Kümmer dich ums Kätzchen. Sara Jacob

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Kümmer dich ums Kätzchen - Sara Jacob

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      Sieh mal an

       1.

      Zwei Stunden von Amsterdam nach Brüssel. Im Zug spielen wir Skat, das heißt: Frank, Fabian und Gregor spielen, weil ich zu schlecht bin. Katja und Maike unterhalten sich über die Schule, über Lehrer.

      In Brüssel haben wir nur eine Nacht gebucht. Ausreichend, um das Atomium, Manneken Pis und das Rathaus anzusehen. Von mehr haben wir keinen blassen Schimmer. Keiner hat an einen Reiseführer gedacht. Wir wollten uns die Informationen vor Ort holen und stoßen auf das Offensichtliche. Kein Geheimtipp, kein Sonderweg. Wir laufen in den Fußspuren Millionen anderer Touristen.

      Die Jugendherberge, die ziemlich weit außerhalb liegt, hält nicht wie vorgesehen ein Familienzimmer für uns bereit. Wir müssen uns nach Geschlechtern aufteilen.

      Mit uns sind noch ein paar Engländer abgestiegen, die mit viel Alkohol bewaffnet in den Fluren herumlaufen, als habe jemand eine Pille gegen den Kater erfunden. Katja und Maike tuscheln, verschwinden im Zimmer und tauchen kurz darauf wieder auf. Warum müssen Frauen immer tuscheln und ständig auf die Toilette?

      Während wir auf Katja warten, zieht sich Maike ihr enges T-Shirt glatt, bis jeder Engländer auf dem Flur die Nähte ihres BHs erkennen kann. Über dem Bund ihrer Jeans wöben sich Speckröllchen. An ihrer Stelle würde ich weite Sachen anziehen.

      »So eine scheiß Jugendherberge«, entfährt es mir. Maike sieht mich überrascht an.

      »Die ist doch toll. Und billig.«

      »Man kann sich alles schönreden.«

      »Warum bist du eigentlich so negativ? Sieh es doch mal positiv.«

      Ich lache. Ich kann nicht anders. Ich erinnere mich nur an das Negative, an das, was mir peinlich ist. Das verfolgt mich immerzu. Als ich im Unterricht das Falsche gesagt habe, als ich nicht zu fragen wagte, ob ich auf Toilette gehen dürfe, als ich in der Silvesternacht verprügelt wurde. Ich stell mir dann vor, was ich anders machen würde. So wie Judith und. Was noch? Frau Döring, meine Nachbarin. Und die Sache im Ferienlager. Und Anja. Hätte ich doch.

      »Ich bin nicht negativ. Ich bin nur Realist«, sage ich. »Das Leben ist nun mal Scheiße. Und wenn du Scheiße rosa anmalst, bleibt es immer noch Scheiße.«

      Schließlich kommt Katja aus der Toilette. Dumme Nuss. Warum braucht die so lange?

      Brüssel wirkt auf mich wie eine einzige Spekulationsruine. Unfertig, grau, trist und ungemütlich. Meine Jeansjacke müht sich vergebens, mich warm zu halten.

      »Hier hoffen alle, dass die EU irgendwann Gebäude kauft. Deshalb investiert hier niemand mehr. Die warten alle die Preissteigerungen ab«, sagt Gregor.

      »Ich denke, das heißt EG?«, fragt Fabian.

      »In den Maastrichter Verträgen vom 1. Februar ist beschlossen worden, die europäischen Gemeinschaften unter dem Verbund der EU zusammen zu fassen.«

      »Ab jetzt?«, fragt Frank. Gregor starrt hinaus auf rostbraune Klinkerbauten, in denen bestimmt niemand mehr wohnt, so verfallen, schmutzig und unwohnlich wirken sie.

      »Nein, ab 1. Januar 1993.«

      »Und wieso redest du dann jetzt schon von der EU?«, fragt Maike.

      »Weil er ein Klugscheißer ist«, sagt Fabian und grinst dabei.

      »Weil ich von der Zukunft rede. Ich sagte: Die EU kauft irgendwann die Gebäude«, rechtfertigt sich Gregor. Ich interessiere mich mehr für das Atomium, das am Ende der Haltestelle Heyzel steht. Heyzel? Ist das nicht der Name eines Stadions? Gregor weiß die Antwort. Maike weiß nicht, wofür das Atomium steht, Gregor weiß es. Sie weiß auch nicht, wann es gebaut wurde. Er schon.

      »So was muss man sich auch nicht merken«, sagt Fabian.

      »Man muss sich gar nichts merken«, sagt Frank und dreht sich einen Joint.

      Schon gar nicht, wer das Manneken Piss geschaffen hat und warum es in verschiedenen Kostümen auftritt. Wir aalen uns in unserer Unwissenheit und finden nichts Schlimmes dabei. Brüssel sehen und vergessen, einmal kurz da und schon wieder weg. Warum auch nicht, wenn Frank die Taschen voller Gras hat.

      Frank sagt: »Los, ne Runde absoften...«, und wir machen das in einem Park in der Nähe der Jugendherberge. Anschließend ditschen wir um die Ecke. Wer zum Teufel ist Henry Frick? Warum hat man nach ihm einen Park benannt?

      »Egal«, sagt Gregor und ich mag ihn dafür, dass er einmal etwas nicht weiß oder wenigstens nicht so tut, als wüsste er es. »Ich bin ohnehin dafür, wir sollten den Park in Joint-Garten umbenennen.«

      »In die Bobel-Anlage«, schlägt Frank vor.

      »In den Barz-Park«, sage ich. Maike saugt umständlich an der Tüte und Katja lehnt wieder einmal höflich ab. So kommen wir doch nicht weiter. Vor allem sie nicht.

      Und bei Sonnenuntergang setzt dann der Höhenflug ein. Wir kichern uns an, sitzen auf einer Parkbank, spüren uns, sagen nichts und verstehen alles. Atemlose Oberfläche.

      Aus Franks Ghettoblaster dröhnt wieder einmal Fury in the Slaughterhouse. Ich gucke durch das Plastikfester auf die rotierenden Spulen. Pure Live steht drauf und das Lied, das wir immer wieder hören, beginnt mit einem Mann, der eine Fliege fängt. Gregor erklärt wieder einmal die Songtexte. Drogenschmuggel, sagt er, und DEA. Schon okay. Sein Englisch ist einfach besser, weil er ein Austauschjahr in den USA gemacht hat. Fabian hat es nicht gesagt, aber ich glaube, er beneidet ihn auch darum.

      Wir sind ein Herz und eine Seele, wenn wir nicht viel reden. Vielleicht hat sich in den letzten Monaten unser Verhältnis etwas gespannt. Das liegt sicher daran, dass er mit Maike zusammen ist.

      Als ich ihn einmal fragte, wie es so sei, mit Maike im Bett, blieb er wie immer wortkarg. Kino ist daher unsere natürliche Verbindung, unser Klebstoff, die gemeinsame Welt. Dann tauchen wir ab in die Realität von Bruce Willis und Batman, von Steve Martin und Indiana Jones. Nichts ist erregender als ein Besuch im Kino. Wir gehen mindestens einmal pro Woche in die neuesten Filme.

      Statt Poster von Popstars hängen in meinem Zimmer Filmplakate von Predator, Lethal Weapon, Zurück in die Zukunft, Platoon. Im Regal sind die Cinema-Hefte aufgereiht, die Filmlexika und Bücher über die besten Filme aller Zeiten, in meinem Bettkasten stapeln sich Videos. Ganz sicher macht mich Hollywood glücklicher als Burghausen.

      Frank, den Maike nur Koffer nennt, Koffer von Trelkowski, bekommt einen Dreitagebart. Wieder verschwindet Katja in der Jugendherberge.

      »Sie hat ihre Tage«, flüstert mir Fabian ins Ohr. Als ob ich so eine Information brauche. Dieses Wissen belastet nur. Kurz darauf ist Katja wieder da. Ich verdränge den Gedanken an blutige Binden, Tampons, Slipeinlagen, Körperflüssigkeiten. Nichts ist unerotischer. Der Verkehrslärm verebbt hinter den Bäumen. Der Joint kreist unverdächtig. Ich bin so frei, so cool. In Brüssel, mit Fabian und Frank und Maike und Katja und Gregor. Wir sechs zusammen auf Tour, ohne Eltern und Kontrolle.

      Wenn mich jemand fragen würde, wo mein Zuhause ist, würde ich immer wieder sagen: Dort, wo meine Freunde sind. Meine Mutter hat mir eine solche Aussage schon einmal übel genommen, als eine Frau vom Jugendamt bei uns war und fragte, wo ich wohne wolle:

      Bei meiner Mutter oder bei

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