Paracelsus. Erwin Guido Kolbenheyer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Paracelsus - Erwin Guido Kolbenheyer страница 9

Paracelsus - Erwin Guido Kolbenheyer

Скачать книгу

Hans stand unschlüssig. Er blinzelte auf das Gut des Bruders hinüber und sah auf das Totengesicht nieder. Der Jungrudi war halbtot heimgekrochen. Das muß elend, muß teufelselend gewesen sein. Warum ist er nicht geblieben? Er war kein windiger Gauch mehr und hatte zu leben. Dem Alten die Sach vor die Füße zu werfen? So einen kindischen Trotz hat der Jungrudi nicht getragen.

      Der Hans strich über den Bart, dann schlug er dem Vater auf die Schulter.

      „Ist guet, Ruodi Ochsner, wir möchtends erwarten. Viellicht so stürmend sie bald.“

      Er ging gelassen durch die Gademtür, die Treppe krachte gleichmäßig unter seinen Tritten.

      Der alte Ochsner wußte, wem das Wort des Hans zu danken war. Er bedeckte den Toten wieder.

      „Hast ehender verscheiden müessen, daß din Art den gueten Lout sullt finden? Du hast vergeben, als will ich dir sin getrü.“

      Er hielt im Gadern Wacht und war doch mit ganzer Seele droben bei dem Kinde, das nach Erlösung schrie. Seine Hände hatte er vor der Brust gefaltet, indem er auf und nieder ging. Nie noch war er vom inneren Leben so mächtig bis an seines Wesens Rand erfüllt. Er flüsterte:

      „Du bist nit alleinig, Jungruodi. Ouch du nit, Eis. Wir müessend all ersterben, üns geben hin, daß wir ein Lout gewinnen und ein Brucken. Wir wollend all entbunden sin. Allweg es bitter drängt und keiner den andern kann umbfahen und halten, es sije dann, er stürb sin eignen Tod. Kunnt einer dem Felsstein glichen, ihm wär wohl. Der ruhet in des Etzeln Schoß unde ist in ihm bschlossen …“

      Er blieb stehen, lauschte seinen Worten nach. Sie kamen ihm fremd und sonderbar vor. Er sah um sich, als könne er all das, was unbeachtet eingelebt sein Eigen war, nicht wiedererkennen. Und aus der Stille hörte er die Sihl. Er war über das Rauschen verwundert, das sein Leben lang ungehört an ihm vorbeigezogen war.

      „… ist in ihm bschlossen“, wiederholte er. „Unde die Sihl …? Das Wasser all, das us dem Felsen bricht …? Ouch der Fels tuet ihn Selbsten uf! Mueß sich geben!“

      Da gellte der unbändige, wilde Schrei der Erlösung durch das Haus.

      Rudi Ochsner ballte die Fäuste vor der Brust, sein Gesicht war zur Decke gewendet, die Lippen zitterten, seine Augen glänzten.

      „…ist nit bschlossen! Keins ist bschlossen. Eis, du hasts ton! Und als ouch der Jungruodi hats vollbracht. Und wir müessend es all tuen und uns geben.“

      Er war fröhlich wie ein Schlucker, der unversehens den Goldschatz unter seiner morschen Seele findet. Er rannte die Gademtür gegen die Flurwand und sprang die Treppe hinauf, als sei er seiner Jahre um die Hälfte ledig. Erst droben sammelte er seine sieben Schicklichkeiten und Alterswürden, damit er das Enkelkind gebührlich empfange.

      Die Eis lag blaß und lächelnd, ihre Augen waren weit, trunken vor Freude und Frieden. Hohenheim trocknete ihre Stirn und tastete zu ihren Händen hin, die matt auf der Brust lagen. Er streichelte ihre Hände und hauchte sie warm.

      Die Großmutter trug das krächzende Bündlein zu dem Bottich, prüfte sorgsam mit dem Ellenbogen, fand das Wasser zu kalt.

      „Hol warms Wasser, Ruodi! Nimm als ouch den Stein usm Bett und bring den heißen.“

      „Ist es wohlgeschickt und vollkommen, Muotter?“

      „Aller Gstalt mit Heil … ein Bübli.“

      „Als sänd wir in Gottes Namen wieder all.“

      Er nahm die Holzkanne und den Wärmestein, der in Laken gewickelt zu Füßen der Eis lag, und polterte hinunter.

      Dem Kleinen wurde nicht Holdermus noch Weidensud von der Großmutter, die ihm auch Wehemutter geworden war, ins Bad gegossen, und Wilhelm von Hohenheim vergaß einen blanken Pfennig hineinzuwerfen. Das Kind war eilig gewesen, es blieb kaum Zeit, die Wochenstube zu rüsten.

      Allein das Jahr stand vor Weihnachten, und der Kleine hatte einen beträchtlichen Schädel mitgebracht. Also legte ihn die Großmutter, während Rudi Ochsner um Wasser lief, schnell unter die Stubenbank, daß er nicht geistersichtig werde.

      Wenn später der Sohn des Hohenheim dennoch manch üblen Geist sah, an dem die Leute unter staubwedelnder Reverenz vorübergingen, meinend einem Großhansen zu begegnen, so war die Eilfertigkeit des alten Ochsner daran schuld. Der kam rasch zurück, das Wasser sollte nicht verkühlen; die Großmutter mußte das Kindlein unter der Bank hervorziehen.

      Im warmen Wasser erholte sich das junge Leben von der Unbill seiner neuen Welt.

      Man hatte ja kein Glückshäutlein abzuwaschen, brauchte aber auch kein verdächtiges Mal mit Mutterblut zu betupfen, daß der Satan daraus wiche. Im ganzen konnte man zufrieden sein.

      Der kleine Hohenheim kniff die Äuglein zu, als die Wärme über den verdrückten Birnschädel und das runzelige Gesichtlein rieselte. Es hing ein winziger Körper daran, der gleichwohl kräftig nach Atem rang.

      Er begriff sofort, da die Großmutter mit dem linden Tüchlein zwischen seine Lippen fuhr, daß diese neue Welt nicht hoffnungslos aus Drang und Zwang und eisiger Kälte bestehe, sondern auch einen freundlicheren Inhalt haben mochte. Er sog sich an dem Lappen fest, und brachte seiner Wehemutter ein erstes Lachen wieder.

      Der kleine Bombast konnte diesen ersten Lappen nicht behaupten, allein er blieb im Vertrauen auf die neue Welt unbeirrt, es geriet ihm der Daumen seiner Rechten in den Mund, und er saugte so kräftig, daß es auch Vater, Mutter und Großvater hörten und alle einsahen, er werde sich jeweils zu helfen wissen. Mit gleicher Entschlossenheit entdeckte und gebrauchte er sein kurzes, schnüffelndes Rüsselchen, als man ihn warmgewickelt der Mutterbrust nahebrachte. Er umwitterte eifriger bewegt, als es der hilfsbereiten Hand der Mutter schicklich fiel, die treue Quelle seines Lebens und fand eigenmächtig, was er suchte und woran er zunächst festhalten wollte.

      So gab er schon in seinen ersten Stunden durch ein beherztes Wesen den wenigen, die auf ihn sahen, Linderung ihrer heimlichen Schmerzen und ein Aufatmen.

      Noch war die Mitternacht nicht über den Etzel gestiegen, da ruhte das Ochsnerhaus an der Teufelsbruck von den inneren Stürmen aus. Es lag in wacher Ruhe, die nach den Stürmen kommt und Leiber bindet, Herzen aber lauschend hält.

      Das Ochsnerhaus kauerte treu geduckt am Rande der Sihlschlucht, wie ein Vogel in der Nacht über seinen Jungen kauert und Federn und Flügel sträubt. Es zitterte nur leise und knarrte in den Fugen, während das Unwetter von allen Seiten ansprang. Und das Dach spannte mit verhaltenem Krachen seine Streben der Schneelast entgegen.

      Im Oberstocke bei dem Kinde und seinen Eltern, im Gadem zur ebenen Erde, wo das erstarrte Herz unter dem Schweizerschwert lag, spann je ein Läppchen seine Strahlen durch die Nacht und schaukelte leicht die leuchtende Zunge in der Zugluft.

      Der alte Ochsner saß auf und hielt Totenwacht.

      Er hatte sein Weib, das vor Müdigkeit des Leibes und der Seele wankte, über die Stiege herab mehr tragen als führen müssen. Vor Jungrudi war ihr Herz noch einmal aufgebrochen, der Mann hat sie gehalten und verhindert, daß sie sich über den Toten warf.

      „Schenk ihm Fried.“

      „Ruodi … hast din Frieden gsuocht, do du bist auß in den Schnee.“

      „Alls ist still, Muotter. Kumm, du sollt dich legen. Ich

Скачать книгу