Der rote Feuerstein. Kim Scheider
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Читать онлайн книгу Der rote Feuerstein - Kim Scheider страница 11
Paul setzte gleich mehrmals an, um ihr zu erklären, warum er auf keinen Fall und niemals auch nur in die Nähe dieses anscheinend vorwiegend von Grauen erregenden Monstern bewohnte Atlantis kommen wollte. „Ich - ,weil,...Es geht einfach nicht, okay?”
„Du weißt, was das für mich bedeutet?", flüsterte die kleine Fee mit Tränen erstickter Stimme. Da Paul offenbar nicht vorhatte, ihr zu antworten, wendete sie sich enttäuscht von ihm ab und flog hinüber zur Fensterbank. Ihr Blick glitt ziellos über das Meer und winzige Tränen rannen ihr über das zarte Gesicht.
„Vicki, bitte versteh mich doch!” Verzweifelt rang Paul nach Worten. „Das, das ist nicht meine Welt. Du kennst das alles, weißt, was du zu tun hast, wenn dir ein Rochusmensch begegnet oder von mir aus eine Hexe oder ein Vampir oder was weiß ich, was bei euch sonst noch für Gestalten existieren. Ich nicht! Ich kenne das alles nur aus Büchern oder Filmen. Und ich muss zugeben, dass mir das in echt eindeutig zu spannend ist!”
Das sonst so liebliche Gesicht der Fee war vor Wut verzerrt, als sie sich wieder zu ihm umdrehte. „Ach ja?”, schrie sie Paul unvermittelt an. „Gerade wolltest du noch in den Bunker gehen und den Zugang auf eigene Faust suchen, das war dir nicht zu aufregend! Aber wenn ich dich bitte, mit mir zusammen dort hin zu gehen? Meine Güte, ich weiß doch, wo das Tor ist! Wir müssen nur hin gehen, den Schlüsselstein einfügen und - ”
„Ja genau! Und dann?” Paul war nun mindestens genauso wütend wie sie. „Und dann? Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sie dich einfach so zurück spazieren lassen? Offensichtlich wollen sie doch mit allen Mitteln verhindern, dass du nach Atlantis zurückkehrst. Willst du mir wirklich erzählen, dass uns auf der anderen Seite des Tores nicht gleich das nächste Ungeheuer erwartet?”
„Auf der anderen Seite erwartet uns gar nichts”, gab Vicki resigniert zurück. „Da ist bloß ein Tunnel, der uns zum eigentlichen Tor führt, sonst nichts."
Immer vorausgesetzt, wir kommen heil dort an, dachte sie für sich. Aber jetzt war wohl kaum der richtige Zeitpunkt, mit der ganzen Wahrheit herauszurücken. Offenbar hatte Paul erst einmal genug von den Rochusmenschen. Aber sie brauchte den Jungen! Die Zeit war inzwischen einfach zu knapp, um sich jemand anderen zu suchen, der ihren Plan noch rechtzeitig in die Tat umsetzen könnte. Jetzt galt es, möglichst dick aufzutragen, um den Jungen weichzukochen, notfalls auch mit der einen oder anderen Notlüge, zum Beispiel, was den Verlust ihrer Zauberkraft anging oder die Dauer ihres Aufenthaltes auf der Insel. Ihre wahren Absichten wollte sie aber lieber noch etwas zurückhalten.
„Vicki, ich kann hier nicht einfach verschwinden. Meine Eltern... Und wir werden bald wieder abreisen. Es tut mir ja auch leid für dich, aber, es muss doch eine andere Möglichkeit geben?” Paul war aufrichtig verzweifelt, das konnte sie spüren. Natürlich würde er der kleinen Fabelgestalt gerne helfen, aber er war nun mal nur ein zwölfjähriger Junge, dem die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden voll und ganz gereicht hatten.
Und er hatte gehörig Schiss.
Genau das sagte ihm Vicki auch auf den Kopf zu.
„Ach, das sind doch alles nur Ausflüchte”, rief sie aufgebracht. „Du hast einfach nur Angst, das ist alles!”
„Und wenn schon”, gab Paul beleidigt zurück. „Wirst dir wohl ‘nen anderen Helden suchen müssen!” Zornig warf er die Kette auf den Tisch und wollte den Raum verlassen.
„Ist das dein letztes Wort?” Vicki sah ihn flehentlich an.
„Ist es!”
Nun wurde es Zeit für die Fee, die Strategie zu ändern. Mit der Mitleidstour kam sie hier wohl nicht weiter. Blieb noch, an seinen Stolz zu appellieren. „Na super!", fauchte sie ihn gehässig an. „Dann verzieh dich doch unter deine warme, kuschelige Bettdecke und mach dir vor Angst in die Hose. Ich hatte dir eigentlich etwas mehr zugetraut!” Demonstrativ enttäuscht flog Vicki aus dem leicht gekippten Fenster.
„Vicki! Vicki warte doch! Vicki?”
Doch das rosa Ding, wie Paul die Fee insgeheim nannte, war schon verschwunden.
„Mist, Mist und noch mal Mist!” Paul fluchte wütend vor sich hin. Er wusste doch selber nicht, was genau er wollte. Er wusste nur, was er ganz sicher nicht wollte und dazu gehörte in jedem Fall eine erneute Begegnung mit dem Rochusmenschen. Nachdenklich betrachtete er den rot schimmernden Feuersteinanhänger. Er bereute es längst, die Bitte der Fee so herzlos abgeschmettert zu haben. Eigentlich hatte sie ja recht. Er brauchte schließlich nur das zu tun, was er sowieso vorgehabt hatte - zum Tor gehen! Da konnte es doch nicht zu viel verlangt sein, eben den Schlüsselstein zu benutzen und sie zum nächsten Tor zu begleiten, um ihr nach so langer Zeit endlich die Rückkehr zu ermöglichen? Ohne seine Hilfe würde sie sonst niemals rechtzeitig zur Krönungsfeier nach Atlantis kommen.
Sie würde ihre Zauberkraft nicht wiedererlangen.
Sie würde nicht Königin werden.
Der Rochusmensch würde diesen Platz einnehmen, er war der stellvertretende zukünftige König...
Der Rochusmensch - als Herrscher über Atlantis. Das konnte Paul einfach nicht verantworten. Schlagartig wusste er, was er zu tun hatte.
Er musste los!
Sofort!
Vicki finden!
Hastig schlüpfte Paul in seine Jacke, stopfte die fünf Euro, ein paar Äpfel und die Feuersteinkette in die Tasche und machte sich auf die Suche. Doch wo anfangen? Wo würde sich eine kleine Fee wohl verstecken? Denn klein war sie wirklich. Höchstens so groß wie seine Handfläche. Sie konnte praktisch in jeder Ritze stecken.
Er beschloss, es zunächst in der Nähe des Bunkereinganges auf dem Oberland zu versuchen und sprintete erneut die Stufen der breiten Treppe hoch. Verstohlen warf er im Vorbeifliegen ein paar suchende Blicke zu den Seiten. Am liebsten hätte er laut nach ihr gerufen, aber für heute hatte er wohl schon genug Aufsehen erregt, daher verzichtete er erst einmal darauf und lief weiter.
Paul griff in die Jackentasche und suchte nach der Kette. Erleichtert spürte er, dass sie noch da war und streifte sie sich im Laufen über den Kopf. Nicht auszudenken, würde er sie verlieren! Wie wichtig diese Kette tatsächlich war, war ihm erst in den letzten Minuten klar geworden. Mit bebenden Fingern stopfte er sie sich unter den Pullover, um sie vor neugierigen und eventuell „wissenden” Blicken zu schützen. Bildete er sich das nur ein oder starrten die Leute ihn wirklich so merkwürdig an? Es kam ihm beinahe vor, als trüge er eine Leuchtreklame um den Hals. Dann kam ihm jedoch der Gedanke, dass es vielleicht einfach nur komisch aussah, wie er da mit gehetztem Blick durch die schmalen Gassen jagte, als sei eine ganze Kompanie Ungeheuer hinter ihm her. Er versuchte besser, sich etwas unauffälliger zu verhalten und zwang sich seinen Weg langsamer und möglichst lässig fortzusetzen, was ihm aber nur mäßig gelang. Dafür war er einfach viel zu aufgeregt. Zum Glück waren es nur noch ein paar Meter.
Rund um den Eingang des Bunkers verteilten sich mindestens zwanzig Personen, die sich offenbar alle kannten und auf die Nachzügler ihrer Reisegruppe warteten.
Na super, Rush-hour für Tagestouris! Einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte ich kaum erwischen können!
So entspannt und gemütlich, wie er es unter den gegebenen Umständen hinbekam, schlenderte er auf das Plakat mit den Terminen für die Führungen zu und tat so, als lese er es ganz interessiert.