Der Verachtete. Marieke Hinterding

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Der Verachtete - Marieke Hinterding

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marschierte nun den breiten Hauptgang entlang, bis er vom Lager endlich in die angrenzende Produktionshalle kam. Dort sah er dann die ersten Arbeiterinnen, die dort mit flinken Fingern Platinen mit IC‘s und Widerständen bestückten und die die Lötrahmen mit den Platinen anschließend auf eine Lötstraße setzten. Dort waren sie einem Lötzinnbad ausgesetzt und jedes Mal, wenn am anderen Ende die Prozedur beendet war, qualmte es gewaltig aus der Maschine in den Raum. Ein beißender Dampf aus Flussmittel und verschweltem Plastik schlug Udo entgegen. Als Udo an der Lötstraße vorbeiging packte ihn ein starker Hustenreiz. Er nahm das Getränk aus seiner Tasche, das er als Proviant mitgenommen hatte und betäubte den Reiz.

      Es war bereits 6 Uhr 15, als er das Büro des Meisters endlich gefunden hatte. Es war leer und Udo wusste nicht, ob er besser warten sollte, bis sein zukünftiger Vorgesetzter endlich kam, oder ob er jemanden ansprechen sollte. Nervös nestelte er an seiner Jacke und dabei fiel ihm sein Tabak aus der Tasche. Er schaute wieder auf die Uhr.

      6 Uhr 20, der Meister kam nicht. Udo entdeckte gleich neben dem Büro den Aufenthaltsraum. Dort würde er warten, überlegte er. Man konnte ja vom Pausenraum aus ganz prima das Büro einsehen, beide Räumlichkeiten waren nur durch eine Glaswand voneinander getrennt.

      Udo saß im Aufenthaltsraum und hatte gerade noch Zeit für eine Zigarette, als er einen Mann in blauem Kittel das Büro betreten sah. Das war er! Udo erhob sich sofort und klopfte an. „Guten Morgen“, sagte Udo. „Ich bin Udo S., von der Zeitarbeitsfirma T. Aus Neuss.“

      „Die Arbeitszeit beginnt um 6 Uhr! „antwortete der Mann, „nicht um halb sieben! Das war ihnen doch sicher bekannt!“

      Udo zog den Kopf ein. „Ich war um 6 Uhr 15 hier“, protestierte er schwach. „Damit wir uns richtig verstehen: Die Arbeitszeit fängt auch nicht um 6 Uhr 15 an, sondern um 6 Uhr!“

      Udo war betroffen. Morgen wollte er einen Zug früher nehmen, auch wenn er deshalb um 3 Uhr aufstehen musste!

      „Hier ist ein Kittel“, sagte der Meister. „Dürfte Ihre Größe sein!“ Er drückte Udo den Kittel in die Hand und forderte ihn auf, mitzukommen. Ihr Ziel war ein Arbeitsplatz zwischen zwei Frauen am Ende der Lötstraße. „Das ist unsere Frau Schulz“, deutete er auf die Ältere von beiden. „Sie wird Sie einweisen. Und morgen bitte pünktlich!“ Der Meister rauschte davon.-

      „Setzen Sie sich hierhin“, sagte Frau Schulz und deutete auf einen leeren Stuhl. Rasch holte sie jetzt eine schon fast fertig bestückte Platine, nahm eines der IC‘s, die auf dem Tisch lagen in die Hand und platzierte es zwischen einigen Widerständen, nahm den Lötkolben und lötete das IC daran fest. „So geht`s. Die IC´s immer zwischen diese beiden Widerstände. Auf der Lötstraße stehen gerade ein paar fehlerhafte Platinen. Holen Sie sich die, machen Sie die fertig und setzen sie die dann auf das andere Band. Hier wird übrigens mit Tempo gearbeitet.“ Frau Schulz setzte sich wieder auf ihren Platz und fing an, überflüssige, zu dicke Lötzinnkleckse auf der vor ihr liegenden Platine zu entfernen.

      Udo stand auf und holte sich ein paar Platinen von der Lötstraße. Vorsichtig nahm er ein IC in die Hand und versuchte mit den Augen die Lücke zu finden, zwischen die es gelötet werden sollte. Allein das dauerte fast fünf Minuten und Udo hatte vor lauter Nervosität bereits einen Kloß im Hals, bis er endlich den Platz für das Bauteil gefunden hatte. Vorsichtig wollte Udo es auf die Platine stecken, dabei brach ein Beinchen. Das IC war kaputt.

      „Frau Schulz“, sagte Udo. „Das Teil ist kaputt.“ Frau Schulz sprang auf.

      „Was machen Sie denn da?“, fragte sie unfreundlich und Udo hatte, wie schon so oft in seinem Leben, das Gefühl, ein Idiot zu sein. „So steckt man das Teil rein!“ Im Bruchteil von Sekunden hatte sie ein neues Elektronikteil auf die Platine gesetzt, verlötet und anschließend zur Weitergabe auf das leere Fließband gebracht Udo nahm die nächste Platine, suchte einige Zeit nach dem

      Bestimmungsort fürs IC und fummelte dann sehr lange und umständlich das IC zwischen die Widerstände. Dann warf er nochmal einen heimlichen Blick auf Frau Schulz Löttechnik, um sicher zu gehen, dass er nichts falsch machte. Schließlich fasste er sich ein Herz und verlötete die Teile miteinander. Dann brachte er die Platine auf das leere Fließband. Drei Stunden später hatte Udo gerade mal zwanzig Platinen bearbeitet und jedes Mal dann, wenn er zu Frau Schulz herübersah, trafen ihn ihre Blicke und er sah sie mit ihrer Kollegin tuscheln.-

      Endlich, um 9 Uhr 45 klingelte der Werksgong zur Frühstückspause.

      Udo wusste um seine schlechte Leistung und peinlich berührt und beschämt suchte er -wie die anderen Arbeiter - den Pausenraum auf. Er setzte sich an einen Tisch und holte seinen Tabak hervor. Über den Umstand, dass sich niemand zu ihm setzte, war Udo eigentlich ganz froh; er hätte niemandem in die Augen sehen können. Zu stark war das Gefühl des Versagens.

      Udo sah zu Frau Schulz hinüber. Gott sei Dank, er schien hier wohl kein Gesprächsthema zu sein, denn sie und ihre Kolleginnen würdigten ihn nicht eines Blickes. Udo rauchte in der viertelstündigen Pause vier Zigaretten, dann ertönte erneut der Gong und alle begaben sich auf ihre Plätze.

      Kaum hatte Udo seine Arbeit wieder aufgenommen, sah er den Meister, der zielstrebig und mit hochrotem Kopf auf ihn zutrat. Udo erschrak, die Blicke der Kollegen lagen nun auf ihm und er fühlte sich, als hätte man soeben einen großen schweren Felsen auf seinen Brustkorb gelegt.

      „Herr S!“ schrie der Meister. „Sie haben die IC‘s falsch herum eingelötet! Wissen Sie eigentlich, wieviel Produktionsausfall das wegen der aufwendigen Fehlersuche bedeutet? Ab jetzt arbeiten Sie den Frauen nur noch zu!“

      Udo war schockiert, denn er wusste bis zu diesem Augenblick nicht, dass man IC‘s auch falsch herum einlöten konnte. Hatte er bei Frau Schulz nicht richtig zugesehen? Obwohl er nicht wusste, was genau er falsch gemacht hatte bei der Bestückung, senkte er den Kopf und schwieg...

      Der Meister stellte Udo nun direkt ans Ende der Lötstraße und Udo hatte nun die Aufgabe, die frisch aus dem Lötzinnbad kommenden Platinen vom Lötrahmen zu befreien und sie den Frauen herüber zu reichen.

      Schon nach einer Viertelstunde aber legte sich ein beklemmendes Gefühl auf seine Brust, so als hätte sich zu viel auf einmal von dem beißenden Qualm , dem er jetzt ununterbrochen ausgesetzt war, auf seine Lungen gesetzt. Gleichzeitig fing er zu husten an - schlimmer als er es je zuvor getan hatte. Trotzdem verharrte er auf seinem Arbeitsplatz, solange bis es nicht mehr ging...

      Er musste etwas zu trinken haben, überlegte er: Das würde den Hustenreiz lindern! Aber seine von zuhause mitgebrachte Wasserflasche war leer....

      Die Toilette! Er würde seine Flasche auf der Toilette nachfüllen! Udo unterbrach seine Arbeit, nahm die Flasche und fragte eine der Frauen nach dem stillen Örtchen. Dann rannte er schnurstracks auf das WC und verschnaufte erst einmal sitzend auf dem geschlossenen Toilettendeckel. Der Hustenreiz hatte schlagartig nachgelassen! Udos Augen brannten vor Anstrengung und Müdigkeit und unterschwellig nahm er den Geruch von Lötzinn wahr. Kleidung und Hände waren mit dem Gestank der Metalllegierung behaftet. Udo war verzweifelt:

      Erst versagte er beim Einlöten der IC‘s und nun schlug der Husten wieder zu! Hätte er nicht so viel geraucht, dachte er, wäre der Qualm sicher besser auszuhalten gewesen! Jetzt würde seine Gesundheit gleich doppelt geschädigt und Schuld war er ganz allein selbst! Udo stand auf und füllte seine leere Plastikflasche nun bis zum Rand voll mit Wasser, dann lief er zurück auf seinen Platz am Ende der Lötstraße... -

      Immer und immer wieder wurde an diesem Tag seine Arbeit vom Husten unterbrochen, aber niemand der Betriebsangehörigen kam auf die Idee, ihn für einige Zeit abzulösen oder gar: nach Hause zu

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