Der rote Feuerstein. Kim Scheider

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Der rote Feuerstein - Kim Scheider

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Reisegruppe machte jedoch keinerlei Anstalten, Richtung Hafen zu verschwinden, ganz im Gegenteil. Es kamen immer mehr dazu und manche von ihnen nutzten das ungewöhnlich warme Frühlingswetter an diesem Tag, um sich erstmal gemütlich auf dem Weg nieder zu lassen und mit ihren Helgolandkenntnissen zu prahlen.

      „Die Düne war ja früher mal mit der Hauptinsel verbunden, wusstest du das?” Ein blonder junger Mann mit wichtiger Miene versuchte gerade sein weibliches Gegenüber zu beeindrucken. „Bei einer Sturmflut sind dann zwei Inseln daraus geworden, so vor dreihundert Jahren oder so.”

      1720/21, Silvesternacht, um genau zu sein, dachte Paul und grinste unwillkürlich. Er hätte seiner Mutter im „Klugscheißen” über alles, was mit Helgoland zu tun hatte, sicher Konkurrenz machen können. Da kam sofort wieder der Justus Jonas in ihm durch.

      Einige weitere, für Helgolandkenner haarsträubende Fachsimpeleien des jungen Mannes später, begann Paul allmählich unruhig zu werden. Wenn sie doch nur endlich gehen würden... Doch seine Geduld wurde nicht weiter auf die Probe gestellt.

      „Ah, da sind die beiden ja endlich”, rief ein sehr kleiner Mann, der wohl der Reiseleiter der Gruppe war. Als die beiden Angesprochenen zur Gruppe stießen, brach allgemeine Aufbruchstimmung aus und es schien sich auch niemand zu wundern, dass Paul nun schon bestimmt zehn Minuten brauchte, um den Anschlag zu lesen.

      Der Reiseleiter drängte zur Eile. “Los, los, Leute, da braut sich was zusammen. Lasst uns zusehen, dass wir das Schiff erreichen, bevor es losstürmt!”

      „Na endlich”, hörte Paul die Angebetete des Helgoland-Fachmannes murren. „Ich will doch noch unten in diesen Shop, meine Schnäppchentüte abholen. Ich habe bestimmt zwanzig Euro gespart bei diesem einen Parfüm...”

      Dann waren sie weg.

      Paul stürzte sich augenblicklich auf den Eingang zum Bunker und spähte vorsichtig hinunter. Besonders weit gucken konnte er ja nicht gerade...

      „Vicki? Vicki bist du da unten?” Er quetschte sein Ohr zwischen die Gitterstäbe, um besser hören zu können, doch er bekam keine Antwort. „Vicki, bitte! Ich kann ja verstehen, dass du sauer auf mich bist, aber wenn du da unten bist, dann melde dich bitte!”

      Nichts!

      Was hatte er auch erwartet? Dass sie ihn, freundlich lächelnd auf der Treppe sitzend, begrüßen würde? Wohl kaum! Dennoch enttäuscht wandte Paul sich von dem dunklen Loch ab und ging ziellos Richtung Leuchtturm weiter.

      Einmal so weit oben angekommen, wollte Paul seine Grübeleien auf dem Klippenrandweg, dem Rundwanderweg um das gesamte Oberland der Insel, fortsetzen. Im Laufe des Tages war es tatsächlich kräftig aufgefrischt. Die Möglichkeit, sich den Kopf richtig durchpusten zu lassen, kam ihm sehr gelegen. Das Wetter änderte sich hier mitunter stündlich und er wollte die milde Brise noch etwas auskosten.

      Paul blickte noch einmal kurz zum Leuchtturm zurück. Obwohl es noch reichlich Zeit war bis zum Sonnenuntergang, hatte das morgens angekündigte Sturmtief die Insel binnen Minuten in eine leichte Dämmerung getaucht. Man konnte sogar schon den Schein des Leuchtturmes erkennen. Paul folgte ihm noch einen Moment mit seinem Blick, dann stapfte er gegen die ersten kräftigen Böen an, die von Westen auf die Insel prallten. Plötzlich lachte er laut auf. Er hatte sich gerade gefragt, ob der junge Mann aus der Reisegruppe jetzt wohl immer noch so ein wichtiges Gesicht machte oder ob es inzwischen nicht vielmehr leicht grünlich gefärbt sein dürfte.

      Das wäre die richtige Überfahrt für Mama, dachte Paul amüsiert. Er lief noch die paar Meter bis zum Klippenrandweg und erreichte einen kleinen geschützten Unterstand, wo er eine kurze Pause machte, um die Kapuze hervorzukramen. An den Wänden hingen ein paar der Informationstafeln, die die ganze Insel in ein großes zu bewanderndes Buch zu verwandeln schienen. Sie informierten auch den eiligen Gast über wichtige historische Ereignisse oder die einmalige Natur Helgolands.

      Pauls Blick fiel jedoch nicht auf die bebilderten Schautafeln, sondern auf die Stahltür, die in der rechten Wand des Unterstandes eingelassen war. Wie oft schon hatte er hier gestanden, verstohlen um sich geblickt, ob ihn auch niemand beobachtete und hatte dann mit einem leichten Prickeln im Nacken die Klinke gedrückt. Doch noch nie hatte sich die Tür öffnen lassen. Er hatte auch keine Ahnung, was sich dahinter verbergen würde. Aber nun war er sich sicher, dass dort ein weiterer Zugang zum Bunkersystem sein müsste. Zumindest konnte und wollte er sich nichts anderes vorstellen.

      Aufgeregt blickte Paul sich um, doch er war weit und breit der Einzige hier oben. Das aufziehende Unwetter kündigte sich mittlerweile immer unmissverständlicher an, da hatten sich die meisten Leute schon auf den Rückweg gemacht. Paul hatte jedoch keine Augen für Sturm und Regen, er starrte wieder die Türklinke an. Er war felsenfest davon überzeugt, dass sie sich diesmal öffnen lassen würde. Noch ein tiefes Durchatmen, dann drückte er die Klinke runter - wieder nichts!

      Und dann, als wäre das alles nicht schon frustrierend genug, fiel ihm in diesem Moment auch noch ein, dass die Bunkerführung inzwischen schon längst begonnen hatte. Heute würde er wohl keine Möglichkeit mehr haben, auf “legalem” Weg in die Anlagen zu kommen. Wütend auf sich selbst, machte er sich wieder auf den Weg und hielt sich in Richtung Westküste. Über eine kleine Treppe gelangte er auf den Kamm des sogenannten Mittellandes, das erst durch den „Big Bang” entstanden war, und in dessen Schutz sich jetzt das kleine Krankenhaus der Insel befand. Paul kletterte auf der Meeresseite hinunter und hielt etwa auf der Mitte kurz inne.

      Im Hang befand sich eine Stelle, die seine Phantasie schon immer beflügelt hatte. Sicher hatte sich dort früher mal ein Eingang ins Felsinnere befunden, doch jetzt konnte man nur noch eine Art Torbogen erahnen. Schon oft hatte Paul versucht, dort wenigstens ein Stück weit in den Felsen reinschauen zu können, doch die Trümmer versperrten ihm auch jetzt wieder hartnäckig den Weg.

      „Vicki?”

      Halbherzig rief er den Namen der kleinen Fee in die Trümmer. Wenn er ehrlich zu sich selber war, glaubte er nicht mehr daran, das kleine Fabelwesen noch einmal zu finden. Er setzte sich auf einen vorstehenden Felsbrocken, und es war ihm nur noch nach Heulen zumute. Selbst die Tatsache, dass die Frühlingssonne es gerade noch mal schaffte, die Wolken des Sturmtiefes zu durchbrechen, um die Insel in einem malerischen Rotton aufleuchten zu lassen, konnte ihn nicht trösten. Es wäre einzig und allein seine Schuld, wenn die Fee für immer auf Helgoland gefangen bliebe oder, noch schlimmer, in die Gewalt des Rochusmenschen geraten würde. Während er darüber grübelte, wie der oder die Rochusmenschen eigentlich nach Helgoland gelangt waren, nahm Paul aus dem Augenwinkel eine schnelle Bewegung wahr.

      Ein kleines blitzendes Etwas kam irrsinnig schnell in seine Richtung geflogen, gefolgt von etwas großem Dunklen. Gerade noch blieb ihm Zeit, die Arme schützend über den eingezogenen Kopf zu schlagen, da hatten Vicki und das Untier ihn auch schon erreicht. Denn niemand anderes war es, der da über seinen Kopf rauschte. Zeit, sich zu wundern, hatte Paul keine. Er schaffte es gerade noch, sich zu den beiden umzudrehen, da wurde es auch schon schwarz und eiskalt um ihn.

      Das Monster schien ihn in sich einzusaugen, zumindest fühlte es sich so an, als würde er sich wie ein Kaugummi in die Länge ziehen und durch einen engen Schlauch gesogen. Wie bereits in seinem Traum vergangene Nacht, durchfluteten seinen Kopf unendlich viele Bilder mit Personen und Orten, die er aus den vielen Geschichten kannte, die er alle gelesen hatte. Paul fühlte sich, als würde er eine Reise durch sein Bücherregal machen. Aber auch Szenen aus seinem realen Leben mischten sich darunter und machten das Ganze nur noch unheimlicher. Jetzt konnte Paul verstehen, was gemeint war, wenn jemand davon sprach, sein ganzes Leben sei in Sekundenbruchteilen an ihm vorübergezogen.

      Ein greller Lichtblitz verscheuchte die Bilder und auch die ihn umgebende Schwärze zog sich zurück.

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