Das Geheimnis des Gedenksteins. Hans Nordländer
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Und so hatte jeder von ihnen bestimmte Vorstellungen, wie es mit ihrem Fall weitergehen würde, und zu einem Fall schien es sich tatsächlich zu entwickeln, aber keiner wusste, was der andere genau dachte, weil es nicht an der Zeit schien, es dem anderen mitzuteilen. Es würde jedoch nicht mehr lange dauern, bis Theo ein paar unhaltbare Überzeugungen über den Haufen werfen musste.
Sie gingen wieder ins Bett und hofften, für kurze Zeit noch einmal die Augen zumachen zu können. Es würde aber in jedem Fall zu kurz sein.
Als dann der Wecker klingelte, fühlte sich Cornelia noch geräderter als tags zuvor, und Theo wusste jetzt auch, wie sie sich fühlte. Ihm ging es nicht besser. Für beide war es eine gewisse Quälerei durch den Tag. Immerhin gelang es ihnen aber, vor den anderen ihren etwas angeschlagenen Zustand zu verbergen, was auch gut war, denn Missverständnisse wären unvermeidbar gewesen.
Zwei Tage blieben sie unbehelligt. In dieser Zeit erholten sie sich körperlich aber nicht von der wenig erholsamen Nacht vom Montag auf den Dienstag, wenn es auch eine kurze Phase der Ablenkung war, denn sie hatten soviel um die Ohren, dass die Erinnerungen an die unheimlichen Geschehnisse ein wenig in den Hintergrund traten. Trotz ihrer Müdigkeit versäumten sie nicht, am Dienstagabend ihr wöchentliches Tanztraining zu absolvieren. Theo und Cornelia waren leidenschaftliche Anhänger lateinamerikanischer Tänze, und beide hatten schon mit achtbarem Erfolg an überregionalen Wettbewerben teilgenommen. Mehrere Urkunden und Pokale zierten die Wände ihrer Wohnung. Der Schwung der Bewegung und die eingängigen Rhythmen ließen sie für einige Zeit ihren Alltag und auch alles, was für gewöhnlich nicht dazugehörte, vergessen. Die Gegenwart vieler ihrer Freunde und eine muntere Konversation taten ihr Übriges zu einer gelungenen Ablenkung. Als sie dann spätabends spürbar abgekämpft, aber glücklich, wieder in ihre Wohnung kamen, war ihr Wunsch nach anderen Dingen stärker, als der, sich mit rätselhaften und gespenstischen Begegnungen auseinanderzusetzen.
Der Mittwoch verlief in der Redaktion des Hannoverschen Stadtkuriers hektischer als sonst, denn einige Meldungen und Artikel mussten für den Druck in der kommenden Nacht vorbereitet werden, und es gab ein paar Besprechungen für Projekte, die in der nächsten Zeit anstanden. So blieb für Theo und Cornelia auch da nur wenig Zeit, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, als mit ihrer Arbeit. Und abends schließlich waren sie bei Freunden zu einem Geburtstag eingeladen. Auch wenn sich in dem einen oder der anderen von den beiden das eine oder andere Mal die Erinnerung an die unheimlichen Erlebnisse regte, so unterließen sie es, wohlwissend, wie die Reaktion ihrer Freunde darauf ausfallen würde, sie auch nur beiläufig zu erwähnen. Und sie selbst hatten auch kein Interesse daran, sich dadurch ihre eigene Laune beeinträchtigen zu lassen.
Obwohl sich die beiden redlich bemühten, die merkwürdigen Erscheinungen um sich herum vor ihren Bekannten und Freunden zu verbergen, konnten sie dann doch nicht verhindern, dass die anderen davon Wind bekamen. Und das war früher der Fall, als sie ahnten.
Am Donnerstag fiel es ihnen noch schwerer als sonst, früh aufzustehen. Die Unternehmungen der letzten Tage, der damit verbundene Schlafmangel und die verstärkten Anforderungen ihrer Arbeit in der letzten Zeit, zeigten allmählich Wirkung, und beide sehnten sich nach einem erholsamen Wochenende, doch die Woche hatte noch zwei Tage, die es durchzuhalten galt. Immerhin mussten beide an diesem Morgen zur gleichen Zeit in der Redaktion sein. Einer half dem anderen in seinen Bemühungen, rechtzeitig zur Arbeit zu kommen, und war es auch nur mit liebevollen Sticheleien. Und doch war es ein mühevoller Morgen.
Bis kurz vor der Frühstückspause verging die Zeit eher schleppend und Theo, der sich angestrengt durch einen Text arbeitete, ertappte sich immer wieder dabei, wie ihm beim Lesen die Augen zufielen. Davon, dass er verstand, was er las, konnte kaum die Rede sein.
Plötzlich gellte ein Aufschrei durch die Redaktion, und Theo zuckte zusammen. Er war schlagartig hellwach. Das hörte sich nach Cornelia an, obwohl es kein typischer Laut von ihr war. Als er an die Tür kam, sah er, wie sich schon einige Köpfe aus den anderen Büros reckten. Dirk Tschaß, der Chef der Zeitung, hatte hinter einer geschlossenen Tür gearbeitet und stürzte jetzt auf den Flur. Mitten im Gang stand Cornelia, um sie herum lagen ein paar Aktenordner auf dem Boden verstreut. Sie ließ ihre Arme herunterhängen und stand zitternd und mit bleichem Gesicht da. Ihr Blick war jedoch nicht auf ihre Kollegen gerichtet, sondern auf die Glastür, die aus dem Bürotrakt der Zeitung auf den Hauptflur des Gebäudes führte. Theo eilte zu ihr und legte einen Arm um sie. Bevor er sie fragen konnte, was passiert war, stand auch schon Silke bei ihnen.
„Meine Güte!“, entfuhr es ihr. „Du siehst ja leichenblass aus, als hättest du einen Geist gesehen.“
Kurz darauf wurden die drei von ihren Kollegen umringt. Carlo versuchte in dem Gedränge so geschickt es ging die Aktenordner vom Boden aufzuheben, aber es war nicht ganz einfach, zwischen den Beinen der anderen herumzustöbern.
„Sie war es“, sagte Cornelia mit leiser Stimme. „Ich hätte sie beinahe umgelaufen.“
„Das Mädchen?“, fragte Theo. „Hast du es gesehen?“
Cornelia nickte.
„Sie stand dort an der Tür. Und sie war wieder nicht allein.“
„Der Schatten?“
Cornelia schüttelte den Kopf.
„Der alte Mann mit dem Hut. Er hielt sie an der Hand. Sie hatte Angst, ich habe es gespürt, furchtbare Angst.“
„Wovon sprecht ihr?“, fragte Dirk. „Welches Mädchen? Welcher alte Mann? Welcher Schatten? Was wird hier eigentlich gespielt?“
„Das wüssten wir auch gern“, meinte Theo und zu Cornelia gewandt. „Geht es dir jetzt wieder etwas besser?“
Er stellte fest, dass sie aufgehört hatte zu zittern, und ihr Gesicht schon wieder eine gesündere Gesichtsfarbe zeigte.
Cornelia nickte.
„Ja, ich denke ja. Es waren auch nicht die beiden, es war die Ausstrahlung des Kindes. Seine Angst. Von ihm habe ich nichts gespürt. Er stand nur da und hielt das Mädchen an der Hand, wie ein Vater seine Tochter. Unglaublich.“
Dirk eilte auf die Glastür zu und verschwand im großen Flur. Kurz darauf kam er wieder zurück. Ich habe niemanden gesehen, der zu deiner Beschreibung passt“, meinte er. „Dabei war ich bis unten auf der Straße, aber nirgends habe ich einen Mann mit einem Mädchen gesehen. Kennst du sie? Sollen wir die Polizei rufen?“
Cornelia schüttelte energisch den Kopf.
„Nein, lass die Polizei aus dem Spiel. Die wird uns nicht helfen können. Es ist auch nicht das, wonach es sich anhört. Es geht hier nicht um Pädophilie. Ich glaube, wir, Theo und ich glauben, es handelt sich um etwas ganz anderes, etwas, das wir nicht so einfach begreifen können.“
„Das ist sehr kryptisch, wie du das sagst“, fand Carlo.
„Also doch Geister“, meinte Silke unsicher kichernd, obwohl sie die Bemerkung nicht ernst meinte. Silke war zartbesaiteter als Cornelia. Hätte sie geahnt, wie nahe sie damit der Wirklichkeit kam, hätte sie sich vor Angst in der Besenkammer eingeschlossen