Tauziehen am Myrtenkranz. Wilma Burk
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Mama behauptete allerdings: „Von diesen Mädchen solltest du dich fernhalten. Sie sind leichtfertig. Das sind keine Mädchen, die ein Mann heiraten möchte.“ Und Mama musste es ja wohl wissen.
*
Mamas Welt waren die Kinder, der Mann und das Heim. Noch immer gab es keine graue Strähne in ihrem dunklen Haar, obgleich sie Angst und Sorgen durch die Kriegsjahre nie losgelassen hatten. Schlimm war es für sie gewesen, als Papa Soldat wurde und sie am Ende des Krieges nicht wusste: Lebt er noch, ist er in Kriegsgefangenschaft? Da habe ich die kleine, sonst emsig im Haushalt werkelnde Person manchmal nachdenklich am Fenster stehen sehen. Was für ein Glück muss es für sie gewesen sein, als Papa schon kurz nach Ende des Krieges heimkehrte. Der Gefangenschaft entgangen hatte er sich selbst nach Hause durchgeschlagen, wie viele in jener ersten Zeit danach. So stand er eines Tages zerlumpt, mit stoppeligem Bart und hohlen Wangen vor der Tür. Ein leiser glücklicher Aufschrei von Mama und sie fielen sich in die Arme. Wie hielten sie sich umklammert! Wir umringten sie und weinten. Papa war wieder da. Sein Haar war grau und dünn geworden. Als er mich umarmte, spürte ich die Knochen seines hageren Körpers. Doch der vertraute Geruch nach Tabak umwehte ihn, auch wenn er sicher nur von fiesem Tabakabfall sein konnte, den er sich vielleicht „geschnorrt“ hatte.
Das war sicher Mamas schönster Tag gewesen, ihre Welt war wieder in Ordnung. Sie war glücklich, dass ihre kleine Familie gut über den Krieg gekommen war und noch immer ihr Zuhause hatte. Wenn dieses Zuhause auch Risse in den Wänden aufwies, wenn es sich auch in einem Haus befand, dessen Putz durch das Kriegsgeschehen nur noch teilweise das Mauerwerk verdeckte, dieses Haus stand. Davon gab es nicht mehr allzu viele nach Kriegsende. Oft glichen sie dem Haus uns gegenüber in der Straße, das ohne Leben war. Durch die leeren ausgebrannten Fensterhöhlen konnte die Sonne von innen nach außen scheinen und den Regen hinderte kein Dach hineinzuprasseln.
Über alles habe ich mit Mama reden können, aber über Konrad Haideck, den Fremden, nicht. Auch an jenem Abend, als ich von der Hamsterfahrt nach Hause kam, erwähnte ich ihn mit keinem Wort. Mama wurde schon ungeduldig. „Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, Mädel!“, beklagte sie sich. Da erst begann ich, ihr von dem überfüllten Zug zu berichten und all den Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben hatten. Natürlich behauptete ich, dass ich sie alle allein gemeistert hätte. Wenn sie wüsste! Ich war sicher, sie würde warnend ihre Stimme erheben, dass ich mich nicht hätte so auf den Fremden verlassen dürfen. Nein, besser war es, Mama erfuhr davon vorerst nichts.
An dem Abend meiner ersten Verabredung mit Konrad Haideck zu einem Kinobesuch, sagte ich betont unbefangen zu Mama: „Ich treffe mich mit meiner Freundin Brigitte. Wir gehen ins Kino.“
Mama wollte mich noch etwas fragen. Doch noch ehe sie das tun konnte, war ich zur Tür hinaus. Ich hatte es sehr eilig wegzukommen.
*
Wie konnte ich nur glauben, ich würde ihn nicht erkennen. Von Weitem wusste ich bereits, dieser Mann dort vor dem Kino, mit dem schmalen Gesicht, der sich gerade eine Haarsträhne aus der Stirn strich, das musste er sein. Mit dieser Geste tat das nur einer, der Fremde. Mit federnden Schritten kam er auf mich zu. Ich musste mich zurückhalten, um ihm nicht entgegenzurennen. Ein warmer Glanz lag in seinen Augen, als er meine Hand nahm, meinen Arm und mich zum Eingang des Kinos mit sich zog. So hatte mich noch nie jemand angesehen. Befangen versuchte ich seinem Blick auszuweichen. Doch die Sicherheit, die von ihm ausging, machte es mir leicht, ihm widerstandslos zu folgen.
Dieser Verabredung folgte bald die nächste. Wieder war Brigitte dabei meine Ausrede, wie auch bei allen weiteren Malen. Manchmal liefen wir nur durch die vom Laternenschein erleuchteten Straßen. Wir redeten und redeten miteinander.
Die Tage wurden länger, der Wind wurde wärmer und ein Duft nach Frühling lag in der Luft. Mal gingen wir ins Kino, mal spazieren. Bald ergriff er meine Hand dabei und hielt sie fest. Hand in Hand liefen wir so, als würden wir uns ewig kennen. Doch nie ließ ich mich von ihm bis vor unsere Haustür bringen. Stets verabschiedete ich mich ein Stück davor. Es hätte uns ja jemand sehen können. Sein Lächeln darüber wirkte amüsiert, ja, eine gewisse Überlegenheit lag darin. Mich machte das unsicher und nervös.
Wie froh aber war ich, dass wir nicht vor unserer Haustür standen, als er mich eines Abends zum Abschied behutsam bei den Schultern ergriff, an sich zog und sanft küsste. Liebevoll umfing er mich für einen Moment. Dann schob er mich von sich. „Tschüß, Katrina!“ Und er ging davon. Ratlos blieb ich zurück. Er drehte sich noch um und lachte sein vertrautes spitzbübisches Lachen. Das also war unser erster Kuss. Was bedeutete das? Liebt er mich? Warum sagte er es mir dann nicht?
Als ich an diesem Abend nach Hause kam und Mama mich ansah, wurde ich rot. Ich bemerkte wohl, wie sie mich daraufhin erstaunt musterte- Doch sie sagte nichts und ich auch nicht.
2. Kapitel
Wenn ich jetzt morgens erwachte, galt mein erster Gedanke Konrad. Verträumt stand ich auf und stellte mich erst gedankenverloren an das Fenster meines Zimmers. Ich sah Menschen die Straße entlangeilen und sah sie doch nicht. Ich bemerkte auch nicht das aufbrechende Grün der Straßenbäume oder hörte das Lärmen der Spatzen. Nicht einmal das mächtige Dröhnen der Flugzeugmotoren vom nahe gelegenen Flugplatz Tempelhof konnte mich aus meinen Träumen reißen.
Meinem Bruder Bruno allerdings gelang es oft genug, mich früher aus dem Schlaf zu holen als nötig. Er verstand es, nebenan im Badezimmer wahre Arien zu gurgeln. Dazu überflutete er noch plätschernd den Boden und wenn das nicht reichte, klopfte er an die Wand. Er konnte es sich nicht versagen, mich morgens um sechs Uhr zu wecken, obgleich er wusste, ich brauchte erst eine Stunde später aufzustehen. Damit es ihm auch wirklich gelang, rief er noch durch die beiden Risse in der Wand zu meinem Zimmer, die bei einem Luftangriff auf die Stadt im Krieg entstanden waren: „Katrinchen, aufstehen!“
Wütend warf ich dann meine Pantoffeln gegen die Wand. Ich konnte es nicht ausstehen, Katrinchen gerufen zu werden. Er wusste es genau. Ich fand den Namen bäuerisch und völlig unpassend für mich. Ich war zierlich und nicht rund, hatte keinen Zopf oder Dutt, sondern schönes gewelltes blondes Haar.
Auch am Morgen jenes Tages, der entscheidend für mein ganzes Leben werden sollte, weckte mich Bruno auf seine Art. Polternd - wie üblich - verließ er das Bad. Er konnte es sich nicht versagen, noch vom Flur aus an meine Tür zu klopfen. Doch da stand Mama gleich in der Küchentür.
„Psst! Mach nicht solchen Lärm, Junge! Du weckst mir Traudel auf“, ermahnte sie ihn mit verhaltener Stimme.
Bruno brummte unwillig und schlurfte in die Küche. Ganz schön neidisch war er auf Traudel, unsere jüngere Schwester, die länger schlafen konnte.
Doch Traudel, das Küken, zwölf Jahre alt mit Stupsnase und roten dicken Zöpfen, konnte so leicht nichts wecken. Da hatte er bei mir mehr Erfolg. Das machte mich manchmal wütend. Doch konnte man diesem Schlaks von siebzehn Jahren mit dem dunkelblonden Wuschelkopf überhaupt böse sein?
Ich hörte Bruno in der Küche noch sagen: „So gut wie Traudel möchte ich es auch haben. Wie gut, wenn man zur Schule geht.“
Auch Bruno könnte noch zur Schule gehen. Papa hätte es gern gesehen, wenn er sein Abitur gemacht und dann studiert hätte. Er war doch der Sohn der Familie - und ein Sohn musste wenigstens einen gleichwertigen Beruf wie