Virus. Kristian Isringhaus

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Virus - Kristian Isringhaus

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Wegmann sagte mir, er habe Ihnen den Schein gegeben?”

      Es wirkte. Debbie hatte Mühe, sich ein Lachen zu verkneifen, als der Polizist mit den Worten „Wegmann schickt Sie?” in seine Jackentasche griff und den Leichenschauschein hervor holte. Offenbar arbeitete sein Gehirn genau die Prozesse ab, die Debbie vorausgesagt hatte. Woher sollte sie wissen, dass er das Dokument hatte, und woher sollte sie wissen, dass er es von Wegmann hatte, wenn nicht ebendieser sie wirklich geschickt hatte? Manchmal war eine starke Behauptung leider eben doch besser als ein schwacher Beweis.

      Debbie nahm das Dokument entgegen und hielt Ausschau nach einem Ort, wo sie unauffällig einen Blick darauf werfen konnte. Nach wie vor wimmelte es von hektisch umher rennenden Menschen. Hier war man nirgendwo für sich.

      Oder doch? Vielleicht sogar überall? Sie war zwar unter Hunderten von Menschen, aber alle waren so beschäftigt, dass niemand ihr auch nur die geringste Beachtung schenken würde. Es war perfekt. Inmitten dieses Chaos’ war der wohl ungestörteste Ort von ganz Petersdamm.

      Sie überflog die Zeilen. Auf der letzten Seite schließlich las sie etwas, das ihre Knie erneut weich werden ließ: Bei der Wahl zwischen dem natürlichen und dem nicht-natürlichen Tod war Ersteres angekreuzt. Als angenommene Todesursache wurde Herzversagen angegeben.

      Sie schloss ihre Augen und öffnete sie erneut, doch auf dem Schein stand immer noch das Gleiche. Selbstverständlich würde es keinem Herzen guttun, wenn abertausend Volt hindurch strömten. Aber das einen natürlichen Tod zu nennen, glich einer Farce. Wie konnte ein Arzt das verantworten?

      Doch Debbie konnte es sich denken. Sie hatte vor einigen Jahren in einer Zeitschrift einen Artikel über die Methoden der Polizei gelesen, Mordermittlungen zu umgehen, wenn die Ermittler nach ihrem ersten und zumeist oberflächlichen Ermessen der Meinung waren, es handele sich nicht um ein Tötungsdelikt.

      Sie erinnerte sich, wie Wegmann auf den Notarzt eingeredet hatte, und plötzlich ergab alles einen Sinn. Die Frage, ob der Kommissar dumm oder einfach nur faul war, hatte Klärung erfahren. Er war mitnichten dumm. Ganz im Gegenteil. Exakt kalkulierend hatte er genau die Maßnahme ergriffen, die ihm die Ermittlungen in einem Tötungsdelikt ersparte.

      Es würde also keine Autopsie geben. Die einzige Chance, an Hinweise zu gelangen, war zunichte gemacht, Debbies einzige Hoffnung begraben.

      Auf wackeligen Beinen schleppte sie sich zur Bühne und setzte sich vor ihr auf den Boden, das Podium im Rücken, das Chaos vor Augen. Die Luft war gefüllt von Flüchen, Befehlen, Menschen, Bewegungen, Schweißgeruch, Anspannung, Schmerzen und Angst – doch von all dem nahm sie nichts wahr. Mit leerem Blick starrte sie vor sich hin.

      Erneut spielte sich vor ihrem inneren Auge die schreckliche Szene des Nachmittags ab. Der im Blitz gefangene, fürchterlich zitternde Professor, der brennende Schriftzug hinter ihm, der schreckliche Ton über allem.

      Die Polizei wollte ihr nicht helfen, sie selbst hatte keine Spur. Und auch keine Hoffnung. Eine traurige Gewissheit machte sich in ihr breit: Der Mörder des Professors würde nicht für seine Tat zur Rechenschaft gezogen werden.

       9.

      Die frische Luft und der Regen im Gesicht fühlten sich gut an. Holger war froh, dem stickigen Mief des Kongresszentrums, dem nervenaufreibenden Chaos darin und besonders natürlich der hysterischen, wild spekulierenden Amerikanerin entkommen zu sein. Waren eigentlich alle Amerikaner Verschwörungstheoretiker? Er wusste es nicht und es war ihm auch egal.

      Er verließ den eingezäunten Sicherheitsbereich durch die schwer bewachte Durchfahrt. In Momenten wie diesen hätte der Zaun fast nerven können. Immerhin regnete es und die Ausgangskontrolle wirkte überflüssig und überzogen gründlich wie immer. Schließlich wollte er raus und nicht rein. Noch mehr hätten die Eingangskontrollen nerven können, denn sie waren stets zeitaufwändig und mit einer gründlichen Leibesvisitation verbunden. Das alles hätte nerven können. Wenn es Holger nicht schlichtweg egal gewesen wäre.

      War er zynisch? Vielleicht. Es war ihm egal.

      Er hatte es nicht weit. Nur ein etwa sechshundert Meter breiter Streifen aus kleinen Wäldchen und wilden Wiesen trennte den eingezäunten Bereich vom Dorf. Holger fragte sich, ob dies eine schöne Gegend war. Möglich. Wahrscheinlich. Ziemlich sicher sogar, denn früher hatte er sie als schön empfunden. Besonders um diese Jahreszeit. Die Bäume hatten bereits vor Wochen auszuschlagen begonnen und standen in leuchtend hellem Grün. Die Wiesen wurden bereits von vereinzelten Frühlingsblumen geschmückt. Im Sommer glichen sie einem einzigen Blütenmeer. Hinzu kam die Brandung, die als sanftes Rauschen bis hierher zu hören war, und eine ebenso stilvolle wie angemessene akustische Untermalung bot. Selbst grauen und verregneten Tagen wie heute hatte Holger etwas Positives abgewinnen können und sich am frischen, leicht erdigen Geruch der reingewaschenen Luft erfreut. Früher. Doch heute konnte er nicht mehr sagen, ob die Gegend schön war oder nicht, denn es interessierte ihn schlichtweg nicht. Es war ihm egal. Wie fast alles.

      Jetzt standen die Wiesen sowieso voll mit den Zelten der Globalisierungsgegner. Ungepflegte Kreaturen, die hier eine Woche auszuharren planten – wahrscheinlich ohne zu duschen. Holger hasste diese Zecken und das war ihm nicht egal. Ganz im Gegenteil bedeutete ihm dieses Gefühl sogar eine ganze Menge. Er zog seinen Schritt an.

      Hinter sich hörte er plötzlich Schreie, Rennen, Splittern, Krachen. Irgendein Aufruhr, wahrscheinlich Autonome. Eine plötzliche rasende Wut verbunden mit brennendem Hass kochte in Holger hoch. Er merkte, wie er unwillkürlich die Hände in seinen Taschen zu Fäusten ballte. Mit jedem Schritt versuchten seine Füße, der Erde unter ihm, dieser beschissenen Welt, einen Tritt zu verpassen.

      Er versuchte sich einzureden, dass ihn diese Wahnsinnigen nicht interessierten. Autosuggestion. Sie sollten ihm egal sein. Nicht einmal Debbies Schicksal hatte ihn interessiert, obwohl er in ihrem Fall von Berufswegen dazu verpflichtet gewesen wäre. Warum konnte er eine solche Gleichgültigkeit nicht auch den Globalisierungsgegnern gegenüber entwickeln? Er wusste die Antwort und er wusste auch, dass sich daran niemals etwas ändern würde.

      Ein Tross von Mannschaftsbussen der Polizei schoss mit mörderischer Geschwindigkeit an Holger vorbei und nur mit Not konnte er von einer Pfütze aufspritzendem Wasser ausweichen. Laut fluchend ging er weiter.

      Als Holger den Dorfkern erreichte, war seine Wut nahezu abgeklungen, und die Gleichgültigkeit, die seit zwei Jahren sein Leben bestimmte, zurückgekehrt. Er überquerte den Marktplatz mit dem schönen, bronzenen Springbrunnen aus dem 18. Jahrhundert in seiner Mitte und steuerte direkt auf den ‚Dorfkrug’ zu.

      Auf der dem ‚Dorfkrug’ gegenüberliegenden Seite des Platzes lag die andere Kneipe des Dorfes, die ‚Kleine Taverne’. Holger mochte sie nicht, denn sie war stets gut besucht. Bei Hagen konnte er sich sicher sein, auf nicht allzu viele Menschen zu treffen – nicht selten hatte er sogar das Glück, der einzige Gast zu sein.

      Er hatte nur noch wenige Meter bis zum ‚Dorfkrug’ zu gehen, als er stehen blieb. Ein plötzlicher Gedanke hatte sich in ihm manifestiert und bedurfte einer kurzen Reflektion, denn er stand vor dem kleinen Internetcafé des Dorfes. Debbies Worte schossen ihm erneut durch den Kopf: Finden Sie heraus, wie lange ein Blitz dauert. Diverse Pros und Kontras galt es gegeneinander abzuwägen.

      Einerseits würde es ihn wahrscheinlich weniger als fünf Minuten kosten, an die gewünschten Informationen zu gelangen. Zudem glaubte Holger, dass die Antwort objektiv betrachtet vielleicht interessant sein könnte. Nur weil sie ihn nicht interessierte, musste das nicht bedeuten, dass sie auch für den Normalbürger jeglicher Spannung entbehren musste – schließlich gab es nichts oder nur sehr wenig, was ihn interessierte.

      Andererseits

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