Das Geheimnis des Gedenksteins. Hans Nordländer
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Читать онлайн книгу Das Geheimnis des Gedenksteins - Hans Nordländer страница 10
Der Mann war etwas kleiner als Cornelia, aber von erkennbar kräftiger Gestalt und humpelte leicht. Unter der breiten Krempe seines Hutes konnte sie nur wenig von seinem Gesicht erkennen und von dem wenigen war das meiste hinter einem mächtigen Vollbart verborgen. Es war ihr unmöglich, sein Alter zu schätzen.
Sie machte einen Schritt zur Seite, um ihm Platz zu machen. Der Mann schien Cornelia kaum zu bemerken und sah sie nur kurz an, wenn sie die unauffällige Bewegung seines Gesichtes in ihre Richtung richtig deutete. Dann wandte er seinen Blick wieder auf den Gehweg. Damit hätte ihre für Cornelia denkwürdige Begegnung ein unspektakuläres Ende nehmen können, aber als er auf ihrer Höhe ankam, durchfuhr Cornelia überraschend ein kalter Schauer. Sie erstarrte in ihrer Bewegung, während der Mann ungerührt an ihr vorbeiging. Gleich danach war das Gefühl, in einen eiskalten Luftstrom geraten zu sein, wieder verschwunden. Verwirrt drehte sie sich nach ihm um. Langsam humpelte er den Fußweg entlang. Kurz vor der Kreuzung zur breiteren Querstraße geschah etwas, das Cornelia noch mehr verwirrte.
Beinahe schwungvoll und ungleich munterer als Cornelia um diese Tageszeit, bog ein Paar mittleren Alters, offensichtlich in ein angeregtes Gespräch vertieft, in den Gehweg der kleinen Nebenstraße. Nichts deutete darauf hin, dass der Fremde ihnen aus dem Weg gehen wollte oder die beiden ihm Platz zu machen bereit waren. Nur wenige Schritte, bevor sie aufeinanderprallten, geschah etwas Merkwürdiges. Das Paar machte doch endlich einen Schritt auseinander, um den Mann zwischen sich hindurchzulassen, würdigten ihn aber keines Blickes und ihren Gesichtern, mehr zueinander gewandt als nach vorne, war anzusehen, dass sie den Mann nicht einmal wahrnahmen. Das war umso merkwürdiger, weil seine Erscheinung durchaus eines auffälligen Blickes wert war.
Und dann kam es zu der gleichen Reaktion der beiden wie kurz zuvor bei Cornelia. Als sich der Fremde genau zwischen ihnen befand, durchlief die beiden erkennbar ein plötzliches Frösteln. Sie verstummten in ihrem Gespräch, sahen sich ratlos an und schlossen unwillkürlich ihre Jacken fester. Keiner der beiden warf auch nur den Bruchteil einer Sekunde einen Blick auf den Mann zwischen ihnen. Erst jetzt schienen sie sich zu wundern, dass sie einen Schritt auseinandergegangen waren. Sie hielten für einen Augenblick an und blickten sich um, dann schüttelte der Partner der Frau verblüfft den Kopf. Schweigend setzten sie ihren Weg fort und kamen auf Cornelia zu. Die beiden grüßten und wollten schon weitergehen, als sie Cornelia ansprach.
„Ein seltsamer Mann, oder?“, sagte sie und zeigte in seine Richtung. „Ich habe mich auch über ihn gewundert. Ich finde, er war so – komisch.“
Die beiden drehten sich zur Kreuzung um.
„Verzeihung“, bat der Mann. „Von wem reden Sie?“
„Na, von dem, der gerade zwischen ihnen hindurch -.“
Cornelia unterbrach sich. Es war offensichtlich, dass sie niemanden gesehen hatten.
„Ach nichts“, erklärte sie verlegen. Mehr fiel ihr auch nicht ein.
Sie war froh, dass die beiden anscheinend in Eile waren und keine Fragen stellten. Was hätte sie unter diesen Umständen erwidern sollen? Es war eine groteske Situation. Ein wenig mitleidig lächelnd gingen die beiden weiter.
Das gibt es doch gar nicht, dachte Cornelia. Der Fremde war schon um die Ecke, als sie hinter ihm herlief. Er konnte noch nicht weit sein. Sie hatte zwar keine rechte Vorstellung, was sie vorhatte, hoffte aber, ihn noch einzuholen. Und dann die Überraschung: Der Mann war weg. So weit sie in alle Richtungen blicken konnte, war nichts mehr von ihm zu sehen. Er war spurlos verschwunden.
„Mist!“, sagte Cornelia leise. „Ich war zu langsam.“
Nachdenklich und noch verwirrter als zuvor fuhr sie zur Arbeit. Zumindest für sie war die Begegnung mit diesem Fremden fast schon unheimlich.
Erst später fiel ihr auf, dass er weder einen unangenehmen, wie es eigentlich bei seiner Erscheinung zu erwarten gewesen wäre, und so nahe, wie sie sich gekommen waren, noch überhaupt einen Geruch verströmt hatte. Dass sie seine Schritte nicht gehört hatte, konnte sie sich ja noch mit weichen Stiefelsohlen erklären, aber er hätte zumindest spürbare Ausdünstungen von sich geben müssen.
Durch diese Verzögerung und einen kurzen Verkehrsstau an einer Kreuzung wäre Cornelia beinahe zu spät beim Hannoverschen Stadtkurier angekommen. Eine Minute vor ihrem Dienstbeginn erreichte sie im Laufschritt ihr Büro.
„Na, wieder einmal so ein verflixter Montagmorgen, was?“, empfing ihre Kollegin Silke sie feixend.
„Wie?“, fragte Cornelia sie geistesabwesend.
„Ich sagte -,“ wollte Silke wiederholen, aber Cornelia kam ihr zuvor.
„Ach so, ja. Ja, wirklich verflixt“, meinte Cornelia etwas zusammenhangslos und ließ sich auf ihren Bürostuhl fallen, ohne ihre Jacke an den Haken gehängt zu haben. Nachdenklich blickte sie durch das Fenster in den grauen Himmel. „Und ein verflixtes Wochenende“, murmelte sie.
Silke betrachtete ihre Kollegin neugierig.
„Conny, stimmt etwas nicht? Hast du Ärger?“
„Hm, was? Ärger?“, sie schüttelte den Kopf. „Nein, Ärger nicht. Ist schon Kaffee fertig?“
Silke zeigte auf die Kanne auf einem kleinen Beistelltisch an der Wand neben der Eingangstür.
„Ganz frisch. Aber sei vorsichtig, Dirk hat ihn heute gekocht.“
„Dirk? Wie kommt das? Hat er ein schlechtes Gewissen?“
„Ich glaube eher, er wollte nicht darauf warten, bis sich ein anderer bequemt, ihn aufzusetzen. Immerhin hat er für uns mitgekocht.“
In der Redaktion des Hannoverschen Stadtkuriers gab es keine ausgeprägten Hierarchien, welche Aufgaben unbedingt von wem zu erledigen waren, zumindest, solange es um keine wichtigen Geschäftsangelegenheiten ging. Da kochte auch schon einmal der Chef, Dirk Tschaß, selbst den Kaffee für seine Mitarbeiter, so wie an diesem Morgen geschehen. Aber wenn Dirks Name im Zusammenhang mit Kaffeekochen fiel, war das stets eine Garantie für einen fast ungenießbar starken Kaffee, wenn man ihn nicht mit viel Milch oder heißem Wasser verdünnte. An diesem Morgen trank Cornelia ihn unverdünnt, was Silke noch stutziger machte. Aber so sehr sie sich auch bemühte, etwas über die Ursache für Cornelias merkwürdiges Verhalten herauszufinden, es gelang ihr nicht.
Im Laufe des Vormittags tauchte auch Theo auf. Er hatte ein eigenes Büro, kam aber zuerst zu den beiden Damen herein, gab Cornelia einen flüchtigen Kuss und entschuldigte sich, dass er nicht mit ihr aufgestanden war. Dann eilte er auch schon weiter, um mit Dirk den Artikel über den Kampf der Taubenzüchter gegen Windmühlen zu besprechen. Diese eher spöttisch gemeinte Umschreibung der Veranstaltung, die Theo im entfernten Ostfriesland besucht hatte, wurde dann aber tatsächlich zu der Schlagzeile seines Berichtes.
Cornelia lächelte nur tiefgründig, als Theos Rücken durch die Tür verschwand. Sie hatte eben zum wiederholten Mal ein Ritual von ihm erlebt. Cornelia glaubte Theo zwar, dass er ein angedeutet schlechtes Gewissen hatte, wenn sie früh raus musste und er weiterschlafen konnte. Dieses schlechte Gewissen regte sich aber natürlich erst, wenn er selbst aufwachte, und nicht schon am Abend davor, wenn er wusste, dass Cornelia früher aufstehen musste als er. Außerdem wäre es in jedem Fall zu schwach ausgeprägt gewesen, als dass er tatsächlich mit ihr aufstand. Aber damit hatte sich Cornelia inzwischen abgefunden