Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe. Peter Urban

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Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe - Peter Urban

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und hart geworden. Sein freundliches Lächeln verwandelte sich in eine kalte Maske, die keinen Widerspruch zu dulden schien.

      Derselbe Reflex, der Arthur noch wenige Augenblicke zuvor demütig zu Boden hatte blicken lassen, veranlasste ihn nun dazu, seinem Gegenüber fest in die Augen zu sehen. Mit ruhiger Stimme erläuterte er Sir John die politische Gesamtlage der europäischen Welt. Dann legte er dar, wie die Konstellation der großen Nationen sich auf der anderen Seite der Erdhalbkugel darstellte. In knappen Sätzen stellte er vier Hypothesen in den Raum und erklärte das Für und Wider jeder einzelnen. Als Resümee schloss er mit einem historischen Präzedenzfall: Warren Hastings hatte vor fünfzehn Jahren einer noch stärkeren feindlichen Koalition entgegentreten müssen.

      Sir John pfiff leise durch die Zähne. »Gütiger Himmel«, murmelte er. »Wenn wir Ihnen eine Chance geben, Wesley, werden Sie es weit bringen.«

      Arthur hatte diese Worte nicht einmal wahrgenommen. In den zehn Jahren, die er nun den roten Rock trug, hatte ihn nie jemand nach seiner Meinung gefragt oder ihn dazu aufgefordert, seine Gedanken laut zu äußern. Lob oder Anerkennung waren so ungewohnt für ihn, dass er nicht wusste, wie er sich verhalten sollte.

      Neugierig betrachtete der Generalgouverneur den Kommandeur des 33. Regiments. »Sonderbar«, ging es ihm durch den Kopf, »als ob der Junge Angst hat zuzugeben, dass er denken kann. Es wird nicht einfach sein, ihn aus der Reserve zu locken.«

      Sir John bediente sich nun wieder des freundlichen und leutseligen Tonfalls wie zu Beginn des Treffens. »Ich würde es sehr zu schätzen wissen, Oberst Wesley, wenn Sie mir in den nächsten Tagen in schriftlicher Form einen Plan für eine mögliche britische Operation gegen Spanisch-Manila auf den Philippinen vorlegen könnten.« »Wie Sie befehlen, Mylord!« murmelte der junge Kommandeur, ohne den Blick vom Boden des Arbeitszimmers zu nehmen.

      Obwohl Arthur Fort William und Sir John bereits vor Stunden verlassen hatte, wollte seine sonderbare Stimmung, die zwischen innerer Unruhe und Euphorie schwankte, nicht weichen. Er war beunruhigt, denn der Gouverneur hatte ihm eine Aufgabe gestellt, die man in England nur einem altgedienten Soldaten im Generalsrang mit langjähriger militärischer und politischer Erfahrung anvertrauen würde. Zugleich war er überglücklich, denn Sir Johns Auftrag war der Beweis für die Richtigkeit seiner Theorie: Für den, der zuzugreifen wagte, bot ein neues Land unbegrenzte Möglichkeiten.

      In dieser sonderbaren Stimmung war der junge Offizier, ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben, vom Regierungspalast des Generalgouverneurs in westliche Richtung geschlendert, ohne dabei auf die Uhr zu schauen oder sich zu orientieren. Er hatte nicht einmal gemerkt, dass er die große Brücke, die über den Hoogley nach Hoara führte, überschritten und bereits weit hinter sich gelassen hatte.

      Der Nachmittag war inzwischen dem Abend gewichen, und die tropische Nacht senkte sich rasch über Kalkutta. Im Hintergrund verglühte leuchtend rot die Sonne in den trüben Wassern des Flusses. Niemand schien von dem Mann in britischer Uniform, der ungewohnterweise zu Fuß und nicht zu Pferd unterwegs war, Notiz zu nehmen, obwohl die Offiziere der Ostindischen Kompanie und der britischen Krone sich selten in den Stadtteil Hoara wagten. Ab und an zischte es irgendwo: »Pardesi« – ein Fremder! Arthur kannte das Wort, und die zwei Wochen in Indien hatten ihm geholfen, die Melodie dieser Sprache – Hindustani – zu verinnerlichen. Die Sprache, die er aus seinen Büchern zu lernen versucht hatte, gab es eigentlich gar nicht. Die Menschen hier sprachen eine Art Dialekt, den man »Vernacular« nannte, und der viel anspruchsloser und einfacher war als die Schriftsprache, in der sich offensichtlich nur Gelehrte und Philosophen ausdrückten.

      Der Stadtteil Hoara war eine eigene Welt, die mit dem Kalkutta am rechten Ufer des Hoogley nur wenig gemein hatte. Hoara gehörte den Kaufleuten, die in großen Karawansereien lagerten – mit ihren Kamelherden und den Waren, die sie aus allen vier Himmelsrichtungen zusammengetragen hatten, um sie auf den großen Märkten der Regierungszentrale von Britisch-Indien oder im Frachthafen Diamond Harbour unweit der Küste anzupreisen und an den Mann oder – besser gesagt – die Ostindische Kompanie zu bringen. Hoara war auch der Unterschlupf der Rosstäuscher und Pferdehändler. Hier verwandelten sie zweifelhafte Vierbeiner in rassige Vollblüter und verpassten ihnen Ahnentafeln und Stammbäume, die so lang waren wie der Koran und mit der Wirklichkeit nicht viel gemein hatten. Britische Offiziere vermieden es, an diesem finsteren Ort nach einem geeigneten Tier Ausschau zu halten und bezahlten lieber die höheren Preise des Pferdemarktes von Bhawanipur, der zweimal in der Woche abgehalten wurde.

      Während Arthur durch den Golabari-Bazar schlenderte, drangen ihm aus lichtüberfluteten, lauten Buden und Häuschen die exotischsten Düfte des Orients in die Nase. Ein Stimmengewirr aus unzähligen Dialekten und Mundarten drang auf die überfüllte Gasse hinaus; es herrschte ein solches Gedränge, dass der junge Offizier geschoben und gedrückt wurde. Es gab kein Entkommen mehr – nicht nach links, nicht nach rechts, nicht zurück. Mit jedem Meter, den man Arthur in Richtung »Grand Trunk Road« schob, stieg der Duft würziger orientalischer Speisen ihm verlockender in die Nase und erinnerte ihn daran, dass er seit den frühen Morgenstunden nichts mehr gegessen hatte.

      Als hätte eine der zahllosen Hindu-Gottheiten seine Gedanken gelesen, befand er sich wenige Minuten später – halb geschoben, halb gezogen – vor dem Hauptportal des Kaschmir-Serais, einer der größten Karawansereien an der »Grand Trunk Road«, die den Subkontinent von den Bergen Afghanistans bis zur Küste des Golfes von Bengalen wie eine große, offene Wunde durchzog. Der Serai diente den muslimischen Kaufleuten und Handelsherren aus dem Norden des Landes als Kontor und Unterschlupf, während sie ihre Waren oder ihre Tiere im Zentrum der britischen Macht anboten. Er ähnelte einem Hufeisen, das um einen großen, offenen Platz gelegt worden war. Sämtliche Volksstämme des Nordens schienen auf diesem engen

      Raum vereint zu sein, und mit ihnen Hunderte von Packkamelen und struppigen Lastenponys.

      Obwohl es schon spät am Abend war, ging das Be- und Entladen der Waren unaufhaltsam voran. Stämmige Männer mit wallenden, oft hennagefärbten Bärten und dunklen Augen zogen in Ziegenhäuten Wasser aus einem Brunnen im Zentrum der Karawanserei, um ihre Tiere zu tränken. Sie gehörten meist dem Volk der Paschtunen oder der Kabulis an. Mit Schleiern verhüllte Frauen mit breitem, goldenem Armschmuck bereiteten an offenen Feuern oder auf behelfsmäßigen Öfen aus gebrannten Lehmziegeln die Abendmahlzeit zu. Bengalische Knechte warfen körbeweise frisch geschnittenes Gras vor unruhige Reitpferde, die schrill wieherten, während sie mit Fußtritten die Wachhunde fortscheuchten, die die Karawanen begleitet hatten und nun den ganzen Platz unsicher machten, stets auf der Suche nach einem Stück Fleisch oder einem weggeworfenen Knochen. Schreien, Streiten, Fluchen und Feilschen beherrschten die Nacht, und nur die Unterkünfte der Handelsherren, zu denen man über elegant geschwungene Steintreppen hinaufsteigen musste, schienen Zuflucht vor dem Aufruhr im Zentrum zu bieten.

      Sir John Shores Anliegen und Arthurs Hunger verflüchtigten sich in diesem bunten, fremdländischen Meer. Neugierig betrachtete er die Menschenansammlung, als sich plötzlich von hinten eine Hand auf seine Schulter legte. In einem Reflex wollte Arthur den Degen ziehen, doch bevor er dazu kam, packte eine zweite Hand energisch seine Rechte, und eine tiefe Stimme fragte ihn in einem passablen, wenn auch nicht ganz akzentfreien Englisch: »Habt Ihr Euch verirrt, Oberst-Sahib?«

      Arthur drehte sich um und blickte in ein bärtiges, wettergegerbtes Gesicht. Ein Paar grüner Katzenaugen funkelte ihn amüsiert an.

      »Nein, ich habe mich nicht verirrt!« antwortete Arthur gelassen. Der Mann, der vor ihm stand, trug einen Turban und ein weites Gewand, unter dem nur die ledernen Reitstiefel hervorlugten. Um die Hüfte hatte er einen schweren Seidenschal geschlungen, in dem über Kreuz ein Paar Pistolen und ein großer, gekrümmter Dolch steckten. »Für gewöhnlich wagen die Sahibs sich nicht in den Kaschmir-Serai. Es ist ein gefährlicher Ort. Kann leicht passieren, dass ein Mann hier verschwindet und dann irgendwann, irgendwo mit durchgeschnittener Kehle gefunden wird«, fuhr der bärtige Riese fort.

      Arthur

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