerte er, was geschehen war. Zum ersten Mal bedauerte er es richtig. Er wünschte, es wäre nie so weit gekommen. Er war zwar schon vorher todtraurig gewesen, aber erst jetzt wurde ihm die Veränderung bewusst. Nichts würde mehr so sein, wie es gewesen war. Ihre Wege hatten sich getrennt; Jeannine ging in die eine und er in die andere Richtung. Der Unterschied war nur: Sie hatte diesen Weg gewählt. Seiner war ihm aufgezwungen worden. Und sie hatte die Kinder. Und was hatte er? Nichts. Scheiß auf das große Haus und scheiß auch auf den Porsche. Auf das Geld erst recht, davon bekommt sie ohnehin noch die Hälfte. Das ist alles Mist, die Familie war viel wichtiger. Nur schade, dass er das erst jetzt kapiert hatte. Jetzt, da er sie verloren hatte. Oh, wie wünschte er, das alles wäre nie geschehen!

      „Paulchen, was ist mit dir? Ist was nicht in Ordnung?“ Jerome sah vom Glas auf, in seinen Augen stand Sorge. Vielleicht gab das ja den letzten Stoß. Jedenfalls konnte Paul sich nicht mehr beherrschen. Es brach aus ihm heraus.

      „Sie hat mich verlassen.“

      Die Worte kamen schnell über seine Lippen. Viel schneller, als er es gedacht hätte. Sie waren schon gesagt, ehe sein Mund den Befehl dazu hatte geben können.

      Jerome war entsetzt. Er sah ihn fassungslos an und schien seinen Ohren nicht trauen zu wollen.

      „Was? … Was? Was redest du da? Das ist doch unmöglich!“

      „Ich wünschte, es wäre so. Du kannst dir nicht vorstellen, wie. Aber leider ist es die traurige Wahrheit. Sie ist weg und wird nie wiederkommen.“

      „Ich glaub das einfach nicht! Ihr seid doch immer ein so gutes Team gewesen. Du willst mich verarschen, oder?“ Er sah ihn fragend an, aber der Blick, der ihn traf, verriet ihm, dass dies keineswegs der Fall war. Verlegen rutschte er hin und her und sah, dass es auch Vincent nicht wohl in seiner Haut war. Wie sollten sie sich ihm gegenüber verhalten? Vincent hatte Jeannine weder kennengelernt noch je gesehen. Er wollte etwas sagen, ihn aufmuntern. Aber wie sollte er das tun, was sollte er sagen? In einer solchen Situation war alles falsch und nichts richtig.

      Ein paar Sekunden lang schwiegen die Männer.

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