Paracelsus. Erwin Guido Kolbenheyer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Paracelsus - Erwin Guido Kolbenheyer страница 10

Paracelsus - Erwin Guido Kolbenheyer

Скачать книгу

dann stillbewegt von dem Gefühle, alle die Seinen bei sich zu haben und für sie zu sein. Es raunten in seiner Brust die sonderbaren Stimmen nach, die ihn auf den Bußweg über die Klause begleitet hatten, die ihn dann überschrien und fortgerissen hatten, als er mit dem Toten allein war. Er wußte, daß ihm hinfort die Träumer und ihre Reden, die hie und da aus dem Strome der Pilger aufklangen wie ein fremdes Geläute, nicht mehr des Spottes schuldig scheinen würden.

      Schlafet alle. Der neue Tag wird den Zauber sprengen. Was tot ist, wird verwehen. Was lebt, wird vergessen und der nächsten Not dienen. Von der Hand zum Mund, das ist der Weg des Tages. Was jenseits der Zähne liegt, das will der Tag nicht sehen.

      Schlafet alle. Es lebt ein Leben, das neben dem Weg des Tages einhergeht, neben mir und dir und jedem. Durch die Nacht schleicht es mit leisen Sohlen und überwacht den Tag.

      Schlafet alle und gebt Raum den Tiefen der Nacht, die in uns ruht.

      Erste Schritte

      Die Tage deckten ihre weiße und blaue Glocke über das Menschenreich, die Unendlichkeit der Nächte lüftete den wehenden Schleier oder verbarg ihr wunderliches Gesicht dahinter. Und die Leute redeten von den fünf Pflugarbeiten, jedesmal wenn die Zeit kam. Im Frühjahr vom Saatpflügen auf dem Haferfeld, im Mai vom Brachen, im Juli vom Rühren, im Herbstmond vom Werfen der Stoppeln und im Weinmond vom Felgen des Korngrundes. Das waren Leute von den freundlichen Seeufern, denen die Sihl nachstrebt, ohne sie jemals zu erreichen, denn sie vermengt sich mit der brausenden Limat im Rücken von Zürich. Die Seeleute wußten noch andere Jahreszeiten und brauchten nicht gerade nach dem Pflügen zu zählen. Sie redeten vom Schneiden, Sticken, von Gärten, vom Hacken, Heften, Rauchfelgen, Zwicken und Lesen. Dann meinten sie den Wein, dessen säuerliche Glut sie aus grüngelben Beeren herbsteten. Aber auch über Aalrute, Äsche, Barbe, Barsch, Schlei und Gründling, über Reusen, Angeln, Stecheisen ging die Unterhaltung in den Wirts- und Wohnstuben. Das Vieh kam nur nebenher zur Sprache. Weit öfter das Fährwesen, und damit lenkten die Worte ab gegen Richterswil und bergan der lieben Fraue von Einsiedeln zu.

      Dort, im Hochtal der Sihl, wechselten wohl auch Hafer, Brache und Roggen auf dem lockeren Rottland an den Bergsäumen, aber die breite Talsohle füllte ein moorsatter Grund, und der brachte hartes, saures Futter. Nur auf den Hängen der Sihl und den kurzen Bodenwellen, die aus dem Hochmoor tauchten, wuchs fettere Weide, die auch Heu genug für den Winter gab, obwohl sie einschürig blieb. Über die Wiesenhänge schritt das Jahr in drei Gezeiten: bis Walpurgis im Mai währte der Weidetrieb, dann wuchsen Gräser und Kräuter der Sichel entgegen, und Sankt Bartholomäustag brachte wieder Rinder und Schafe auf das kurze Grün. Demgemäß sprachen die Leute des Hochtals vom Gras, Rind und Schaf. Vom Walde aber redeten sie schon, wenn die Sonne kaum den letzten Schnee weggeschmolzen hatte. Sie dachten zu dieser Zeit nur an den Wald am Fuße der Höhen, wo Buchen wuchsen, während die Kämme vom dunklen, unfruchtbaren Nadelholz bestanden waren. Dorthin, in den Ecker am Fuße der Höhen, trieben sie die zarten Märzschweine zur Aufzucht, doch mußte ein neuer Eintrieb am Sankt Johannistag beschlossen sein. Gegen den Herbst zu, wenn die Buchen ihre zottigen Fruchtbecher öffneten und den Ecker streuten, kamen die alten Schweine zur Mast, nach Sankt Michael jedoch nur mehr die Sauen. Ehe der Schnee fiel, das geschah meist vor Sankt Elisabeth, ritt ein Klosterschöff die Runde, und man erwartete ihn. Er raffte einen Fäustling Walderde auf, dort wo das Schwein nicht zu oft und nicht zu selten gewühlt hatte, und schätzte den Ecker. Danach fiel dann der Einlaßzins auf den Kopf des Schweins.

      Über diesen kleinen Tierkreis, der das Firmament der Gottshausleute umschloß, schwang eine bedeutsamere Zeitenfolge, die nach dem Haushalte der Gottesmutter zu Einsiedeln geregelt wurde. Alle sieben Jahre gipfelte der Gnaden Stern des großen Engelweihfestes und schüttete seine Ablaßgarben über die Pilger nieder, deren viel hundert die Gnadenkapelle umschwärmten. Aber auch in den sechs andern Jahren lief die Mühle nicht leer. Wenn nun ein Anwesen, wie das der Ochsner, an einem ihrer Hauptgänge lag und die Freiheit besaß, zu Zeiten der Pilgerflut das Rädlein auszustecken, um den Schmachtenden ein freundliches Ziel für ihres Leibes Durst und Hunger zu weisen, dann gab es dort noch andere Zeiten und Sorgen als die der sechs Kühe, der vierzehn Schafe und zweiundzwanzig Schweine.

      Während das Ochsnerhaus unter dem Zeichen des Rädleins stand, war Wilhelm von Hohenheim zum erstenmal eingekehrt und hatte den günstigen Stern wahrgenommen; und während das Ochsnerhaus das Rädlein noch trug, sollte der jüngste Bombast entwöhnt werden, nachdem er sein menschliches Antlitz aus einem Zustand entwickelt hatte, der eher dem Hutzelobst der Großmutter glich als dem Ebenbild Gottes. Doch die Mutter wußte für sich und den Kleinen noch etliche Wochen der zärtlichen Hingabe abzuschmeicheln, obwohl ihre Kräfte dem Liebesopfer kaum gewachsen waren.

      Er trug einen Namen, über den alle Ochsner, Weßner und Schärer nicht wenig erstaunten, als sie ihn zum ersten Male hörten.

      Am schnellsten fanden sich noch die Eis und der Rudi Ochsner drein. Die Eis, weil sie dem Manne vertraute, und der Alte, weil er seit jener Nacht manchem mißtraute, worüber die andern behäbig wurden. Die Großmutter blieb besorgt. Sie fühlte, daß der sonderbare Name den adeligen Stamm des Kindes betone. Er klang wie eine Minderung des mütterlichen Blutes. Sie fürchtete für den jüngsten Bombast, weil ein guter Eidgenoß allem feindselig begegnet, was nach Ritterharnisch klirrt. Also auch Hans Ochsner, der auf das zarte Knäblein wies und meinte:

      „Sehet zuo, es möcht ihn sunst einer us den Windlen blasen, so er ihn bi dem Namen ruoft.“

      Darauf sagte der Vater:

      „Es wird nit eins jeden Manns Gewicht uf der Metzig gewogen.“

      Und der Hans:

      „Sollichs ist zur Stund ein Glück vor den Metzger.“

      Aber der Hans redete rauher als er tat. Er stand zuweilen an dem Körblein und schaute eratmend auf den tiefen Kinderschlaf nieder, wie man in die Ewigkeit der Berge blickt, denn auf dem Schlaf der Kleinen ruht gleichermaßen ein Schimmer der Ewigkeit.

      Die Weßner schüttelten ihre fetten Köpfe und die Schärer nicht minder, sie zuckten die Achseln und zwinkerten einander heimlich zu. Nur der Klaus Weßner, dem die Angelegenheit naheging, weil er das Büblein aus der Taufe heben sollte, ließ satteln und ritt spornstreichs hinüber nach Einsiedeln. Er konnte sich nicht von dem schwäbischen Arzte, der unter die Ochsner hineingeschneit war, zum Fatzmann machen lassen und wollte wenigstens der Würdigkeit des Heiligen versichert sein, nach dem das Patenkind heißen sollte. Daß ihn der Propst und Pfleger, Herr Diebold, und, wenn er darauf bestand, auch der Fürstabt, Herr Konrad, wohlgeneigt empfangen würden, dessen war er sicher. Mit dem Kloster stand es trotz aller himmlischer Gnaden nicht glänzend, und Klaus mußte zu Zeiten der Engelweihe das Marmelschloß seiner Geldkiste aufspringen lassen, sonst wäre das einträgliche Fest übel eingeleitet gewesen.

      Herr Diebold empfing ihn mit freundlicher Hast, er bedurfte gerade kein Geld. Aber der erhitzte Klaus Weßner wurde dringlich und zeigte durchaus die unbefangene Art des klügeren Wirtes. Er war nicht damit abgetan, als der Propst versicherte, einen heiligen Theophrast gäbe es in keiner Litanei. Klaus wünschte, daß irgend etwas Schriftliches eingesehen werde. Schwarz auf weiß, das war guter Grund. Herr Diebold gab nach und fuhr mit dem Finger über etliche Pergamentblätter. Klaus sah scharf darauf, daß der Finger keine Zeile übersprang, er wollte seiner Sache vor Hohenheim gewiß werden, und selber lesen konnte er nicht.

      Die Allerheiligenlitanei behielt recht; in der alleinseligmachenden Kirche lebte kein Theophrast, weder unter den Heiligen noch unter den Ketzern.

      Klaus blieb also ungestillt. Er fragte, was der verdächtige Name eigentlich bedeute, denn auf Schwyzer Boden war er unerhört. Herr Diebold fand sich aufs peinlichste bedrängt.

      „Wer viel fraget, geht als ouch viel irr, Weßner.“

Скачать книгу