Project Mercury. Hans Müncheberg
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Wenige Tage, bevor er wieder abreiste, gestand Scott dem Freund, er hätte sich in Miss Betty Wilkins sterblich verliebt. Scotts begeisterte Schilderung des Mädchens hatte Gilbert erschreckt. Er mochte Betty auch gut leiden. Allerdings ahnte er damals noch nicht, dass sie immer nur dann zu Partys ging, wenn sie wusste, dass auch Gilbert da war. Das hatte er erst später erfahren, als Betty Wilkins schon Mrs. Sharper war. Auf eine solche Party hatte er einst seinen Freund, den vielfach dekorierten Jagdflieger Scott Sharper, mitgenommen. Kein Wunder, dass die junge Betty Wilkins auf einen Flirt mit dem schneidigen Piloten einging. Gilbert hatte das Mädchen zwar immer höflich, aber nie besonders herzlich behandelt, denn meist waren seine Gedanken auch auf den Partys bei irgendwelchen technischen Problemen. Man kannte das schon an ihm. Er hatte sich also selber zuzuschreiben, was dann geschah.
Der langgestreckte Leib der DC-8 neigte sich der Erde zu. Ein leichter Druck legte sich auf die Trommelfelle der Ohren. Der Zeiger des Höhenmessers an der vorderen Kabinenwand wanderte langsam, aber stetig dem Nullpunkt zu. Gilbert sah hinaus. Wolkenfetzen huschten am Fenster vorbei. Plötzlich tauchte Fort Worth auf. Gilbert konnte sich nicht verhehlen, dass ihn diese Stadt nicht besonders reizte. Er war felsenfest davon überzeugt, in Langley, am Ziel seiner Reise, würde es anders sein.
Langley war eine mittelgroße Stadt im Bundesstaat Virginia. Hier lag das Trainingscamp für Amerikas erste Raumpiloten.
Am Rande der Stadt, auf dem Gelände eines ehemaligen Militärflugplatzes, befanden sich die verschiedenartigsten Anlagen. Einem Uneingeweihten wäre es nahezu unmöglich gewesen, die Bedeutung und den Zweck all der Bauten zu erkennen. So spezialisiert ist der Ausbildungsweg eines Astronauten.
Während Dr. Lawrence Gilbert, den Flugplatz von Langley verließ und in ein Taxi stieg, hatte das Camp schon anderen, hohen Besuch. Eine Gruppe Air-Force-Offiziere, darunter auch der Stützpunktkommandant von Cape Canaveral, war zu Gast bei der NASA in Langley. Besonders General Kingsberry zeigte sich sehr interessiert, als die Militärs vom wissenschaftlichen Ausbildungsleiter des Camps, Mr. Harcroft, durch das Gelände geführt wurden.
"Nach welchen Gesichtspunkten sind denn eigentlich die zukünftigen Astronauten ausgewählt worden?" wollte er wissen.
"Es waren im Wesentlichen fünf Bedingungen, die jeder Kandidat erfüllen musste: eine ausgezeichnete gesundheitliche Kondition, gute Nerven und seelische Ausgeglichenheit, reiche Flugerfahrung als Pilot im Überschallbereich, gute Allgemeinbildung und einige Spezialkenntnisse mit mindestens dem untersten akademischen Grad, schließlich die freiwillige Meldung zu diesem Beruf."
Ein Drei-Sterne-General bemerkte skeptisch: "Sie wollen doch nicht etwa behaupten, Astronaut wäre ein Beruf?"
Harcroft wandte sich dem General zu. "Doch! Wenn auch alle sieben Männer, die wir hier ausbilden, von den Streitkräften kommen, so sind sie doch nicht abkommandiert und damit gleichsam auf Sonderposten. Sie sind bei uns angestellt und erhalten hier die für ihren Beruf notwendige Spezialausbildung. Dass es erst sieben Männer sind, ändert gar nichts daran. Eines Tages wird der Beruf des Astronauten so selbstverständlich sein wie heute der des Piloten."
"Dann würde ich diese erste Gruppe hier mit Testpiloten vergleichen." Lester Kingsberry hatte mit dieser Bemerkung durchaus Recht. Auch Harcroft bestätigte das.
Die Gäste hatten bereits die meisten Abteilungen gesehen: die Temperaturkammer, in der die Piloten extremer Hitze und Kälte ausgesetzt werden konnten, den Unterdruckraum, der die Luftleere und damit die Drucklosigkeit des Weltraums nachahmte, die Isolierkammer, in der die Raumpiloten oft viele Tage zubrachten, völlig abgeschnitten von jeder Verbindung, jedem Kontakt, jedem Licht und Geräusch der Außenwelt, ohne zu wissen, wann man sie aus der Abgeschlossenheit befreite. Auch den Vibrationsstuhl hatte man besichtigt. Auf ihm übten die künftigen Raumfahrer, sich an die Erschütterungen während des Raketenstarts und des Fluges zu gewöhnen. Es gab den Schwerelosigkeitssimulator, eine komplizierte Apparatur. Sie war so konstruiert, dass jede Bewegung des Astronauten eine entsprechende Gegenbewegung des Gerätes auslöste. Eine beliebige Lageveränderung des Körpers bewirkte eine genau entgegengesetzte Reaktion des Gerätes. So konnte geübt werden, wie später einmal, im Ernstfall, die Raumkapsel gesteuert werden musste. Das Flugprogramm sah vor, dass der Astronaut die Lage seiner Pilotenkabine selbst zu stabilisieren und auch vor dem Wiedereintauchen in die Atmosphäre eine Kehrtwendung um hundertachtzig Grad zu vollführen hatte.
Nun standen alle am Rande des großen Schwimmbeckens. "Unser Spezialbassin ist so eingerichtet, dass ein Mensch mit einer normalen Tauchsportausrüstung in ungefähr zwei Meter Tiere schweben kann. Es herrscht dort ein vollkommener Druckausgleich. Wenn er nun die Taucherbrille völlig abdunkelt, dann ist ihm jede übliche Möglichkeit zur Raumorientierung genommen. Wir hatten bei den Auswahlprüfungen unter den vielen Bewerbern einige, die hier im Bassin kapitulierten. Sie gerieten urplötzlich in einen panikartigen Zustand, weil es ihnen nicht mehr gelang, die Wasseroberfläche ausfindig zu machen. Sie glaubten verloren zu sein. Wir mussten den Versuch dann sofort abbrechen."
Es war ein interessanter Anblick, hier einige der künftigen Raumfahrer zu beobachten. Sie schwebten wirklich in allen nur möglichen Lagen einige Meter unter der Wasseroberfläche. Jede Schwimmbewegung, die mit etwas Kraft ausgeführt wurde, hatte eine vollständige Orts- und Lageveränderung zur Folge.
Der Ausbildungsleiter dieser Abteilung ließ die Männer auf einen Wink Harcrofts planmäßige Übungen ausführen, die den hohen Grad an Körperbeherrschung und Orientierungsfähigkeit zeigten.
Kurz nach vierzehn Uhr traf Dr. Gilbert im Trainingscamp der NASA ein. Der Direktor dieser Astronautenschule, Mr. Harry Gamble, hatte ihn erwartet. Gamble war von Webster über Dr. Gilberts Besuch informiert worden.
Bei der herzlichen Begrüßung erklärte Gamble, das Camp habe schon hohen Besuch, aber seiner Meinung nach sei Dr. Gilberts Besuch der wertvollere.
Gilbert protestierte. "Urteilen Sie nicht vorschnell. Ich halte mich viel eher für einen wissbegierigen Außenseiter."
"Mister Webster hat uns angedeutet, dass wir dafür zu sorgen hätten, aus Ihnen einen NASA-Matador zu machen", entgegnete Gamble.
So war das Eis gebrochen. Die Männer einigten sich über das Programm der nächsten Stunden. Gamble schlug vor, erst die Außenanlagen zu besichtigen, da dort zur Zeit noch einige interessante Übungen zu beobachten wären, und anschließend zu Dr. Ward, dem Chefarzt, zu gehen. Sie fuhren in einem offenen Wagen quer durch das Gelände. Bald lagen die großen Gebäudekomplexe hinter ihnen. Der Fahrer, ein munterer Bursche, steuerte auf einen bunkerartigen Bau zu. Gilbert erkannte, dass neben dem niedrigen Zementwürfel eine kilometerlange schnurgerade Gleitbahn begann. Darauf stand ein eigenartiges Gefährt, einer Pilotenkanzel ähnelnd, die auf Schlittenkufen montiert wurde. Hinter der Kanzel waren ganze Bündel von Feststoffraketen angebracht.
Gruppen von Technikern arbeiteten an dem Apparat. Eine Sirene