Wie das Leben so spielt. Karl Zbigniew Grund

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Wie das Leben so spielt - Karl Zbigniew Grund

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noch alles offen, alles möglich ist. Vor Aufregung bekam ich sogar einen trockenen Hals. Das ist mir schon lange nicht mehr passiert. In Bruchteilen von Sekunden verfolgte ich jedes einzelne Wort. Oft lässt sich schon im Satzaufbau, bei den ersten Worten, die Kernaussage erkennen. Ist auch nicht weiter schwierig, weil die Juristen in der Regel immer die gleichen Sprüche und Redewendungen verwenden. In meinem Fall war bereits im ersten Satz alles klar und erledigt. Mein kurzer Traum zerplatzte wie eine Seifenblase. Nix Entlassung, nix Freiheit, keine letzte Chance.

      Dumm gelaufen, sagte ich zu mir selbst, aber ich spürte auch mein Blut kochen und kriegte ganz komische Gefühle. In solchen Momenten muss ich schon ganz tief in meine psychologische Trickkiste greifen, um mich wieder zu beruhigen. Nun gut, sagte ich mir, die wollen es wohl nicht anders haben. Jetzt dauert es halt ein wenig länger, aber eines Tages müssen sie dich ja entlassen und dann ist nur noch ein harter Film angesagt. Keine Rücksicht mehr, keine falsche Zurückhaltung. Dann wird vom Entlassungsgeld erst mal eine Knarre gekauft, am besten eine 9mm. Die versteht nämlich jeder. Da gibt es keine Fehldeutungen und da braucht auch keiner mehr zustimmend mit dem Kopf zu nicken. Dann ist von vornherein alles klar und unmissverständlich.

      Nach diesen klaren und erfrischenden Gedanken fühlte ich mich wieder etwas besser. Ziemlich gelassen ließ ich mich in den Zellentrakt abführen. Ich genehmigte mir sogar ein leichtes Lächeln. Draußen hätte ich womöglich meine „French Open“ verpasst. Und das geht nun mal gar nicht.

      Die Zellen im Gerichtsgebäude sind schon eine Zumutung, meistens total verdreckt und überall auf den Wänden die üblichen schwachsinnigen Sprüche:“ Andrea ich liebe dich, Bullen sind Schweine“, oder einfach und trocken „nur noch 674 Tage“. Letzteres ist natürlich etwas intelligenter. Es zeigt, dass einige zumindest rechnen können. Mich persönlich nervt jedoch das stundenlange Warten auf den Transporter, auf die Rückfahrt. Daran werde ich mich nie gewöhnen. Das ist und bleibt eine Sauerei. Diesmal war jedoch wie gesagt alles ganz anders. Nach kurzer Zeit hörte ich Schritte und dann wie eine Tür recht zügig aufgeschlossen wurde. Der folgende Dialog war ebenfalls recht aufschlussreich: „Was soll der Schwachsinn“, hörte ich einen Beamten rufen. Keine Antwort. Nach einer Weile ein hartes Röcheln und Würgen. Noch mehr Schritte. „Hier liegt einer, ruf mal vorsichtshalber den Notarzt“. Dann eine zweite Stimme: „Schütt‘ ihm doch Wasser über den Kopf“. Erneutes Röcheln. „Weiß nicht, ob das so gut ist, soll besser der Arzt entscheiden“. Plötzlich verstummten die Stimmen und auch alle anderen verdächtigen Geräusche. Bei derartigen Vorfällen werden in der Regel erst mal alle unliebsamen Zeugen weg geschafft. Das ist normal und verständlich. Ich freute mich schon auf einen schnellen Rücktransport – auf meine „French Open“.

      Der Bus kam dann aber noch schneller als man denken konnte. Die müssen den im Eiltempo herbei gezaubert haben. Zusammen mit anderen Inhaftierten wurden wir unverzüglich in den Bus geführt, der sich auch sofort in Bewegung setzte. Er parkte noch kurz seitlich im Gerichtsgebäude, um den Notarztwagen vorbei zu lassen.

      „Mit Schnürsenkeln – stümperhaft“, hörte ich noch einen der Busfahrer sprechen. Mehr konnte ich nicht verstehen, weil das Radio eingeschaltet wurde und irgendeine bekloppte Musik alles übertönte. Den Rest konnte ich mir aber auch so schon denken und zusammen reimen. Wieder einer dieser schwachsinnigen

      Selbstmordversuche. Mit Schnürsenkeln erhängen ist wirklich stümperhaft. Das kann ja gar nicht gut gehen. Er hätte auch fragen können. Bestimmt hätte ihm jemand seinen Gürtel oder was anderes geliehen. In der Beziehung ist man großzügig. Von mir aus sollen sie sich alle weg hängen, aber richtig, keine halben Sachen. Wenn die Todesrate nämlich steigt, dann kann es passieren, dass vorübergehend ein paar Lockerungen eingeführt werden. Unter Umständen könnte es im Sommer einmal Duschen mehr in der Woche geben. Der Arzt wird dann auch etwas lockerer mit seinen Beruhigungspillen und die Psychologen werden ihre Gesprächszeit für die Problemfälle etwas verlängern. Das alles natürlich nur, wenn der Durchschnittswert deutlich überschritten wird. Wenn der Handlungsbedarf nicht mehr zu übersehen ist. Keine Anstalt will ja auch unbedingt mit den meisten Toten glänzen. Allerdings kann ich, ehrlich gesagt, beim besten Willen nicht nachvollziehen, warum sich heute überhaupt noch jemand weg macht. An den Haftbedingungen kann es nun wirklich nicht liegen. Heute hat man fast alles im Knast. Fernseher, Recorder und was weiß ich nicht alles. Es soll auch welche geben, die sich gezielt verhaften lassen, weil sie draußen nicht mehr klar kommen. So weit ist es schon gekommen. Das ist doch keine Strafe mehr. Wie soll man da noch büßen?

      Früher war das alles viel klarer. Da gab es auch noch nicht so viele Weicheier. Und auch nicht so viele von den Hasch-Typen, die sich das Zeug da spritzen. Da gab es einfach den richtig Selbstgebrannten, Hausmarke: „Treppenstürzer“. Der hatte auch reichlich Umdrehungen. Ging zwar tierisch auf die Augen mit der Zeit, aber was gibt es im Knast schon groß zu sehen. Tja, das waren noch Zeiten. Da sind einige gepudert und geölt mit selbst gemachten Damentaschen im Bau herum spaziert. Da gab es noch Freundschaften fürs Leben. Intern war auch alles geregelt. Unstimmigkeiten wurden noch unter sich ausgetragen. Mit der Faust, aber auch mit Messer. So echte Kriminelle, echte Verbrecher mit festen Grundsätzen, findet man heute kaum noch. Der allgemeine Werteverfall hat sich leider auch in den Knästen niedergeschlagen. Traurig ist das, richtig traurig.

      Aber wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei den Schnürsenkeln. Eigentlich müsste ich dem Typ sogar dankbar sein, sonst wäre ich da vermutlich nicht so schnell weg gekommen. Und man soll auch nicht so schlecht über Vollzugskollegen sprechen. Wahrscheinlich ist für ihn die Verhandlung auch dumm gelaufen und am Anfang ist das alles noch ziemlich aufregend. Und wer weiß, was der Typ für Probleme hatte. Später legt sich das alles. Man entdeckt die Langsamkeit und die Ruhe. Ich bin schon froh, wenn ich mich überhaupt noch aufregen kann. Um die Zukunft mache ich mir keine Sorgen. Arbeitslosigkeit – das ist für mich kein Thema. Darüber kann man auch später nachdenken. Also, hier hat man, wenn überhaupt, ganz andere Probleme. Alles kann passieren, nur der Fernseher darf nicht plötzlich den Geist aufgeben. Einmal ist es mir schon passiert. Und es war echt schlimm. Hätte nicht gedacht, dass mich das so mitnehmen könnte. Also echt, das sind hier die wahren Schicksalsschläge des Lebens. Da bin ich auch das erste Mal schwach geworden und habe mir dieses Haschzeug besorgt, weil ausnahmsweise nichts anderes da war. Hab mich vorsichtshalber aufs Bett gelegt, weil ich dachte, jetzt kriegst du den Freiflug oder Abflug. Aber so schlimm war das gar nicht. Es war sogar echt lustig. Vorher war es ja für mich kein Thema, aber inzwischen sehe ich das nicht mehr so eng. Außerdem ist auch der Fernseher daran schuld. Was soll‘s , von all den Neuerungen, die es heute so gibt, ist das etwas, womit ich was anfangen kann. Da macht auch „French Open“ viel mehr Spaß. Wenn die sich da die Bälle um die Ohren knallen. Allerdings gucke ich mir am liebsten die Mädels an. Die stöhnen auch so schön und optisch sieht es einfach geil aus. Ist angenehmer für die Augen. Nur die Stefi braucht mir nicht mehr zu kommen. Die ist jetzt bei mir unten durch. Außerdem hat sie zu dicke Oberarme. Die Beine sind allerdings in Ordnung. Die neue Russin, die Anna, die könnte noch was werden. Arrogantes Luder, aber gnadenlos unterwegs. Die kennt keine Zurückhaltung und da stimmt auch sonst alles. Die Optik, der Kampfgeist und die innere Einstellung. So kommt sie bestimmt weiter. Ab heute ist sie für mich der neue Star. Morgen spielt sie wieder. Hoffentlich muss ich mich da nicht erneut aufregen. Also, wenn die Anna mich jetzt auch noch enttäuscht, dann weiß ich nicht mehr weiter. Vielleicht mache ich mich dann auch weg. Aber ganz bestimmt nicht mit Schnürsenkeln. Und vorher haue ich noch auf jeden Fall den Scheiß-Fernseher kaputt.

      

      

       Freundschaft

      

      

      

       Mit der Zeit

      

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