Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe. Peter Urban
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe - Peter Urban страница 11
»Also, ich hab da was Interessantes gelesen ...«, setzte Wesley an, während er sich von seinem Schock erholte und interessiert eine der Fähren fixierte, die sich der Argonaut mit schneckenhafter Geschwindigkeit näherte. Das Boot ähnelte den länglichen, silbernen Obstschalen, die in England so beliebt waren. Doch anstatt aus stabilem Metall gegossen zu sein, war die Fähre aus hauchdünnen Planken zusammengenagelt. Ihr Deck schien mit hellen Rundhölzern bedeckt, und wenn man genau hinsah, erkannte man schlammiges Wasser im Rumpf. Bei jedem Schlag des großen Ruders am Heck knarrte es besorgniserregend, und der Fährmann schien sein Gleichgewicht nur mit äußerster Anstrengung zu halten, denn die Fähre schlingerte wie ein Stück Seife auf dem Hoogley.
»Von zehn Briten, die in Kalkutta ausschiffen, fahren nur drei wieder lebend nach Hause zurück, und nur einer von fünfundzwanzig fährt mit einem Vermögen in der Tasche wieder heim nach Europa. Was Soldaten anbetrifft, sieht diese verdammte Statistik sogar noch schlechter aus: Wenn dein Regiment mit 850 Mann ausschifft, dann schifft es mit 250 wieder ein, meist unter einem anderen Kommandeur«, unterrichtete er fröhlich seinen Freund Sherbrooke.
»Arthur, hör auf, mir aus deinen Büchern vorzutragen. Ich kenne sie auswendig. Du hast mich seit Kapstadt jeden Abend stundenlang gequält ...«
»Wenn du mir nicht gerade mit Jemima in den Ohren gelegen hast ...« Wesley gab dem schmierigen Fährmann Zeichen. Vielleicht sah ja nur der Hafen von Kalkutta furchterregend aus, und der märchenhafte Orient befand sich irgendwo hinter den Kais. Cork und Portsmouth waren auch nicht gerade die Perlen Albions und Erins, und erst die Themse bei Southwark ... Außerdem war er jung und abenteuerlustig, und er hatte sich nicht nach Indien gemeldet, um sich in einer Welt wiederzufinden, die Covent Garden im Herzen Londons glich. Das bunte und laute Treiben im Hafen machte ihn neugierig. »Los, John! Vergiss die Kleine und komm mit! Bringen wir unsere Männer an Land. Anschließend werden wir uns gemeinsam ein wenig umsehen! Ich bin mir sicher, wir werden uns königlich amüsieren!« Das 33. Infanterieregiment war Teil einer Verstärkung, die in die Kolonie verschickt worden war, weil Großbritannien wieder blutig mit Frankreich rang. Während des Siebenjährigen Krieges hatte die Kontinentalmacht all ihre befestigten Häfen auf dem Subkontinent an die Briten verloren, und es war den Bourbonen und schließlich dem revolutionären Regime nicht gelungen, diese Stellungen zurückzuerobern. Lediglich die unbefestigten Häfen Pondicherry und Mahé waren der jungen Republik geblieben, obwohl sie auf den Schlachtfeldern Europas die große Koalition der alten Monarchien beständig demütigte. Zugleich wuchs das Interesse Frankreichs am Orient, und William Pitts Regierung erwartete Angriffe gegen die Straße nach Indien und gegen die Kolonie selbst.
»Unser Gepäck lassen wir vorerst an Bord«, entschied Wesley, als die klapprige Fähre neben der Argonaut an der Steuerbordseite festmachte.
»Gepäck? Welches Gepäck, Arthur?« murmelte John Sherbrooke ungehalten. »Den Inhalt der beiden großen Kisten hast du inzwischen gelesen, und den Sattel und das Zaumzeug kannst du dir über die Schulter werfen. Bei mir sieht es leider anders aus ...«
Der Kommandeur des 33. Regiments überhörte die Bemerkung seines Freundes und machte sich daran, die langen Beine über die Reling auf die oberste Sprosse einer Schiffsleiter zu befördern. Der märchenhafte Orient lag kaum zweihundert Meter von ihm entfernt auf der anderen Seite des Hoogley, und in Anbetracht des wunderbaren
Abenteuers, das ihn und sein Regiment bald erwartete, erschienen ihm Oberstleutnant Sherbrookes Argumente kleinkrämerisch und unerheblich. Er musste unbedingt seine frisch erworbenen Sprachkenntnisse ausprobieren und sich mit seinem künftigen Kriegsschauplatz vertraut machen.
Mit einer fordernden Geste streckte der schmierige Fährmann dem jungen Obersten seine Hand entgegen. Das Boot knarrte bedenklich unter dem zusätzlichen Gewicht des Passagiers. Arthur schenkte dem Knarren und Schaukeln keine Beachtung.
»Wieviel?« warf er dem Mann forsch entgegen. Als einzige Antwort verzog sich das Gesicht des Inders zu einer erstaunten Grimasse. Der junge Offizier versuchte es noch einmal. Jetzt antwortete man ihm in einem sonderbaren, kaum verständlichen Englisch. Irgendwo hatte Arthur gelesen, dass zehn Rupien ein Pfund Sterling ausmachten! »Gauner!« entfuhr es ihm auf Hindustani. Der Fährmann hatte acht Annas gefordert, um zwei Passagiere zweihundert Meter weit zu rudern. Acht Annas entsprachen elf englischen Pennies. Er stellte in diesem Augenblick erstaunt fest, dass seine intensiven Sprachstudien an Bord der Caroline und der Argonaut doch nicht vergebens gewesen waren, denn mit seinem empörten Aufschrei hatte der Gesichtsausdruck des Fährmanns sich gewandelt, und der Inder grinste den Iren freundlich an. »Sahib, ich wollte Euch nicht bestehlen. Ich dachte nur ... Gebt mir vier Annas für die Überfahrt. Dann hole ich auch Euer Gepäck von Bord und bringe es an Land.«
Angespornt durch seinen ersten Erfolg, mühte Arthur sich nun ab, dem Inder in ungelenkem Hindustani zu erläutern, dass sein Entschluss ein weiser wäre, während er gleichzeitig John Sherbrooke zu sich auf die Fähre winkte. Wie durch ein Wunder brachte das klapprige Boot beide Passagiere sicher bis zu den Kais von Kalkutta. Arthur drückte dem Fährmann sechs englische Pennies in die Hand, die dieser widerspruchslos und offenbar hochzufrieden akzeptierte. Zum Abschied wagte der Offizier dann noch einmal einen Versuch auf Hindustani: »Laß unser Gepäck auf dem Schiff und sag mir lieber, wo sich hier der >killdar< befindet.«
Lachend schüttelte der Fährmann den Kopf und antwortete in seinem gebrochenen Englisch: »Für den Stadtkommandanten habt Ihr morgen noch Zeit, Sahib. Aber der Hafenkommandant sitzt in dem großen weißen Gebäude direkt gegenüber.«
»Hast du dir diese verrückte Sprache etwa auf der Überfahrt angeeignet, Arthur?« erkundigte sich John Sherbrooke. In seiner Stimme lagen Bewunderung und Staunen.
»Ich hab’s zumindest versucht«, murmelte Wesley, während er sich seinen Weg durch die graubraune Masse ausgestreckter Bettlerhände bahnte. Es kostete den jungen Offizier einiges an Selbstbeherrschung, ernst dreinzuschauen und seine neugierigen Augen, die so gerne nach links und rechts schweifen wollten, um den wundersamen Ort genau zu betrachten, unter Kontrolle zu halten.
Irgendwo in seinen klugen Büchern hatte er gelesen, dass es üblich war, den Bettlern Almosen zuzustecken, denn die Inder glaubten, eine gute Tat im jetzigen Leben würde Glück bringen, und sie würden dann, im nächsten Leben, in eine höhere, bessere Klasse oder Kaste hineingeboren werden. Also steckte er immer wieder der einen oder anderen schmutzigen Hand einen englischen Farthing zu.
Hinter ihm machte Sir John Sherbrooke sich ganz dünn, um nicht mit diesen sonderbaren, übelriechenden Geschöpfen in Berührung zu kommen. Man hatte ihm von den schlimmsten, ansteckenden Krankheiten erzählt, und seine Versetzung nach Indien beunruhigte den wohlhabenden Sohn eines unermeßlich reichen schottischen Adeligen mehr, als er offen vor seinem Kommandeur zugeben wollte. Seine Augen fixierten den roten Uniformrock von Wesley, als ob er Angst hätte, sich in dem Menschengewirr und an diesem unbekannten, schrecklichen Ort zu verirren.
Geschickt und wendig wich Arthur Trägern mit schweren Lasten auf dem Kopf aus. Ab und an verscheuchte er mit einer lockeren Handbewegung Fliegen, die hier allgegenwärtig schienen und ohne Unterschied Arm und Reich, Briten und Inder plagten.
Das Gebäude, das der Lastschiffer vom Hoogley ihm beschrieben hatte, konnte er schon deutlich ausmachen. Wohltuend hoben sich europäische Ordnung und Sauberkeit von einer unförmigen, weiß gekalkten und bunt bemalten Ansammlung krummer und schiefer Häuschen ab, vor denen Händler ihre Waren auslegten, Schneider um Kunden warben oder Frauen in farbenfrohen, eng um den Körper geschlungenen Tüchern eine warme Mahlzeit anboten.
»Dem Himmel sei Dank!« entfuhr es John Sherbrooke, als die beiden Offiziere endlich im Büro des