Virus. Kristian Isringhaus

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Virus - Kristian Isringhaus

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wurde der Gesamteindruck vom allgegenwärtigen Geruch nach fischigem Frittierfett. Es mochte ein wenig billig riechen und was Hagen aus der Fritteuse herausholte, eignete sich todsicher nicht zu Diätzwecken, doch seine Variationen von frittiertem Fisch waren schlichtweg köstlich.

      Holger hatte nie verstehen können, warum die Kneipe in letzter Zeit so schlecht besucht war, aber im Prinzip war ihm der Grund auch egal. Er war einfach froh, dass es sich so verhielt, denn so gab es wenigstens noch einen Ort außerhalb seiner eigenen vier Wände, an dem er sich aufhalten und Bier trinken konnte, ohne unter Menschen zu sein.

      Hagen hatte Holger nur sein Bier hingestellt und sich dann wieder auf den Fernseher in einer Ecke des Raums konzentriert. Es lief ein Bericht über Ausschreitungen von Globalisierungsgegnern beim G8-Gipfel. Holger hingegen weigerte sich, seinen Stuhl zum Fernseher zu drehen. Er starrte gedankenverloren Hagen an. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm und so wenig Holger sich auch für andere Menschen interessierte, wurde er in diesem speziellen Fall das Gefühl nicht los, Hagens seltsames Verhalten könnte in irgendeiner Weise sogar ihn betreffen.

      Hagen Petzold war Anfang sechzig und hatte außer dieser Kneipe nichts im Leben. Aber auch als es noch etwas außer dem ‚Dorfkrug’ gegeben hatte, war dieser stets sein Lebensmittelpunkt gewesen. Aus eben diesem Grund hatte seine Frau ihn damals auch verlassen, und seitdem gab es wirklich nur noch die Kneipe für ihn.

      Hagen war spindeldürr und hatte langes, fast vollständig ergrautes Haar bis in den Rücken, das er sich meist zu einem Pferdeschwanz band. Nur noch stellenweise konnte man das Dunkelblond erahnen, dass einmal seine Haarfarbe gewesen sein musste. Dazu trug er eine Brille mit schmalem Rahmen und kreisrunden Gläsern. Holger hatte manchmal die Vermutung, Hagen sei vielleicht selbst sein bester Kunde. Er hatte schon von vielen Alkoholikern gehört, die dünn waren. Häufig ersetzte Bier ihnen komplett die Nahrung, zudem kurbelte der Alkohol den Stoffwechsel an.

      Wenn man Hagen Petzold als Hippie bezeichnete, konnte man kaum falsch liegen. Obwohl seine Vorliebe für freundlich-helle, gebatikte T-Shirts etwas zu klischeehaft wirkte, wusste Holger doch, dass Hagen in den Studentenbewegungen der 60er Jahre in der Tat aktiv gewesen war. Er war ein lässiger Typ, cool, unbekümmert. Ey, Peace, Mann.

      Fröhlich hingegen war Hagen Petzold selten. Seine ernsten, von Sorgenfalten zerfurchten Gesichtszüge zeigten, dass seine Kleidung und sein Äußeres nicht sein Seelenwohl widerspiegelten. Er sprach stets mit sanfter, freundlicher Stimme, aber er sprach nur selten. Er lächelte stets freundlich zur Begrüßung, wenn jemand die Kneipe betrat, doch er lächelte nicht mit seinen Augen.

      Hagen musste Sorgen haben, soviel war sicher, und wenn man sah, wie wenig Umsatz er machte, konnte man sich deren Ursprung leicht vorstellen. Holger wusste, dass der ‚Dorfkrug’ in finanziellen Schwierigkeiten steckte und dass Hagen Druck von seiner Bank bekam. Die Kneipe hatte Jahrzehnte lang seinen Lebensmittelpunkt dargestellt, seine Ehe zerstört und würde ihn nun in den Abgrund ziehen.

      Gerade deshalb, weil es eben so gar nicht zu ihm passte, besorgte Hagens seltsame, fast heitere Stimmung Holger – speziell angesichts der erschreckenden Nachrichten, die er im Fernsehen verfolgte. Gutes konnte das kaum bedeuten, zumindest nicht für ihn. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder hatte Hagen den ‚Dorfkrug’ verkauft und genoss zum ersten Mal seit Urzeiten ein Gefühl von Freiheit, oder er hatte einen Rettungsplan ausgearbeitet, der natürlich nur beinhalten konnte, dass mehr Kunden kommen würden. So oder so würde Holger seinen Zufluchtsort verlieren. Eine klassische lose-lose Situation.

      Schließlich hielt er es nicht länger aus.

      „Du wirkst verändert, Hagen. Wieso?” Er hatte sich seit zwei Jahren nicht für das Befinden eines anderen Menschen interessiert und er tat es auch jetzt nicht. Einzig dieses seltsame Gefühl, Hagens Verhalten könnte auch ihn betreffen, trieb ihn zu seiner Frage.

      „Nichts. Alles bestens.”

      „Eben das motiviert mein Fragen.”

      „Wieso?”

      „Es muss dir schlecht gehen.” Durch Holgers gleichgültiges Leiern litt die Betonung und es war nicht klar zu erkennen, dass er mit dem Verb ‚muss’ einen logischen Schluss meinte, und nicht etwa ein eigenes Begehren, ein Sollen. „Dir geht es immer schlecht. Daraus, das sollte dir bewusst sein, resultiert unsere kontralaterale Affinität. Dein Geschäft wirft keinen Ertrag ab. Es hat dir nicht gut zu gehen. Es existiert kein Grund für Wohlbefinden.”

      „Es wird sich hier Einiges ändern, Holger. Ich habe eine neue Zielgruppe. Bald werde ich mich vor Gästen kaum noch retten können.”

      Holger fühlte, wie ihm das Herz in den Schoß rutschte. Seine kleine heile Welt aus von Selbstmitleid genährter Gleichgültigkeit funktionierte nur in einer ungestörten Atmosphäre. Lose-lose. Er hatte verloren.

      „Welch degenerierter Materialist aus dir geworden ist”, leierte er, Gleichgültigkeit nur mit Mühe vortäuschend. „Aber was kann man erwarten? Immerhin scheinst du von der Bürde eines logischen Denkvermögens gänzlich verschont zu sein.”

      Hagen schien ihm seine Worte nicht übel zu nehmen, nicht geneigt, sich provozieren zu lassen. „Habe ich etwas übersehen?” fragte er gelassen.

      „Ich denke, das könnte man so sagen. Welcher Hornochse, glaubst du Hornochse denn, sehnt sich wohl nach der Enge einer überfüllten Kneipe und der impliziten Verpflichtung sozialer Konventionen?”

      Hagen lachte heiser auf. Für eine Sekunde klang sein Ausbruch nahezu manisch. „Die Hornochsen, die dafür gesorgt haben, dass die Kneipe voll ist, zum Beispiel. Vergiss nicht, dass der Mensch – mit deiner Ausnahme – ein soziales Wesen ist.”

      „Menschen. Es soll dir schlecht gehen, Hagen.”

      „Willst du noch ein Bier?”

      „Nein, wirklich nicht. Wirklich nicht mit der Bürde logischen Denkvermögens belastet.”

       12.

      Kommissar Wegmanns Büro im Gebäude der Polizeidirektion Rostock war nicht besonders groß und weit davon entfernt, gemütlich oder gar stilvoll zu sein. Er war zwar Chef, aber eben nur Chef einer Abteilung in einer Behörde in Ostdeutschland und nicht Chef einer Bank. Die Möbel waren von Ikea, der Boden aus Linoleum und an den Wänden gab es keine Tapeten, sondern nur einige Schichten bieder beiger Farbe auf dem blanken Putz. Eine Wand war immerhin mit einem großen weißen Blech versehen, das sowohl als Tafel als auch als Magnetwand diente. Hier konnte Wegmann Material für seine Fälle sammeln, Querverbindungen herstellen, Übersichtlichkeit schaffen, Rätsel lösen.

      Er hatte die Magnetwand in den sieben Jahren, die er jetzt dieses Büro okkupierte, nicht einmal zu dem Zweck benutzt, der ihr eigentlich zugedacht war.

      Dies war nicht seine Art, seinem Beruf nachzugehen. Es gab für ihn nichts aufzuklären, weil es in seinem Bezirk keine Morde gab. Offiziell nicht. Wegmann war einfach gut darin, dafür zu sorgen, dass Morde nicht als solche erfasst wurden. Auf diese Weise war nicht nur die Arbeitslast erträglich, sondern auch die Kriminalstatistik in seinem Bezirk exzellent, was ihm regelmäßig Lob für seine gute Präventivarbeit einbrachte.

      Auf seinem großen Ikea-Schreibtisch stapelten sich stets Aktenberge und verliehen dem Raum ein Flair von Stress und Geschäftigkeit. Wer genauer hinguckte, fand allerdings schnell heraus, dass die Akten zum Teil Jahre alt waren und keine aktuellen Fälle dokumentierten. Wegmann hatte eine gewisse Perfektion darin entwickelt, sowohl sein Büro als auch seinen Habitus stets in gestresster Geschäftigkeit zu präsentieren.

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